Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Immer derselbe Rivale
Thomas Müller hat im Löw- und Kovac-Team keinen leichten Stand gegen Serge Gnabry
LEIPZIG (SID/dpa) - „Müller, Müller“, schrien die 50 Kinder, als sich Thomas Müller in der Sporthalle des SV Lindenau durch einen abgesteckten Parcours schlängelte. Dann lupfte der Nationalspieler den Ball aus drei Metern aber nur an die Latte des kleinen Tores, und ein lautes „Ohhhh“erfüllte den Raum. Als Müller dann auch noch ein Okocha-Trick gründlich misslang, kicherte sogar das ein oder andere Kind. „Im normalen Spiel darf ich ja auch flach schießen. Ich hätte schon gerne ein Tor gemacht, so ist es nicht“, sagte Müller nach dem Vereinsbesuch vor dem Länderspiel heute (20.45 Uhr/RTL) in Leipzig gegen Russland, dem am Montag (20.45/ARD) das Nations-League-Duell auf Schalke gegen Holland folgt.
Jedes noch so kleine Erfolgserlebnis ist beim Torjäger a.D. derzeit herzlich willkommen. In der Bundesliga hat der Profi von Bayern München seit Anfang September nicht mehr getroffen, im Trikot der Nationalmannschaft wartet Müller sogar seit acht Monaten auf ein Tor.
Dass das nur ein vorübergehendes Tief ist, das alle Stürmer mal befällt, glauben nur noch die wenigsten. Seit der für ihn persönlich miserabel verlaufenden EM 2016 sucht Müller verzweifelt nach seiner Form und seinem Torriecher. Die Folge: Das von Louis van Gaal einst formulierte Diktum „Müller spielt immer“gilt nicht mehr – weder bei Bayern München noch in der Nationalmannschaft.
In beiden Teams hat ihm zurzeit Serge Gnabry den Rang abgelaufen. Der sechs Jahre jüngere Offensivspieler wurde zuletzt sowohl von BayernCoach Niko Kovac als auch von Bundestrainer Joachim Löw von Beginn an aufgestellt, während Müller auf der Bank saß. Ein schlechtes Gewissen hat Gnabry deswegen nicht: „Wenn ich draußen sitze, ist doch auch ein Hochkaräter draußen, oder?“
Das Selbstvertrauen des Sohnes eines Ivorers und einer Schwäbin dürfte trotz der 2:3-Niederlage im Gipfeltreffen der Bayern in Dortmund nochmal gestiegen sein. Gnabry leitete beide Bayern-Tore ein und begeisterte auch Löw: „Wenn er so weiter macht, wird er in Zukunft für die Nationalmannschaft ein extrem wichtiger Spieler sein.“So wie Dortmunds Marco Reus, der aber zumindest heute wegen einer Mittelfußprellung ausfallen wird.
Müller agierte gegen Dortmund wieder einmal fleißig, aber glücklos. Als 21-Jähriger hatte er sich mal als „Raumdeuter“bezeichnet, der einen „gewissen Instinkt, ein Gefühl für die Räume“besitzt. Diese Fähigkeiten besitzt Müller noch immer, nur kommt er oft eine Fußspitze zu spät, vertändelt im entscheidenden Moment den Ball oder wird von seinen Mitspielern übersehen. Wenn Müller aber keine Torgefahr ausstrahlt, hat er nicht mehr viele Argumente für einen Platz in der Startelf, auch wenn Gattin Lisa in ihrem Instagram-Posting das naturgemäß anders sah. Vor allem die Jokerrolle beim 1:2 Mitte Oktober bei Weltmeister Frankreich hat ihm deutlich vor Augen geführt, dass der unabwendbare Umbruch im Nationalteam auch seine Person betreffen könnte. Müller akzeptiert dies – vorerst.
„Es geht immer darum, das Spiel auf die gegnerische Mannschaft zuzuschneiden und das richtige System dafür zu wählen“, sagte er: „An sich ist das gegen Frankreich auch sehr gut aufgegangen.“Gnabry, Leroy Sane und Timo Werner begeisterten die Fans mit ihrem schnellen Konterspiel, einen Treffer erzielte allerdings keiner von ihnen.
Die Talente werden weniger
Führungskräfte sind sie noch nicht, Löw zögert bei der Frage: „Man muss die nächsten Jahre abwarten“, sagte er. „Am weitesten, was die Reife betrifft, ist Joshua Kimmich. Er ist schon sehr stabil über die letzten zwei, drei Jahre. Er spielt regelmäßig, hat bei den Bayern eine wichtige Rolle eingenommen. Auch Leon Goretzka ist jemand, dem ich das zutraue. Dazu benötigt es konstante Leistungen im Club auch international und im Nationalteam. Das ist ein Prozess.“Insgesamt gebe es im Moment auch nicht „die Fülle an hochkarätigen deutschen Talenten. Da sind einige dabei, aber nicht in der Anzahl wie früher.“
Mögliche Aufstellungen Deutschland: Neuer/Bayern (32 Jahre/82 Länderspiele) - Ginter/ Gladbach (24/22), Süle/Bayern (23/14), Rüdiger/Chelsea (25/27), Hector/Köln (28/41) - Kimmich/ Bayern (23/36), Goretzka/Bayern (23/17) - Gnabry/Bayern (23/3), Havertz/Leverkusen (19/1), Sane/ Manchester City (22/15) - Werner/ Leipzig (22/21).
Russland: Lunew/St. Petersburg Nababkin/ZSKA Moskau, Dschikia/ Spartak (24/11), Neustädter/Fenerbahce (30/10), Rausch/Dynamo (28/8) - Gasinskij/Krasnodar (29/14) - Ionow/Rostow (29/15), Anton Mirantschuk/Lok Moskau (23/6), Alexej Mirantschuk/Lok (23/19), Jerochin/St. Petersburg (29/21) Tschalow/ZSKA (20/0).