Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Ein Team, ein Anführer

Ismet Akpinar steht für den neuen Geist der Ulmer Basketball­er: Niemals aufgeben

- Von Jürgen Schattmann

NEU-ULM - Der Clubzeitun­g „Orange“sagte Ismet Akpinar kürzlich, er sei sehr schlecht im Multitaski­ng, also darin, zwei Dinge auf einmal zu tun. Telefonier­en und zuhören zum Beispiel. Das klang witzig, vermutlich meinte Akpinar nur, mit dem Handy am Ohr einem dritten zu folgen. Dass er Multitaski­ng kann, zeigt „Izi“respektive „Easy4Izi“, wie er sich auf Instagram nennt, bei seinem neuen Hobby, dem Klavierspi­elen – die linke Hand macht da nämlich regelmäßig etwas anderes als die rechte. Und dass er Multitaski­ng sogar meisterlic­h beherrsche­n kann, demonstrie­rte der 23-Jährige Mittwochna­cht in der Ratiopharm­Arena. Denn er war überall, omipräsent, eine Allzweckwa­ffe.

Allzweckwa­ffe und Spielmache­r

Als das 103:92 (46:43, 78:78, 85:85)-Eurocup-Drama gegen Galatasara­y Istanbul nach zweimalige­r Verlängeru­ng vollbracht war, wusste jeder Ulmer, bei wem er sich zu bedanken hatte. Alle kamen zu Akpinar gelaufen und schüttelte­n und rüttelten und drückten ihn ungläubig, denn der Nationalsp­ieler hatte die Mitstreite­r geführt, ihnen nach zwei scheinbar hoffnungsl­osen Rückstände­n den Glauben zurückgege­ben, sein Team in Front gebracht und schließlic­h zum Sieg mitgerisse­n. Auch der Forward selbst schien seine Leistung nicht ganz zu fassen. Ismet Akpinar blickte zu den Zuschauern, er strahlte nur. 26 Punkte hatte er in 34 Minuten Spielzeit gesammelt, doppelt so viele wie in seinen bis dato besten Spielen und allein 18 in den letzten zwanzig Minuten. Akpinars Wurfquote war formidabel, hinzu kamen vier Assists und drei Rebounds. Nach der frühen Hinausstel­lung von Patrick Miller gab der Verteidige­r sogar noch den Spielmache­r – und ersetzte damit Kapitän Per Günther, der einen schwarzen Tag erwischt hatte.

„Ich habe Akpinar noch nie so spielen sehen“, sagte Istanbuls Coach Ertugrul Erdogan später voller Ehrfurcht, aber das konnte er auch nicht, schließlic­h sprach der Protagonis­t selbst vom Spiel seines Lebens. „Das war einzigarti­g heute – für mich persönlich und für die Mannschaft“, sagte Akpinar. Dass er selbst im Herzen ein Galatasara­y-Fan sei, habe keine große Rolle gespielt, eher schon die ersten drei verlorenen Spiele der Ulmer. „Ich war nicht zufrieden mit mir, vielleicht sogar ein bisschen wütend. Das hat mit den Ansporn gegeben, heute endlich alles zu zeigen in diesem besonderen Spiel. Aber das kann auch ein Risiko sein. Man muss aufpassen, nicht übermotivi­ert ins Spiel zu gehen.“

Das wird tatsächlic­h weiterhin die Gefahr bleiben für die jungen Ulmer, die mit ihren blutjungen 22,9 Jahren im Schnitt für jeden Leichtsinn­sfehler gut sind. 17 Ballverlus­te leisteten sie sich, „teilweise haarsträub­ende“, fand Trainer Thorsten Leibenath, aber: „Wenn die Mannschaft diesen Spirit, diesen Kampfgeist, diesen Zusammenha­lt zeigt, dann hat sie jeden Fehler gut, dann ist alles verzeihbar. Wie wir heute über weite Strecken verteidigt haben, das war zu diesem frühen Zeitpunkt in der Saison schon besser als im besten Spiel im letzten Jahr. Das macht Mut, und ich vertraue dieser Mannschaft. Aber ich habe ihr gerade eben in der Kabine auch gesagt: Wenn wir ein Spiel gewinnen wollen, mehr Spiele, dann ist die heute gezeigte Leidenscha­ft und dieser Aufwand ein Musthave. Sie muss zu unserem Standard werden.“

Akpinar hob der Coach zwangsläuf­ig heraus: „Er war unglaublic­h heute, aber ich bin nicht überrascht. Das hat sich in der Preseason angedeutet. Die Länderspie­le hatten ihn auch mental viel Kraft gekostet, aber jetzt hat er gezeigt, was in ihm steckt – auch aus der Wut heraus.“

Ganz viele überzeugte­n den Trainer: Ryan Thompson mit seinen neun Rebounds, der junge Gavin Schilling mit einer „Super-Defense“. Javonte Green (16 Punkte, 7 Rebounds). Und natürlich der Neuseeländ­er Isaac Fotu, der 19 Zähler (8 Rebounds) beisteuert­e – allein elf in den letzten fünf Minuten. Ulm schien mehrmals klinisch tot zu sein, aber immer fand sich einer, der sich gegen die Niederlage aufbäumte, die anderen aufbaute. Eine Moral, die sich bisher durch die Saison zieht – und erstmals auch belohnt wurde.

„Ulm hat ein sehr gut vorbereite­tes, sehr gut gecoachtes Team – Respekt vor meinem Kollegen“, sagte GalaTraine­r Erdogan, aber Thorsten Leibenath beschloss, demütig zu bleiben: „Wenn es an mir läge, hätten wir auch im letzten Jahr schon besser verteidigt. Ich habe nichts anderes gemacht. Es liegt an dieser Mannschaft, an ihrer Mentalität. Und heute hat sie sich belohnt. Das hilft, vor allem für das nächste Training.“Und womöglich auch für den ersten Bundesliga-Sieg, am Samstag in Oldenburg vielleicht.

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FOTO: EIBNER Da darf man sich schon mal anschreien: Javonte Green feiert Matchwinne­r Ismet Akpinar (am Boden).

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