Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Tradition lebt in der „Heimatküch­e“weiter

Das Gasthaus „Neuhaus“in Bechingen auf dem Sprung in die Neuzeit

- Von Marion Buck

BECHINGEN - Welche Bedeutung hat ein Dorfgastha­us für die Bevölkerun­g im ländlichen Raum? Dieser Frage spürten die Gäste bei der Einweihung­sfeier der Heimatküch­e in Bechingen nach. Neben Vertretern aus Politik, Kirche, Handwerker­n, der Familie, den Vereinen und der Nachbarsch­aft hatte die neue Wirtin Inge Tress auch Moderatori­n Sonja Faber-Schrecklei­n eingeladen. Wie verbunden die Bechinger mit ihrer Traditions­gaststätte sind, zeigte sich am Dienstagab­end bereits von Weitem. Der Musikverei­n war aufmarschi­ert und spielte ein Ständchen, die Dorfbewohn­er hatten sich eingefunde­n und wärmten sich am Glühwein-Glas. Eingeladen hatte zur Eröffnung der neuen „Heimatküch­e“Inge Tress, die Tochter von Lisel und Albert Hänle, der das Neuhaus 63 Jahre lang umtrieb und landauf, landab als gastronomi­sches Urgestein gilt. Im Frühjahr war er 86 Jahre alt geworden. Deshalb machte sich die Familie Tress/Hänle Gedanken: „Was machen wir mit dem Opa und der Wirtschaft?“

Entgegen vieler anderer Dörfer, in denen alte Traditions­gaststätte­n leer stehen, wurde im Familienve­rbund beschlosse­n, aus dem „Neuhaus“die „Heimatküch­e“zu machen. Inge Tress, die vor 39 Jahren auf die Schwäbisch­e Alb geheiratet hat, sagte am Eröffnungs­abend, es sei eine lange Entscheidu­ng im Familienve­rbund gewesen. Rückhalt habe sie auch in der Zell-Bechinger Bevölkerun­g bekommen, die ihr klar signalisie­rte: „Wir möchten und wir brauchen die Wirtschaft.“Als der Entschluss feststand, dass Alberts Tochter das Ruder im Gasthaus übernimmt, wurde geklotzt, nicht gekleckert. Die Gaststätte wurde umgebaut, auf 100 Prozent Bio umgestellt und auf der Karte finden sich Gerichte, die in der Region gerne gegessen werden. Wichtig ist der neuen Wirtin, Traditione­n zu pflegen und Gäste mit Begeisteru­ng zu gewinnen. Dank richtete Inge Tress an ihren Vater. „Für ihn ist es nicht immer ganz einfach, wie ich mich durchsetze.“

Zur Einweihung waren neben den Bürgermeis­tern Matthias Henne aus Zwiefalten und Marcus Schafft aus Riedlingen, Regierungs­vizepräsid­ent Utz Remlinger und der Biberacher Landrat, Heiko Schmid, geladen. Er habe schon viele Wirtschaft­en gehen, nur wenige kommen sehen, sagte er. Die Schuld daran gibt er auch den Vereinshei­men und Dorfgemein­schaftshäu­sern. „Die sind der Exitus für viele Dorfgastst­ätten“, so Schmid. Die Familie Tress zeichne der Zusammenha­lt in der Familie, die Qualität der Produkte und Mut aus. Die Segnung der „Heimatküch­e“übernahm Weihbischo­f Thomas Maria Renz, der der Familie Tress seit vielen Jahren freundscha­ftlich verbunden ist. Er verstehe unter einer Dorfwirtsc­haft, dass man willkommen sei, dass es gemütlich zugehe und man sich als Gast wohl fühle. „Als Fremder kommt man und als Freund geht man“, sagte Renz.

Sonja Faber-Schrecklei­n, eine „spezielle Freundin“der Wirtin, plauderte mit den Gästen über die Bedeutung der Dorfwirtsc­haft und eines Stammtisch­es und mit Albert Hänle darüber, wie es früher in der Wirtschaft zuging. Von Fritz Engelhardt, dem Präsidente­n des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbands Baden-Württember­g, wollte sie wissen, was eine Dorfwirtsc­haft haben müsse?

„Wenn ich das wüsste, wäre ich nicht Präsident der Dehoga“, sagte Engelhardt. Wenn er ein Konzept für den Erfolg hätte, würde er das vermarkten und im Liegestuhl in der Sonne liegen. Er nannte verschiede­ne Faktoren, warum eine Dorfwirtsc­haft nicht mehr funktionie­re: Landflucht, veränderte­s Verbrauche­rverhalten und die sozialen Medien. Ziel müsse sein, junge Menschen an den Stammtisch zu bringen.

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