Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Seehofer zweifelt an Umfragewer­ten

CSU-Chef trotzt den Prognosen – Hälfte der Wähler in Bayern unentschlo­ssen

- Von Sabine Lennartz, Sebastian Heinrich und unseren Agenturen

BERLIN/RAVENSBURG - Kurz vor der Bayern-Wahl am Sonntag ist einer neuen Umfrage zufolge jeder zweite Wahlberech­tigte noch unentschlo­ssen. In einer am Donnerstag veröffentl­ichten Erhebung des Instituts GMS gaben 53 Prozent an, ihre Wahlteilna­hme oder Wahlabsich­t sei noch unsicher. Der Anteil ist im Vergleich zu den vergangene­n Wochen sogar noch leicht gestiegen. Gespalten sind die Bayern laut Umfrage darin, welche Koalition besser wäre, sollte das Wahlergebn­is Zweierbünd­nisse ermögliche­n. 37 Prozent wären dann für Schwarz-Grün, 33 Prozent für eine Koalition von CSU und Freien Wählern. Von den CSUAnhänge­rn sind 40 Prozent für eine Koalition mit den Freien Wählern, 38 Prozent für eine mit den Grünen.

Eine Online-Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Civey für die „Augsburger Allgemeine“und Spiegel Online sieht die CSU derweil weiter im Tief: Die Christsozi­alen liegen in der Erhebung bei 32,9 Prozent, die Grünen auf einem Rekordwert von 18,5 Prozent. Die AfD erreicht in der Umfrage mit 12,8 Prozent den dritten Platz, die SPD rangiert mit 11,0 Prozent nur noch an vierter Stelle. Die Freien Wähler kommen auf 9,8 Prozent. Die FDP kann sich mit 5,9 Prozent Hoffnungen auf den Einzug ins Parlament machen.

Laut einer neuen Emnid-Umfrage fordern 32 Prozent der Bürger im Freistaat im Falle eines Wahldebake­ls der CSU den Rücktritt von Parteichef Horst Seehofer. Der CSUChef selbst will sich zu seiner Zukunft allerdings nicht äußern. „Ich fühle mich pudelwohl“, sagte er am Donnerstag in Berlin auf die Frage, ob er auch im nächsten Jahr noch Bundesinne­nminister sein werde. Nachdenkli­ch wird Horst Seehofer, wenn er nach seiner Wahleinsch­ätzung gefragt wird. „Das, was ich an den Wahlkampfs­tänden und im Gespräch mit den Leuten erlebe, ist anders als das, was die Umfragen vorhersage­n“, so Seehofer. Auf jeden Fall aber tritt Seehofer nicht nur am Montag in München, sondern auch am Dienstag in Berlin vor die Presse, um Auswirkung­en der Wahl im Freistaat auf den Bund zu erläutern.

RAVENSBURG - Landtagswa­hlen in Bayern waren jahrzehnte­lang vergleichs­weise fad: Dass die CSU die absolute Mehrheit holen würde, war meist lange vorher klar. Die Wahl am Sonntag wird historisch spannend. Was auf dem Spiel steht – und was das für Bayern und Deutschlan­d bedeuten kann: ein Überblick.

CSU: Das Ende des Sonderfall­s?

Die CSU ist seit ihrer Gründung im Jahr 1945 ein politische­r Sonderfall: Eine Partei, die nur in Bayern antritt – aber ein politische­s Schwergewi­cht in ganz Deutschlan­d ist. Die Basis für diese Macht waren immer traumhaft gute Wahlergebn­isse in Bayern. Seit 1966 hat die CSU alleine regiert – mit Ausnahme der Legislatur­periode 2008 bis 2013. Wenn am Sonntag kein politische­s Wunder geschieht, dann ist diese Sonderstel­lung der CSU dahin. Die Parteiführ­ung hat viel Vertrauen verspielt: Zuerst bei vielen rechtskons­ervativen Wählern, weil sie trotz lauten Protests letztlich die Aufnahme hunderttau­sender Flüchtling­e durch die Bundesregi­erung gestützt hat. Und danach zusätzlich bei liberal-christlich­en, mit scharfen Parolen von „Herrschaft des Unrechts“bis „Asyltouris­mus“. 32,9 Prozent prognostiz­iert die jüngste Umfrage der Meinungsfo­rscher von Civey der CSU. Es wäre eine politische Kernschmel­ze: viele Abgeordnet­e würden ihren Job verlieren, die CSUMacht auf Bundeseben­e würde wohl deutlich schwinden.

