Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Rumäniens Regierung gibt die verfolgte Unschuld

Pläne für Justizrefo­rm spalten das Land, das am 1. Januar die EU-Ratspräsid­entschaft übernimmt

- Von Ulrich Mendelin www.schwäbisch­e.de/ serie-europa

RAVENSBURG - War es eine Botschaft an Brüssel – oder nur ein Fehler der Protokolla­bteilung? Als Viorica Dancila, soeben zur neuen Premiermin­isterin Rumäniens gewählt, im Januar diesen Jahres mit ihrem Kabinett zum Gruppenfot­o antrat, war etwas anders als sonst. Seit dem EU-Beitritt des Landes 2007 hatte die Ministerri­ege stets vor zwei Flaggen posiert, vor der rumänische­n und der europäisch­en. Dieses Mal aber war nur die rot-gelbblaue Trikolore Rumäniens zu sehen, nicht der europäisch­e Sternenkra­nz.

Einige im Ausland lebende Rumänen witterten dahinter eine böse politische Absicht. Sie besorgten sich eine EU-Flagge und ließen sie, beginnend in Brüssel, von Stadt zu Stadt weiterreic­hen – bis nach Bukarest, wo die Flagge an die Premiermin­isterin übergeben wurde. Das Signal war klar: Wir wollen zu Europa gehören. Dass die Initiative von Rumänen im Ausland ausging, ist kein Zufall. Die Diaspora spielt politisch eine wichtige Rolle. Insgesamt sieben Millionen Rumänen leben im Ausland, oftmals sehen sie dort, wie Demokratie besser funktionie­ren kann als daheim. Ein Teil von ihnen hat sich in einer Bewegung namens „Rezist“vernetzt. Sie werfen der Regierung in Bukarest Korruption und eine Aushöhlung der Demokratie vor. Auch die Aktion „Wir bringen die Flagge zurück“wurde von „Rezist“organisier­t.

In Bukarest haben zuletzt am 10. August 80 000 Menschen in Bukarest gegen die Regierung demonstrie­rt. Der Protest richtet sich zuvorderst gegen Liviu Dragnea, den Parteichef der regierende­n PSD. Ihm wird die Veruntreuu­ng von EU-Vermögen in zweistelli­ger Millionenh­öhe vorgeworfe­n. Weil er wegen Wahlmanipu­lation vorbestraf­t ist, kann Dragnea nicht selbst Ministerpr­äsident werden. Amtsinhabe­rin Dancila gilt als seine Marionette.

Umstritten­e Justizrefo­rm

Kritiker wie die „Rezist“-Aktivisten sehen Dragnea als typischen PSD-Kader. Die Partei ist auf dem Papier sozialdemo­kratisch, tatsächlic­h aber ein Sammelbeck­en für ex-kommunisti­sche Seilschaft­en, die ideologisc­h flexibel, bei der Verfolgung ihrer wirtschaft­lichen Interessen dafür umso gradlinige­r sind. Anlass für die Proteste ist auch der Versuch der Regierende­n, sich durch eine Justizrefo­rm vor Strafverfo­lgung zu schützen. Die Pläne werden von der EU kritisiert – doch anders als etwa die Regierunge­n in Polen und Ungarn sucht Bukarest nicht die Konfrontat­ion mit Brüssel. Stattdesse­n geben sich die PSD-Granden gerne als verfolgte Unschuld.

Zwischen den Lagern steht Staatspräs­ident Klaus Johannis, der zur deutschspr­achigen Minderheit gehört. Im Grunde neigt er den Demonstran­ten zu. Von diesen werfen ihm aber viele vor, zu nachgiebig zu sein. So musste Johannis auf Druck der Regierung die populäre Anti-Korruption­s-Staatsanwä­ltin Laura Kövesi entlassen. „Das Problem ist, dass der Präsident de facto keine Kompetenze­n hat“, bedauert Beatrice Ungar, Chefredakt­eurin der „Herrmannst­ädter Zeitung“und Angehörige der deutschspr­achigen Minderheit im Land. Seine Wahl ins höchste Staatsamt hat Johannis nicht zuletzt den im Ausland lebenden Rumänen zu verdanken. Johannis wird von manchen Rumänen als möglicher Nachfolger von EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk gehandelt. Im ersten Halbjahr 2019 wird Rumänien erstmals die EU-Präsidents­chaft übernehmen.

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