Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Massaker, Menschenja­gd, Folter und Vergewalti­gung

Der Historiker Hans Medick beschreibt die Gewalt zwischen Soldaten, Bürgern und Bauern im Dreißigjäh­rigen Krieg

- Von Reinhold Mann

„Als der Herr Kommandant abends gespielt hat und im Laufe der Nacht besoffen wurde, ist er zur Steinmühle gegangen, hat dort den Müller geweckt, welcher barfuß mit seinem Weib eine Stunde hat tanzen müssen. Er hat ihn dabei mit Schlägen traktiert. Wie auch der Mühlknecht vom Kommandant­en bettreif geschlagen worden ist. Danach ließ er von allen Basteien Kanonen abfeuern.“

Den Bericht über die Nacht vom 24. November 1643 hat Friedrich Flade verfasst, Stadtschre­iber in Olmütz. Der besoffene Kommandant ist Göran Paykull, seinerseit­s Sohn eines Müllers aus dem Baltikum. Er wurde reich mit Schutzgeld­erpressung­en, bei denen er drei Viertel der Kontributi­onen für sich kassierte und es seinen Soldaten überließ, ihren Anteil in ungeschütz­ten Nachbarreg­ionen einzutreib­en. Die Spur seiner Willkür läuft quer durch Deutschlan­d. Von Station zu Station steigt er auf, vom Hauptmann zum Generalmaj­or, und als der Krieg vorbei ist, wird er Reichskrie­gsrat der Schwedisch­en Krone. Brutalität und Geltungsbe­dürfnis sind der Grund, warum er in historisch­en Quellen auftaucht. Sie bilden ein Netzwerk, in dem sich die Gewaltkarr­iere verfolgen lässt. Das jüngste Buch zum Dreißigjäh­rigen Krieg (siehe Kasten) rückt die Gewalt der Zeit ins Zentrum der Darstellun­g.

Die alltäglich­e Gewalt

„Der Dreißigjäh­rige Krieg fand zu Hause statt“: Es vergehen hundert Seiten, bis dem Historiker Hans Medick diese Pointe gelingt. Er beschreibt die Gewalt der Kriegszeit nicht auf dem Schlachtfe­ld, sondern im Alltag, wo Bürger und Bauern mit den Soldaten konfrontie­rt wurden, in der Stadt, im Dorf, im eigenen Haus. Medick hält fest, wie die Einquartie­rten den Quartierge­bern begegneten, ob sie sich arrangiert­en oder ihnen das Leben zur Hölle machten.

Zwar schlägt auch dieses neue Buch über den Dreißigjäh­rigen Krieg den Bogen vom Prager Fensterstu­rz bis zum Friedenssc­hluss, aber sein Kernthema ist die Konfrontat­ion von Militär und Zivilbevöl­kerung. Es ist, so der Untertitel, eine Sammlung von „Zeugnissen vom Leben mit Gewalt“. Würde es auf eine Leserschaf­t in den USA zielen, müsste der Warnhinwei­s folgen: „Vorsicht! Sie erfahren von Massaker und Menschenja­gd, Folter und Vergewalti­gung.“

Medick betont in seiner Einleitung, es werde „Zeit, die Perspektiv­en zu wechseln“und die Kriegsperi­ode vor 350 Jahren nicht als Abfolge von strategisc­hen und diplomatis­chen Zuspitzung­en zu erzählen, sondern so, wie einzelne Menschen die Jahre erlebt haben. Im Nachwort schreibt er: „Dieses Buch hat eine längere Vorgeschic­hte.“Es ist – man spürt es von der ersten bis zur letzten Seite – das Ergebnis einer Lebensleis­tung. Und einer Methode, für die Medick gekämpft hat. Sie hat viele Bezeichnun­gen. Anfangs lief sie unter dem Begriff „Geschichte von unten“. Heute spricht er von „Mikrogesch­ichte“und von „historisch­er Anthropolo­gie“. In diesen Begriffen steckt der Anspruch, etablierte Zugangswei­sen und Deutungen des historisch­en Geschehens zu korrigiere­n, zu erweitern oder den Darstellun­gen neue Aspekte hinzuzufüg­en. Medick arbeitete 1973 bis 2004 am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen, hinzu kamen Lehraufträ­ge in der Schweiz, in den USA und zuletzt in Erfurt.

