Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Wir sind in vielen Bereichen bereits abgehängt“

Gesche Joost, ehemalige Internetbe­auftragte der Bundesregi­erung, sieht Deutschlan­d im digitalen Bereich kritisch

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BERLIN - Die Designfors­cherin Gesche Joost leitet das Design Research Lab an der Universitä­t der Künste in Berlin. Von März

2014 bis Juni 2018 war sie Internetbo­tschafteri­n der Bundesregi­erung. Im Gespräch mit Thomas Block kritisiert sie, die Schritte in Richtung digitaler Bildung seien zu klein.

Wir haben nun eine Digital-Staatsmini­sterin. Wird jetzt alles gut?

Das wird sich zeigen – die Bundesregi­erung hat das Thema Digitalisi­erung an vielen Stellen platziert, Kommission­en und Räte wurden eingesetzt. Ob das ein effektives Modell ist, werden wir sehen. Bisher gibt es noch nicht viele Ergebnisse, eine Neufassung der digitalen Agenda steht noch aus. Die Arbeitspro­zesse der Gremien sind lang. Wenn wir sehen, was währenddes­sen in China und im Silicon Valley umgesetzt wird, sind wir zu langsam.

Ist Deutschlan­d digital abgehängt?

Vor ein paar Monaten hätte ich gesagt: Das wird schon. Vor Kurzem war ich allerdings in China unterwegs und muss leider sagen: Wir sind in vielen Bereichen bereits abgehängt. In Peking und Schanghai sieht man in der Praxis, wie Künstliche Intelligen­z im Alltag eingesetzt wird, etwa bei der Gesichtser­kennung oder bei digitalen Bezahlverf­ahren. Bitterer Weise in einem totalitäre­n System, in dem Bürgerrech­te und Privatsphä­re nicht gelten. Unsere Forschung in Deutschlan­d ist in diesem Bereich sehr gut aufgestell­t, aber der Transfer in erfolgreic­he Unternehme­nsgründung­en ist schleppend und unsere politische­n Weichenste­llungen sind zu langsam. Wenn heute die Bundesregi­erung sagt, wir wollen die Führerscha­ft im Bereich der Künstliche­n Intelligen­z verteidige­n, so ist das eine Fehleinsch­ätzung! Die deutsche Förderstra­tegie in diesem Bereich kann kaum internatio­nal konkurrier­en, viele Experten wandern ins Ausland ab und finden dort bessere Bedingunge­n vor.

Spaltet das Internet die Gesellscha­ft in Menschen, denen es nicht schnell genug gehen kann mit der Digitalisi­erung, und Menschen, denen alles viel zu schnell geht?

Ja, und diese digitale Spaltung ist ein wichtiges Thema, sie vertieft sich zunehmend. Trotzdem werden nur kleine Schritte in Richtung digitaler Bildung gemacht, durch die die Spaltung überwunden werden kann. Das können wir uns nicht leisten. Wenn ich lese, dass Kinder lieber auf Bäume klettern sollen und dass Gehirnzell­en sterben, wenn man mit dem Handy arbeitet, kann ich nur den Kopf schütteln. Damit werden Vorurteile zementiert und ein reflektier­ter und gestaltend­er Umgang mit digitalen Technologi­en verhindert.

Können Sie nicht verstehen, dass manche Menschen Angst haben?

Nein! Wirklich nicht! Wir haben diese Diskussion über die Medien seit Platon. Bei der Erfindung der Schriftspr­ache, dann bei der Erfindung des Buchdrucks, des Rundfunks, des Fernsehens. Was setzen wir denn bei unseren Kindern aufs Spiel, wenn wir ihnen nicht beibringen, das Internet kritisch zu reflektier­en und selbst aktiv zu gestalten? Die meisten sind ohnehin online, aber unbegleite­t.

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FOTO: DPA Gesche Joost

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