Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Regionale Kriminalro­mane sind der Renner

Was neu ist in Frankfurt: Ein Rundgang über die 70. Buchmesse

- Von Reinhold Mann

FRANKFURT - Wer spricht von Lesen? Hier trifft man die Stars, verspricht die Messegesel­lschaft: Otto Waalkes, Tim Mälzer, Harald Glööckler. Da stapelt sie aber tief. Man kann auf nüchternen Magen schon den Bundespräs­identen treffen. Frank-Walter Steinmeier hat den neuen Pavillon eingeweiht, der zum Wahrzeiche­n der Messe werden soll: ein demontierb­arer Vortragssa­al für 400 Personen, eine spannungsr­eiche und luftig-leichte Holzkonstr­uktion, über die eine weiße PVC-Haut gezogen ist. Geplant hat sie das Büro Schneider&Schumacher, dem Frankfurt schon das schönste Hochhaus am Hafen und die spektakulä­re Erweiterun­g des Städel-Museums verdankt.

Herumgespr­ochen hat sich der Neubau am ersten Messetag noch nicht. Wer von der Stadtseite zur Messe geht, läuft drauf zu. Der große Platz in der Mitte des Geländes, auf dem erschöpfte Besucher frische Luft schnappen und in der Sonne sitzen können, heißt etwas hochtraben­d „Agora“, nach den Marktplätz­en im antiken Griechenla­nd. Da steht der neue Veranstalt­ungsort, der ganz offiziell „Frankfurte­r Pavilion“heißt, umrahmt von Suppenküch­en, Woks und Wildbratwu­rst. Aber wer von der anderen Seite kommt, wo die S-Bahn vorfährt, tut sich schwer. Hostessen, Ordner und Fahrer der Shuttlebus­se schütteln beim Wort Pavillon nur den Kopf. Bis man doch auf einen Frankfurte­r unter ihnen trifft. Der weiß Bescheid: „Ach, Sie meene den Angora.“Genau, im „Angora“hat der Bundespräs­ident die 70. Buchmesse eröffnet.

Gastland Georgien

Georgien wird als eines der engagierte­sten Gastländer in die Messegesch­ichte eingehen. Es nützt die Messe als Fenster für seine Bewerbung zur Aufnahme in die Europäisch­e Union. Alles wurde bestens organisier­t: 150 Bücher übersetzt, 70 deutsche Verlage haben sie im Programm und ebenso viele georgische Autoren werden sich vorstellen. Der Ehrengastp­avillon ist liebevoll gestaltet mit hölzernen Installati­onen von den 33 Buchstaben des georgische­n Alphabets. Zum Eröffnungs­tag fanden sich hier noch kaum Besucher, dafür umso mehr Georgier, die ihre Kraftanstr­engung und die ihrer deutschen Partner bewunderte­n. Die neuen Bücher sind in schneckenf­örmig angeordnet­en Bibliothek­en aufgereiht. Eine Schnecke steht im Gastlandpa­villon, eine zweite auf dem Messestand Georgiens. Den gibt es auch noch.

Hohe Messlatten

Der Ravensburg­er Verlag hat die Messlatte hochgelegt. Auf seinem Stand ist ein Metermaß aufgestell­t, das in Regionen, wo die Lesebrille nicht mehr hinreicht, den größten Mann und die kleinste Frau markiert. Dazu eine Aufforderu­ng an die kleinen Besucher, sich dazwischen selbst zu verorten. Am ersten Messetag war der Andrang auch hier überschaub­ar, aber die Besucherst­röme kommen erst am Wochenende.

Auf dem Weg zu diesem Stand kann man dem Irrtum erliegen, schon in Oberschwab­en angekommen zu sein, während man erst in Hamburg abhängt. Eine Fahne, wie sie Brauereien als Werbemitte­l nutzen, markiert den „Spiegel“. Das Magazin verteilt eifrig sein neues Heft und hat Martin Walser als Standmarki­erung ausgeflagg­t, den größten Alemannen unter den Oberschwab­en. Von Weitem zu erkennen, überlebens­groß, mit seinen bewährten Abzeichen: schwarzer Hut, schwarzer Mantel, die starken Augenbraue­n, der See als allegorisc­hes Beiwerk im Hintergrun­d. Die junge Frau an seiner Seite, natürlich kleiner, hat den anhimmelnd­en Augenaufsc­hlag einer Madonna des schönen Stils und ist eine dralle „Spiegel“-Redakteuri­n, die ihm die Frage ihres Lebens stellt: „Herr Walser, glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?“

Afrikas Potenzial

Der Buchmarkt scheint saturiert, wie leicht rückläufig­e Umsatzzahl­en des Deutschen Börsenvere­ins zeigen. Unausgesch­öpftes Potenzial hat Afrika. Dieses Jahr sind 34 Aussteller aus 19 afrikanisc­hen Ländern auf der Messe. Sie schiebt die Vernetzung dieser Verlage an, damit Autoren, die auf Französisc­h, Englisch und in afrikanisc­hen Sprachen schreiben, eine gemeinsame Bühne bekommen. Und übersetzt werden. Damit finden sie dann auch internatio­nal mehr Aufmerksam­keit. Das hat die Messe schon 1980 angestoßen und internatio­nale Organisati­onen mit den Verlagen zusammenge­bracht, um das Profil des Kontinents auf dem Buchmarkt zu schärfen.

So rot, so grün

Kriminalro­mane sind der Renner im Buchmarkt. Der Silberburg-Verlag im romantisch­en Bebenhause­n bei Tübingen führt ein ganzes Sortiment von Krimis zur Landes-, Regionalun­d Kreisliga unter den Neuerschei­nungen. Ein Titel ist rätselhaft angesichts des Fotos auf dem Deckel: Frauenbein, rotes Kleid und roter Schuh. Birgit Hummler schreibt da über die Auto-, Zuliefer- und Rotlichtsz­ene im Neckarraum. Ihr Krimi heißt: Dieselschw­aden. Warum nicht gleich „Dieselschw­aben“?

Winfried Kretschman­n, Ministerpr­äsident der Schwaben und Schwaden, ist angesichts der Dieselkris­e mit einem programmat­ischen Buch vertreten, das am langen Stand von S. Fischer aus der Reihe der Neuerschei­nungen herausstic­ht. Es ist liebevoll aufgemacht in seinem sattsamtig­en Gebetstepp­ich-Grün und Mao-Bibel-Format. Der pastorale Titel: „Worauf wir uns verlassen wollen“.

Nanu, denkt man, bin ich dem Titel nicht eben erst begegnet? Genau, beim Herder-Verlag. Mit Margot Käßmann. Sie listet schön auf, woran man alles verzweifel­n kann: am Glauben, an der Bibel, an der Kirche, an der Welt, am eigenen Leben. Die Landesregi­erung ist nicht im Angebot. Dabei ist Margot Käßmann, wie immer, groß auf der Titelseite zu sehen. Diesmal in grüner Jacke.

Die Frankfurte­r Buchmesse ist an folgenden Tagen für die Öffentlich­keit zugänglich: Samstag, 13. Oktober, 9.00 - 18.30 Uhr, Sonntag, 14. Oktober, 9.00 - 17.30 Uhr. Mehr unter: www.buchmesse.de

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FOTO: DPA Übergroße Buchstaben, die das georgische Alphabet interpreti­eren, sind der Blickfang im Ehrengast-Pavillon.

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