Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Macron warnt vor neuem Nationalis­mus

Frankreich­s Präsident beschwört beim Weltkriegs­gedenken internatio­nale Kooperatio­n

- Von Christine Longin und dpa

PARIS - Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron hat beim großen Pariser Weltkriegs­gedenken vor Nationalis­mus und einer Bedrohung des Friedens gewarnt. „Die alten Dämonen steigen wieder auf – bereit, ihr Werk von Chaos und Tod zu vollenden“, sagte Macron am Sonntag bei der Feier zum 100. Jahrestag des Waffenstil­lstands am Ende des Ersten Weltkriegs. Mehr als 60 Staatsund Regierungs­chefs hatten sich versammelt, unter ihnen Bundeskanz­lerin Angela Merkel und die Präsidente­n Russlands und der USA, Wladimir Putin und Donald Trump.

Macron blickte in seiner Rede länger auf den blutigen Konflikt zurück, der von 1914 bis 1918 dauerte. „In diesen vier Jahren hat sich Europa fast umgebracht“, resümierte er. In dem Krieg starben fast neun Millionen Soldaten und mehr als sechs Millionen Zivilisten.

Manchmal scheint es, als würde die Geschichte wieder ihren tragischen Verlauf nehmen und den Frieden bedrohen, sagte Macron. Rückzug auf sich selbst, Gewalt und Beherrschu­ng seien aber keine Lösung. „Patriotism­us ist genau das Gegenteil von Nationalis­mus. Der Nationalis­mus ist sein Verrat“, sagte Macron. Ein Fingerzeig an Trump, der sich kürzlich für den Satz bejubeln ließ: „Ich bin ein Nationalis­t.“

Macron rief in einem flammenden Appell eindringli­ch auf, für Frieden und eine bessere Welt zu kämpfen. Als konkrete Bedrohunge­n nannte er die Klimaerwär­mung, Armut, Hunger und die Ungleichhe­iten. „Es lebe der Frieden zwischen den Völkern und den Staaten“, rief er aus. Er bekannte sich ausdrückli­ch zur deutsch-französisc­hen Freundscha­ft, zur Europäisch­en Union und den Vereinten Nationen.

Mit einer Geste der Versöhnung hatten Merkel und Macron am Samstag der Opfer des Weltkriegs gedacht. Merkel bedankte sich bei Macron für die Einladung nach Compiègne, an die Stätte des Waffenstil­lstands von 1918. Es sei das erste Mal seit Gründung der Bundesrepu­blik, dass ein Kanzler mit dem französisc­hen Präsidente­n an diesem Ort gewesen sei, sagte sie in Paris. Das sei eine „symbolisch­e Geste“. „Insofern ist dieser Tag nicht nur Mahnung, sondern er ist auch Ansporn.“

Der Erste Weltkrieg gilt manchen Historiker­n als „Urkatastro­phe“des

20. Jahrhunder­ts. Millionen Menschen starben, die politische Landschaft veränderte sich radikal. Die Folgen im Überblick:

Zerfall der Imperien: Die Kaiserreic­he Österreich-Ungarn, Deutschlan­d und Russland sowie das Osmanische Reich brachen zusammen. Aus den Trümmern ging eine Vielzahl neuer Nationen besonders in Mitteleuro­pa und auf dem Balkan hervor.

Neue Weltmacht: Trotz des Sieges im „Great War“war Großbritan­nien danach nicht mehr die unbestritt­ene Weltmacht Nummer

1. Dieser Titel des hoch verschulde­ten Königreich­s ging allmählich an die USA.

Tote und Verwundete: Fast neun Millionen Soldaten und mehr als sechs Millionen Zivilisten starben. Deutschlan­d zählte an den Fronten mehr als zwei Millionen Tote. Österreich-Ungarn verlor fast 1,5 Millionen Mann. Die Gegner verloren insgesamt 5,3 Millionen Soldaten.

Hunger und Not: Die von England betriebene Seeblockad­e führte in Deutschlan­d zu Lebensmitt­elmangel und Versorgung­sproblemen bei Rohstoffen. 1915 kam es zu ersten Krawallen, ein Jahr später wurde etwa ein Drittel aller Lebensmitt­el auf dem Schwarzmar­kt gekauft.

Gebietsver­luste: Am Ende des Krieges büßte Deutschlan­d ein Siebtel seines Territoriu­ms und ein Zehntel der Bevölkerun­g ein: Im Westen ging Elsass-Lothringen an Frankreich, im Osten Posen und Westpreuße­n an Polen, das Memelgebie­t kam unter alliierte Kontrolle und ging später an Litauen, Danzig wurde dem Völkerbund unterstell­t. Das ehemals schlesisch­e Hultschine­r Ländchen wurde tschechosl­owakisch.

Kolonien: Nach dem Krieg teilten die Sieger die deutschen Kolonien unter sich auf, im Wesentlich­en acht Gebiete mit drei Millionen Quadratkil­ometern und gut zwölf Millionen Einwohnern. Die größten waren Ostafrika (heute Tansania, Burundi, Ruanda), Südwestafr­ika (heute Namibia), Kamerun sowie Neuguinea (heute Papua-Neuguinea). (dpa)

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FOTO: DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron in der Waldlichtu­ng nahe der nordfranzö­sischen Stadt Compiègne, wo vor 100 Jahren der Waffenstil­lstand unterschri­eben wurde: „Patriotism­us ist genau das Gegenteil von Nationalis­mus.“

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