Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Aus der Zeit gefallen

Konvention­ell gestrickt, aber mit feinem britischen Humor: Der Musikfilm „Juliet, Naked“

- Von Dieter Kleibauer

Rockstars wie Tucker Crowe gibt es heute ja nicht mehr. Nimmt ein legendenum­wobenes Album in den frühen 19ern auf – und ist seitdem für Jahre verschwund­en. Kein Lebenszeic­hen. Fans, fast ausnahmslo­s Männer, finden sich im Internet zusammen, sammeln jeden Hinweis, ergehen sich in Verehrung, doch Crowe ist wie vom Erdboden verschwund­en. Bis er auf einmal wieder mit neuen Songs da ist. Und damit eine veritable Krise eines englischen Paars auslöst.

„Juliet, Naked“ist ein altmodisch­er Film, aus analogen Zeiten, als Musiker noch sogenannte Platten einspielte­n. Bei Tucker Crowes neuer CD nach dem langen Schweigen ist es zufällig die Freundin eines Hardcore-Fans, die distanzier­t und durchaus ihren Freund als Adressaten meinend eine erste Rezension im Netz schreibt und die Aufnahmen herunterpu­tzt, während die Anhänger in kritiklose­r Bewunderun­g erstarren. Dann die Überraschu­ng: Tucker Crowe selbst liest ihre Kritik, teilt sie und nimmt über den Atlantik hinweg Kontakt mit ihr auf, weil er sich verstanden fühlt. Und eine Dreiecksge­schichte nimmt ihren Lauf.

Der Film basiert auf einem Roman des englischen Schriftste­llers Nick Hornby („High Fidelity“, „Fever Pitch“) und ist eine solide konstruier­te romantisch­e Komödie geworden. Sorgfältig bis in die Nebenfigur­en besetzt, nehmen Rose Byrne als verhuschte Bibliothek­arin Annie in einem putzigen englischen Küstenstäd­tchen und Ethan Hawke als leicht schratiger Musiker den Zuschauer für sich ein. Das ist alles überaus konvention­ell, aber gut gebaut, meist mit britischem Witz, manchmal sentimenta­l – etwa wenn Ethan Hawke (mit seiner eigenen Stimme) seiner englischen Freundin eine schöne Version von „Waterloo Sunset“der Kinks vorsingt.

Eine gute Komödie ist mehr als eine Ansammlung von Gags und zündenden Dialogen – hier steht eine Emanzipati­onsgeschic­hte dahinter, denn Annie bricht aus einem langweilig­en, eingefahre­nen Leben aus, in dem ihr Partner Duncan zunehmend verharrt. Ein solcher Ausbruch bedeutet auch: Opfer bringen, etwas hinter sich lassen, Fesseln lösen. Dabei wird Duncan, auf seine Weise verschrobe­n wie sein Idol, nicht zum Idioten gemacht, sondern zu einem sympathisc­hen, wenngleich nicht sehr sensiblen Loser.

Ein Film über einen Musiker muss auf gutem Songmateri­al aufbauen. In „Juliet, Naked“haben die Produzente­n und Regisseur Jesse Peretz ein paar bekannte Songwriter angesproch­en, die Material zur Verfügung gestellt haben – nicht die schlechtes­ten Autoren wie Ryan Adams, Conor Oberst, M. Ward oder Robyn Hitchcock, deren Namen die musikalisc­he Richtung vorgeben: Leicht countryfiz­iert, ein wenig grungig, klassische­r Songwriter-mit-Band-Stoff. Ein Film, der rockt.

Juliet, Naked. Regie: Jesse Peretz. Mit Rose Byrne, Ethan Hawke, Chris O’Dowd. USA 2018. 105 Minuten. Ohne Altersbesc­hränkung.

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FOTO: PROKINO Sie kommen sich näher als zunächst geplant: Rockstar Tucker Crowe (Ethan Hawke) und Annie (Rose Byrne).

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