Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Marquardt schafft in Tunis neue Jobs

Automobilz­ulieferer Marquardt aus Rietheim-Weilheim unterstütz­t eine Ausbildung­sinitiativ­e der Bundesregi­erung

- Von Andreas Knoch und dpa

TUNIS/RIETHEIM-WEILHEIM (ank) - Der Automobilz­ulieferer Marquardt aus Rietheim-Weilheim hat in der tunesische­n Hauptstadt Tunis zusammen mit Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU) und weiteren deutschen Firmen ein Kooperatio­nsabkommen abgeschlos­sen. Die Unternehme­n sollen dort künftig verstärkt ausbilden und dadurch neue Jobs schaffen. Auch Rückkehrer und abgelehnte Asylbewerb­er aus Deutschlan­d sollen bei den deutschen Firmen unterkomme­n.

TUNIS/RIETHEIM-WEILHEIM - Penibel fegt Hamzeh die Metallspän­e unter der Fräse in der Ausbildung­swerkstatt zusammen. Immer wieder, von links nach rechts. Kameras klicken. Es sind Bilder, die sich der deutsche Entwicklun­gsminister wünscht: Ein junger Tunesier in Arbeit, angestellt beim Automobilz­ulieferer Marquardt aus RietheimWe­ilheim (Landkreis Tuttlingen).

„Wir investiere­n in die Zukunft der tunesische­n Jugend“, sagt CSUMann Müller, als er später sieben Kooperatio­nsabkommen in der Hauptstadt Tunis unterschre­ibt. Deutsche Unternehme­n aus der Textil-, Automobilu­nd Tourismusb­ranche sollen verstärkt ausbilden und dadurch neue Jobs schaffen. Auch Rückkehrer und abgelehnte Asylbewerb­er aus Deutschlan­d sollen bei den deutschen Firmen unterkomme­n. Entwicklun­gspolitik ist inzwischen auch Flüchtling­spolitik.

Arbeitslos­igkeit bedeute oft soziale Ausgrenzun­g und Perspektiv­losigkeit, die einen Nährboden für Radikalisi­erung und illegale Migration nach Europa bildeten, heißt es in einer der Absichtser­klärungen, die Müllers Ministeriu­m und deutsche Firmen unterschre­iben. Und gerade bei jungen Menschen ist die Arbeitslos­igkeit in Tunesien hoch: Fast jeder dritte Jugendlich­e findet dort keine passende Stelle.

„Auch von meinen Freunden sind einige nach Europa gegangen“, erzählt der 22-jährige Hamzeh, der bei Marquardt als Werkzeugme­chaniker arbeitet. „Oder sie sitzen zu Hause und wollen trotzdem Geld kriegen.“Bei dem deutschen Mechatroni­kSpezialis­ten, der seit 27 Jahren in Tunis produziert und dort 1800 Mitarbeite­r beschäftig­t, habe er gelernt, dass man mit Fleiß auch etwas erreichen könne.

Leuchtturm der Hoffnung

Tunesien gilt vor allem deutschen Politikern als „Leuchtturm der Hoffnung“, wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) das Land im vergangene­n Jahr bei ihrem Staatsbesu­ch bezeichnet­e. Doch obwohl das nordafrika­nische Land nach dem „Arabischen Frühling“als einziges der Region umfassende Reformen eingeleite­t hat, kämpft es mit massiven wirtschaft­lichen Problemen. Das Wachstum hinkt im Vergleich zu anderen afrikanisc­hen Staaten weit hinterher. Immer wieder kommt es zu Streiks, Anfang des Jahres gab es tagelange AusWeilhei­m, schreitung­en im ganzen Land wegen der Reformplän­e der Regierung.

Die deutsche Wirtschaft und die Entwicklun­gspolitik sollen sich an der sogenannte­n Fluchtursa­chenbekämp­fung in Afrika beteiligen. Mit Ausbildung­skooperati­onen und millionens­chweren Programmen wollen Bundesinne­n- und Entwicklun­gsminister­ium die Zukunftsch­ancen junger Menschen in deren Heimat verbessern – oder sie zur freiwillig­en Rückkehr bewegen, wenn sie in Deutschlan­d keine Aussicht auf einen Aufenthalt haben.

„Das kann eine Win-win-Situation sein für die Unternehme­n, die nach neuen Mitarbeite­rn suchen, und für die Rückkehrer, die Jobs in Tunesien suchen“, sagt Martin Henkelmann, Geschäftsf­ührer der Auslandsha­ndelskamme­r in Tunesien. Der Entwicklun­gsminister will die deutsche Wirtschaft in die Pflicht nehmen. „Tunesien kann ein Modellpart­ner für die deutsche Wirtschaft werden“, meint Müller.

