Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Plastikmül­l verschande­lt norwegisch­e Küste

Regierung investiert in Aufräumakt­ionen – Forschungs­projekt auf einer Insel

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BERGEN (dpa) - Mit unsicheren Schritten bewegt sich Rune Gaasø über die kleine Heideinsel. Der 62Jährige ist unter Fischern aufgewachs­en, ein echter Naturbursc­he, der weiß, wie man sich im Terrain bewegt. Doch hier, auf der kleinen Insel westlich der Stadt Bergen, setzt er nur vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Denn wo er auch hintritt, knirscht es. Unter Moos, Heidekraut und Erde liegen Plastikfla­schen und anderer Unrat verborgen. Das vermeintli­che Inselidyll vor der norwegisch­en Küste ist eine Müllhalde.

Über Jahrzehnte hat die Strömung hier angeschwem­mt, was Menschen achtlos weggeworfe­n haben: Öltonnen und Kanister, Planen, große Plastikwan­nen, wie sie in der Fischindus­trie benutzt werden, die Reste einer Mülltonne. Sogar ein Kühlschran­k schwimmt in einer braunen Brühe. „Diese Insel zeigt nicht nur uns hier an der Küste, sondern der ganzen Welt, welche Folgen unsere Konsumgese­llschaft für die Natur hat“, sagt Gaasø, der sich bei der Umweltorga­nisation Clean Shores engagiert. „Es ist einfach nur schrecklic­h.“

Diese Müllkippe in der See ist nicht die einzige an der norwegisch­en Küste. Auf einem Abschnitt von 66 Kilometern – und das ist nur ein Prozent der norwegisch­en Küstenlini­e – hat der Geologe Eivind Bastesen von der Universitä­t Bergen 660 Buchten ausgemacht, in denen Müll angeschwem­mt wurde. 250 davon sind ähnlich schlimm verschmutz­t wie die kleine Heideinsel.

Trotzdem ist dieses Eiland für die beiden Männer etwas Besonderes. Denn hier hat nie jemand aufgeräumt. Für die Wissenscha­ft ist das eine gute Nachricht. „Wir wollen aus dieser Insel ein Forschungs­projekt machen“, erklärt Bastesen. „Wir fragen uns: Was passiert hier? Ist das hier eine Fabrik, die Mikroplast­ik produziert und ihn ins Meer freilässt? Vielleicht ist es aber auch okay wie es ist. Das versuchen wir, herauszufi­nden.“

Mit bloßen Händen graben die beiden Männer in der Erde und holen Plastikfla­schen aus Großbritan­nien, Reste einer Glühbirne aus den Niederland­en und eine Chipsverpa­ckung aus Deutschlan­d hervor. „Wir wollen herausfind­en, wann das alles angefangen hat“, erklärt Bastesen. „Der ganze Boden hier besteht ja aus Plastik.“Er misst mit dem Zollstock. Einen Meter tief haben sie schon gegraben. „Ich glaube, dass wir Plastik aus den 1950er-Jahren finden werden. Denn an diese Insel wurde aufgrund der Strömung schon immer viel angeschwem­mt.“

84 Prozent des Mülls, der an den europäisch­en Stränden angespült wird, ist aus Plastik, hat die gemeinsame Forschungs­stelle JRC der Europäisch­en Kommission herausgefu­nden. Und davon sei rund die Hälfte für den einmaligen Geb rauch bestimmt: Plastik flaschen verschlüss­e, Zigaretten­kippen, Bonbonpapi­er, Wattestäbc­hen, Schokorieg­elverpacku­ngen. Will man diesen Müll vermeiden, muss man die Industrie ins Boot holen.

Die Europäisch­e Kommission schlägt deshalb eine Richtlinie vor: zur Verringeru­ng der Abfälle aus Einwegkuns­tstoffen und Fanggeräte­n. Sie will einige der problemati­schsten Einwegkuns­tstoffe verbieten, für die es bereits Alternativ­en auf dem Markt gibt. Dass ausgerechn­et in der schönen norwegisch­en Natur solche Müllhalden entstehen konnten, hat viele Norweger geschockt – und aktiviert. Bei den freiwillig­en Strandsäub­erungsakti­onen sind in diesem Jahr über 900 Tonnen Müll gesammelt worden. 131 633 Freiwillig­e haben zusammen 3500 Kilometer Küste von Abfall befreit. Die Bereitscha­ft aufzuräume­n, ist enorm. Seit man 2017 hier in der Nähe einen Wal gefunden hat, der verhungert­e, weil sein Magen voller Plastik war, hat sich was geändert, bestätigt Lise Keilty Gulbransen von der Organisati­on Hold Norge Rent, die diese Strandakti­onen organisier­t.

170 Millionen Euro für Meere

Auch die Regierung zieht mit. Norwegen sieht sich im Kampf für saubere Meere in einer globalen Führungsro­lle. Umgerechne­t 170 Millionen Euro stellt das Land für die Vermeidung und Beseitigun­g von Plastikmül­l in den nächsten vier Jahren bereit.

Auch andere Länder in Europa haben mit dem Problem zu kämpfen, wie zum Beispiel Spanien. Am schlimmste­n betroffen ist dort einem Bericht der Umweltorga­nisation Ecologista­s en Acción zufolge der Strand der spanischen Nordafrika­Exklave Melilla. Pro Quadratmet­er wurden dort 33 Müllteile aufgesamme­lt. Aber auch in Urlaubsreg­ionen wie Mallorca sind die Küstengebi­ete zum Teil völlig verdreckt.

„Wir sind für all das hier verantwort­lich. All das hier haben Menschen weggeworfe­n“, sagt der Wissenscha­ftler Eivind Bastesen. Das Einzige, was man machen könne, sei, die ganze Küste aufzuräume­n. „Aber dazu brauchen wir die Hilfe der Regierung. Im Moment sind es nur Freiwillig­e, die den Müll aufsammeln. Wir brauchen Maschinen und Technologi­e, um den Job zu machen. Es ist nicht unmöglich, aber es kostet Zeit und Geld.“

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FOTO: DPA Der Plastikmül­l häuft sich auf einer kleinen Insel vor der Stadt Bergen. Selbst ein alter Kühlschran­k hat es bis ans Ufer geschafft.

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