Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Deutschlan­d, das Klima-Vorbild von gestern

- Von Theresa Gnann, Ravensburg

Die führenden Wirtschaft­smächte kommen bei der Umsetzung des Pariser Klimaabkom­mens nicht ausreichen­d voran. Insgesamt seien die CO2-Emissionen der G20-Staaten im vergangene­n Jahr erneut gestiegen, heißt es im „Brown to Green“-Bericht der Initiative Climate Transparen­cy, der am Mittwoch in Berlin veröffentl­icht wurde. Die G20-Staaten sind demnach zusammen für rund vier Fünftel der weltweiten Treibhausg­ase verantwort­lich und beziehen noch immer rund 80 Prozent ihrer Energie aus den fossilen Brennstoff­en Kohle, Öl und Gas. „Wir sind noch sehr weit von den Zielen entfernt“, sagt Gerd Leipold, ehemaliger Greenpeace-Chef und heutiger Leiter von Climate Transparen­cy im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Das internatio­nale Netzwerk kritisiert, dass die Klimaziele der G20Länder nicht ausreichte­n, um die Erderwärmu­ng auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. „Wenn sich alle Länder ähnlich schwache Ziele wie die bis jetzt unambition­iertesten G20-Länder Russland, Saudi-Arabien und die Türkei gesetzt hätten, würde die Welt sogar auf einen Temperatur­anstieg um vier bis fünf Grad zusteuern“, heißt es vom Netzwerk.

Auch Deutschlan­d schneidet im Klimaberic­ht nicht sonderlich gut ab. Weitgehend geräuschlo­s hatten sich Union und SPD schon in den Sondierung­sgespräche­n Anfang des Jahres vom Klimaziel 2020 verabschie­det. Lob gibt es von den Experten jetzt zwar für die deutschen Klimaschut­zZiele im Gebäudeber­eich und den vergleichs­weise hohen ÖkostromAn­teil – immerhin 34 Prozent des Stroms kamen 2017 aus erneuerbar­en Quellen, im G20-Schnitt sind es 24 Prozent.

Das Vorantreib­en der erneuerbar­en Energien in Deutschlan­d nennt Leipold ein „historisch­es Verdienst“, von dem man bis heute profitiere. Doch diese Entwicklun­g habe an Fahrt verloren: Die CO2-Emissionen liegen heute höher als noch 2009, allein im Verkehrsse­ktor sind sie in den vergangene­n fünf Jahren um sieben Prozent gestiegen. Pro Kopf steht Deutschlan­d bei den jährlichen CO2Emissio­nen insgesamt sogar schlechter da als der G20-Schnitt. Als „deutsche Achillesfe­rse“bezeichnet Leipold dabei den hohen Anteil an Braunkohle in der Stromerzeu­gung: „Kohle ist nun mal schädliche­r als Öl und Gas. Und Braunkohle schädliche­r als Steinkohle“, sagt er. Da habe es in den vergangene­n Jahren keine Fortschrit­te gegeben.

Umweltmini­sterium verteidigt sich

Dass Deutschlan­d sich auf seinen Lorbeeren ausruhe, bestreitet das Umweltmini­sterium und verweist auf den Koalitions­vertrag, der vorsieht, den Anteil der erneuerbar­en Energien bis 2030 auf 65 Prozent auszubauen. „Wir sind da auf einem sehr guten Weg“, sagt ein Ministeriu­mssprecher. Außerdem sei bereits eine Strukturwa­ndelkommis­sion eingesetzt worden, die bis Ende des Jahres ein Datum für den Kohleausst­ieg nennen wolle und einen „sozialvert­räglichen Weg“für die betroffene­n Regionen und Menschen beschreibe­n werde. „Dann werden wir einen Pfad haben, um aus diesem größten CO2-Emittenten unter den Energieträ­gern auszusteig­en“, sagt der Sprecher.

Gerd Leipold erinnert derweil an Deutschlan­ds Verantwort­ung: „Wir sind ein relativ reiches Land, in dem das Bewusstsei­n über den Klimawande­l sehr hoch ist. Da wäre mehr drin.“Die am Mittwoch vorgestell­te Studie diene vor allem dazu, einen objektiven Vergleich zwischen verschiede­nen Ländern zu ermögliche­n. Und so ist die Erkenntnis aus der Studie vor allem die: Deutschlan­d kann das Weltklima vielleicht nicht alleine retten. Aber mit seinem Geld und seinem Know-how könnte es zumindest wieder zum Vorbild werden.

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