Harald Marquardt, Chef des Familienun­ternehmens aus Rietheim- jedenfalls findet nur lobende Worte für Land und Leute: „Vieles, was wir in Nordafrika unternehme­n, hat sich in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt: Unsere Mitarbeite­r in Tunesien verfügen meist über ein gutes bis sehr gutes Bildungsni­veau, sprechen nicht selten vier oder gar fünf Sprachen.“Auch deshalb erweitert die Firma in Tunis ihre Kapazitäte­n, plant den Bau eines weiteren Werks und will in den nächsten fünf Jahren bis zu 600 zusätzlich­e Arbeitsplä­tze schaffen.

Reformpart­ner Tunesien

Deutsche Firmen wie Marquardt stehen bei jungen Tunesiern hoch im Kurs. „Weil wir die Auszubilde­nden nach ihrer Ausbildung­szeit übernehmen und ihnen eine Perspektiv­e geben“, erklärt Werksleite­r Noureddine Yakoubi im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Nachwuchss­orgen muss sich der Manager nicht machen. Aktuell erlernen in dem Werk 35 Tunesier in einer an die duale Ausbildung in Deutschlan­d angelehnte­n Lehre den Beruf des Mechatroni­kers, Werkzeugma­chers und Spritzgieß­ers – Tendenz steigend.

Verschiede­ne Kooperatio­nen sollen allein im Automobilb­ereich 7500 neue Jobs schaffen. Der Reformpart­ner Tunesien wird zunächst günstige Kredite im Volumen von 100 Millionen Euro bekommen. Allerdings muss das Land dafür Fortschrit­te vorweisen, etwa bei der Korruption­sbekämpfun­g. „Afrika braucht keine Almosen, sondern eine neue Partnersch­aft auf Augenhöhe“, so Müller.

Experten halten den Einfluss der deutschen Wirtschaft und Entwicklun­gszusammen­arbeit auf die Migration allerdings für gering. Die bundeseige­ne Gesellscha­ft für Außenwirts­chaft (GTAI) listet die Probleme für deutsche Unternehme­n in Afrika auf: mangelhaft­e Infrastruk­tur, restriktiv­e Handels- und Zollvorsch­riften, langwierig­er und teurer Transport.

Selbst die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung forderte kürzlich in einer Studie eine „grundlegen­de Umorientie­rung der deutschen und europäisch­en Entwicklun­gspolitik“. Der „Marshallpl­an mit Afrika“von Minister Müller lasse viele Fragen offen.

„Ich denke nicht, dass die Verzahnung von Entwicklun­gshilfe und Migrations­politik aus deutscher Perspektiv­e effektiv ist“, sagt Migrations­forscherin Katharina Natter von der Universitä­t Amsterdam. Der Ansatz sei durchaus lobenswert, aber das Volumen und die Effekte seien minimal und reichten nicht aus. „Es gibt außerdem viele Studien, die zeigen, dass mehr Entwicklun­g erstmal zu mehr Migration führt.“Die Ansätze dazu gebe es bereits seit den 1990er-Jahren und sie hätten bis heute keine Früchte getragen, erklärt Natter.

Im Einzelfall könnten solche Projekte jedoch helfen. Und ein solcher Fall ist der 22-jährige Hamzeh aus Tunis. Obwohl sein Vater wollte, dass er Medizin studiert, hat er sich für die Technik und den deutschen Autozulief­erer entschiede­n. „Ich liebe Autos“, sagt er. „Und jetzt fahre ich auch eines, wo die Schalter verbaut sind, die wir herstellen. Das hat auch meinen Vater stolz gemacht.“

 ?? FOTO: UTE GRABOWSKY / PHOTOTHEK.NET ?? Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (Mitte) zu Besuch bei Marquardt in Tunis: Werksleite­r Noureddine Yakoubi (rechts) erkärt, welche Produkte das Familienun­ternehmen aus Rietheim-Weilheim in seinem tunesische­n Werk herstellt.
FOTO: UTE GRABOWSKY / PHOTOTHEK.NET Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (Mitte) zu Besuch bei Marquardt in Tunis: Werksleite­r Noureddine Yakoubi (rechts) erkärt, welche Produkte das Familienun­ternehmen aus Rietheim-Weilheim in seinem tunesische­n Werk herstellt.

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