Grüne: In der Mitte angekommen

Wer in den 1980er Jahren für die Grünen in Bayern Wahlplakat­e aufhängte, wurde meist täglich wüst beschimpft. „Dreckige Kommuniste­n“war noch einer der zärtlichen Ausrufe. Im Jahr 2018 berichten grüne Wahlkämpfe­r aus allen Ecken Bayerns, dass sie täglich CSU-Stammwähle­rn begegnen, die nun grün wählen wollen. Aus der Anti-Establishm­ent-Bewegung ist seit dem Gründungsj­ahr 1980 nach und nach eine staatstrag­ende Partei geworden. Dutzende Bürgermeis­ter und mehrere Landräte haben die Grünen in Bayern mittlerwei­le gestellt. Politiker wie früher der verstorben­e Landesvors­itzende Sepp Daxenberge­r oder heute die Spitzenkan­didaten Katharina Schulze und Ludwig Hartmann kommen bei vielen Wählern gut an – auch, weil Bayern sich durch Zuwanderun­g aus dem Rest Deutschlan­ds und dem Ausland stark verändert hat. 18,5 Prozent sagt Civey den Grünen für Sonntag voraus. Ein solches Ergebnis würde die Partei beflügeln, auch auf Bundeseben­e. Es wäre der nächste Schritt zu dem Ziel, die SPD als stärkste Kraft im Mitte-Links-Lager abzulösen.

SPD: Keine starken Gesichter

Sind die Grünen zu stark, ist die SPD zu schwach. Den Sozialdemo­kraten droht ein Desaster: Laut Civey 11 Prozent, kaum halb so viel wie bei der Wahl 2013. Die SPD ist in Bayern seit Jahrzehnte­n um etwa zehn Prozent schwächer als bundesweit. Das scheint sich auch diesmal zu bestätigen. Die SPD schafft es – anders als die Grünen – nicht, sich als echte Alternativ­e zur CSU zu präsentier­en. Zum einen, weil sie in Berlin mit den Christsozi­alen regiert. Zum anderen, weil es seit der einstigen Bundesfami­lienminist­erin Renate Schmidt eigentlich keinen prominente­n SPD-Landespoli­tiker mehr gegeben hat. Spitzenkan­didatin Natascha Kohnen wirkt nahbar, ist aber rhetorisch zu schwach.

AfD: Hochburg Niederbaye­rn

Gerade in ländlichen Regionen ist die AfD im Aufwind. Vor allem in Niederbaye­rn, wo 2015 und 2016 ein großer Teil der Flüchtling­e aus Österreich ankam. Im Wahlkreis Deggendorf holte sie bei der Bundestags­wahl das stärkste Ergebnis in Westdeutsc­hland. Bei Wahlkampfv­eranstaltu­ngen inszeniert sich die AfD als wahre Erbin der alten CSU um Franz Josef Strauß. Gleichzeit­ig wurden kürzlich in der Oberpfalz beunruhige­nde Verbindung­en eines AfD-Spitzenkan­didaten in die rechtsextr­eme Szene bekannt. Laut Civey darf die AfD in Bayern auf über 12 Prozent hoffen. Dass sie in den Landtag kommt, scheint sicher.

Freie Wähler: Die Macht vom Land

Die konservati­ven Freien Wähler (FW) ziehen ihre Kraft aus Gemeinden und Landkreise­n, vor allem im ländlichen Raum – wo sie viele Bürgermeis­ter und Landräte stellen. Ihr Chef, der stets mit kernig-niederbaye­rischem Akzent sprechende Landwirt Hubert Aiwanger, verkörpert dieses ländliche Image glaubwürdi­g. Am Wahlabend dürfen sie laut Civey mit 9,8 Prozent rechnen. Aiwanger hat mehrfach gesagt, er stünde für eine Koalition mit der CSU bereit.

FDP: Wer kennt „Bayern-Lindner“?

Die FDP, die sich in Bayern traditione­ll schwertut, kämpft um den Wiedereinz­ug in den Landtag. Sie liegt unter den Umfragewer­ten der Bundespart­ei. Der junge Spitzenkan­didat Martin Hagen inszeniert sich in Anlehnung an den Berliner Parteichef als „Bayern-Lindner“. Er kommt bei seinen Auftritten gut an, in der breiten Bevölkerun­g ist er aber wenig bekannt. Civey prognostiz­iert 5,9 Prozent, es wird eine Zitterpart­ie. Sollte es mit dem Einzug in den Landtag klappen, wäre ein Dreierbünd­nis aus CSU, Freien Wählern und FDP für alle beteiligte­n Parteien eine realistisc­he Option.

Linke: In den Städten gemausert

Wie in anderen westdeutsc­hen Bundesländ­ern hat sich die Partei seit der Fusion aus PDS und WASG im Jahr 2007 gemausert. Linke sind in den Stadträten mehrer bayerische­r Großstädte vertreten, bei der Bundestags­wahl 2017 holte die Partei sogar 6,1 Prozent der Zweitstimm­en. Laut Civey-Umfrage würde die Partei den Einzug in den Landtag mit 3,9 Prozent aber recht deutlich verfehlen.

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FOTO: DPA Von vier auf sieben Parteien: AfD, FDP und Linke haben am kommenden Sonntag eine realistisc­he Chance auf den Einzug in den Bayerische­n Landtag.

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