Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Laichingen als Modell: Nach dem Krieg lebten noch 296 Einwohner – vorher waren es 1372
Hans Medicks Arbeiten haben den Anspruch, dass sich Alltagsstudien, auch wenn sie lokal begrenzt sind, nicht als Beiträge zur Heimatgeschichte erschöpfen. Medick zielt auf „eine Detailgeschichte des Ganzen“. Programmatisch betont das sein Buch über Laichingen („Weben und Überleben in Laichingen“, 1996) im Untertitel: „Lokalgeschichte als Allgemeine Geschichte“.
Hier lässt sich eine weitere Wurzel seines Ansatzes entdecken. Medick greift eine Methode der Volkskunde auf, wie sie die aus Laichingenstehen Feldstetten stammende Angelika Bischoff-Luithlen (1911-1981) gepflegt hatte. Der „Pionierin der volkskundlichen Erforschung der Überlebenskultur der Menschen auf der Schwäbischen Alb“setzt Medick in seinem neuen Buch ein Denkmal: mit dem Auszug aus einer Familienchronik, die in Gerstetten auf der Alb geschrieben wurde. Bischoff-Luithlen hat Medick auf dieses Dokument aufmerksam gemacht, das Worte für die so schwierige und zwiespältige Stimmungslage am Ende des Dreißigjährigen Krieges findet: „Vom Flecken nur noch ein paar Häuslein. Wir Leut leben wie die Tier, essen Rinden und Gras. Kein Mensch kann sich denken, dass so etwas vor uns geschehen sei.“
In den verheerten Regionen Süddeutschlands setzt man den Bevölkerungsrückgang auf drei Viertel der Einwohner an. In seinem Buch über Laichingen nennt Medick Zahlen. Vor dem Krieg haben hier 1372 Per- sonen gelebt, danach waren es noch 296. Die Chronik aus Gerstetten berichtet von der deprimierten Stimmung, der Unsicherheit, den zerstörten Höfen. Und dass am Ende des Krieges Fremde „aus dem Gebirg“ankommen. Es waren aus Salzburg vertriebene Protestanten, die nach verlassenen Bauernstellen suchten. Sie scheinen den Schreiber aufzumuntern: „Es sind tüchtige Schaffer.“So hat er sich mit Einheimischen und Fremden zusammengetan, „um zerfallene Häuslein wieder bewohnbar zu machen. Wir müssen jetzt beisammen stehen und Hand anlegen.“(man)
Hans Medick: Der Dreißigjährige Krieg, Wallstein-Verlag, Göttingen, 448 Seiten, 29,90 Euro.