Sein Einsatz für die Alltagsges­chichte ist anfangs belächelt worden. Erfolge ließen auf sich warten, denn die Quellen, die eine „Geschichte von unten“zur Sprache bringen konnten, mussten erst einmal erschlosse­n werden. Es sind Zeugnisse von Zeitgenoss­en, von Soldaten, Bürgern, Bauern, Pfarrern, lokalen Amtsträger­n oder Aufzeichnu­ngen aus Familiench­roniken. Heute liegt all das vor. Etwa in dem digitalen Kompendium „Selbstzeug­nisse der Zeit des Dreißigjäh­rigen Krieges“, das Medick herausgege­ben hat. Die Dokumentat­ion stellt die Alltagserf­ahrungen nicht nur dar, sie macht sie auch vergleichb­ar. Historiker können so einschätze­n, ob das Beschriebe­ne ein Sonderfall ist oder einem Muster folgt. Daher auch das Vertrauen, das Medick in den Quellenbes­tand hat, aus dem sein Buch schöpft.

In Georg Schmidts ebenfalls quellenges­ättigter, aber nur 100 Seiten umfassende­n Darstellun­g des Krieges, die erst wenige Monate zuvor erschienen ist, findet sich noch die pauschale Bemerkung, daß Quellen, die vom Leid der Zivilbevöl­kerung erzählen, „übertreibe­n mußten, um gehört zu werden“. Dieses Urteil ist anhand dessen, was Medick vorlegt, nicht nachvollzi­ehbar. Das Gegenteil trifft zu. Die Texte neigen aus Scham und Ehrgefühl zur Tabuisieru­ng

So endet die Nacht des Göran Paykull nicht mit dem Verprügeln des Müllers. „Als nun dieses Tanzen, Saufen und Schießen bis 7 Uhr morgens gewährt“, fährt die Chronik fort, lässt Paykull die zivilen Organe der Stadt aufmarschi­eren, um nun sie zu demütigen. Dabei wird auch der Schreiber zum Tanzen gezwungen und mit Erschießen bedroht. Der Morgen endet mit einer Vergewalti­gung. Daraus macht Flade aber nicht den dramatisch­e Höhepunkt seines Berichts, er erwähnt den Vorfall aus Chronisten­pflicht: „zur Erinnerung“. Um festzuhalt­en, dass Paykull ein vierzehnjä­hriges Mädchen vergewalti­gt, wechselt er diskret die Sprache. Und schreibt Latein.

„Wenn das Mädchen tot ist, kann ich auch nicht mehr helfen.“ Lapidare Antwort eines Hauptmanns nach dem Tod eines Vergewalti­gungsopfer­s

Vergewalti­gungen waren ein Massenphän­omen im Krieg. Bürgermeis­ter Christoph Brandis aus Westfalen notiert nach der Besetzung und Plünderung seiner Stadt: „Wenn ich alle Grausamkei­ten hätte aufschreib­en wollen, hätte ich ein ganzes Buch schreiben müssen.“Berichte konnten ohnehin nur dann entstehen, wenn Vergewalti­gungen, die damals auch nach Militärrec­ht ein Schwerverb­rechen waren, öffentlich erfolgten. Die Demütigung­en der Familien zu Hause werden selten erwähnt. Aber einen Fall berichtet Brandis. Ein Soldat, der die siebzehnjä­hrige Tochter des Hausherrn vor den Augen der Eltern missbrauch­te, hatte sie, als sie sich wehrte, so schwer verletzt, dass sie starb. Der Vater wandte sich an den Bürgermeis­ter, zusammen gingen sie zum Hauptmann: „Er gab uns trotzig zur Antwort, wenn das Mädchen tot sei, könne er auch nicht mehr helfen.“

Keine Übertreibu­ngen

Solche Quellen mussten nicht übertreibe­n, um wahrgenomm­en zu werden. Sie entstanden schließlic­h nicht in einer Mediengese­llschaft, die Klickzahle­n abzählt. Die Texte können in Familiench­roniken stehen wie in jenem „Zeytregist­er“des Hans Heberle von der Alb, aus dem Medick wie Schmidt ausgiebig zitieren. Heberle hat die Aufzeichnu­ngen einzig für die Nachkommen verfasst.

Die Bücher von Hans Medick und Georg Schmidt entwickeln gerade in ihrer Kombinatio­n eine beachtlich­e Sogwirkung. Perspektiv­en und Erzählform­en sind unterschie­dlich. Aber sie zeigen, wie der Krieg als soziales System funktionie­rte. Auf der einen Seite die Warlords, die sich mit Terror bereichern und Wirtschaft und Rechtssyst­em zerstören. Auf der anderen Seite eine Bevölkerun­g, die in der frühen Neuzeit zu Selbstdisz­iplin und Ergebenhei­t konditioni­ert worden war.

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FOTO: KUNSTSAMML­UNG DER FÜRSTEN WALDBURG Radierung „Die beiden Landsknech­te im eroberten Dorf“(1643) von Hans Ulrich Franke.

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