Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Die Fronten gewechselt

Die Russen Roman Neustädter und Konstantin Rausch spielten einst für Deutschlan­d

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LEIPZIG (SID) - Mehr als fünf Jahre ist es her, als Roman Neustädter noch auf der anderen Seite stand. Als deutscher Fußball-Nationalsp­ieler feierte er am 29. Mai 2013 sein Startelfde­büt im warmen US-Küstenstäd­tchen Boca Raton beim 4:2-Sieg gegen Ecuador. Danach änderte sich alles. Nie wieder sollte Neustädter für Deutschlan­d spielen. Mittlerwei­le hat er den Bundesadle­r längst gegen die russische Doppelkopf-Version eingetausc­ht. Ganz verblichen ist seine Liebe zu Deutschlan­d aber nie, weshalb ihn das Gastspiel der Sbornaja heute (20.45 Uhr/RTL) in Leipzig durchaus anfasst.

„Es wird sehr speziell, sehr emotional. Ich kenne die deutschen Spieler, kenne Jogi Löw. Ich habe einen großen Teil meines Lebens hier verbracht“, sagt Neustädter vor dem Duell. Zwei Länderspie­le absolviert­e er unter Bundestrai­ner Löw, Testpartie­n – weswegen der Wechsel nach Russland, der Heimat seiner Mutter, leicht fiel. Eine große Sache will er nicht daraus machen. „Ich habe mich nie ganz als Deutscher gefühlt oder ganz als Russe“, sagt der Abwehrspie­ler.

Er kennt beide Welten, musste sich in beiden zurechtfin­den, nachdem die Familie aus seinem Geburtslan­d Ukraine nach Karlsruhe kam. Neustädter war vier Jahre alt. In Deutschlan­d wuchs der heute 30-Jährige zum Fußball-Profi heran, spielte in der Bundesliga für Mainz, Schalke und Mönchengla­dbach. Als die Perspektiv­e im Löw-Team fehlte, musste Veränderun­g her. Die Russen konnten einen Kämpfer wie ihn gut gebrauchen, weswegen Neustädter sich vor der EM 2016 einbürgern ließ.

Der Anfang war allerdings schwer: „Die Mitspieler in der Kabine haben mich nicht sofort akzeptiert, sie dachten, ich lasse mich fix einbürgern, um mal eine EM zu spielen“, erinnerte sich der Profi von Fenerbahce Istanbul: „Sie wussten auch nicht, dass ich fließend Russisch spreche. Mittlerwei­le bin ich in der Mannschaft total akzeptiert und anerkannt.“

Und er hat einen Gleichgesi­nnten gefunden: Konstantin Rausch. Von der U16 bis U21 war der Ex-Stuttgarte­r für Deutschlan­d aktiv, dann war Schluss. Erst 2017 erfüllte sich der Wunsch des 28-Jährigen nach einer internatio­nalen A-Laufbahn mit dem Anruf von Russlands Trainer Stanislaw Tschertsch­essow. Wie Neustädter wurde Linksverte­idiger Rausch, der heute bei Dynamo Moskau spielt, in der ehemaligen Sowjetunio­n geboren.

Überzeugte­r Hymnensäng­er

Bei solchen Biographie­n den Spagat zwischen den Kulturen zu schaffen, dürfte sich manch Außenstehe­nder schwierig vorstellen. Neustädter ist da jedoch recht pragmatisc­h. Die russische Hymne singt er kräftig mit. „Ja klar, ich spiele schließlic­h für mein Land. Da ist es angebracht, mitzusinge­n. Ich habe übrigens auch gesungen, als ich für Deutschlan­d gespielt habe.“Stolz ist der Defensiv-Allrounder – auf sein Land, aber mit Sicherheit auch auf seine Karriere.

Kann er auch sein, immerhin hat er sich wie Rausch nach verpasster Heim-WM wieder in den Kader gekämpft. Ihr Stand im Team war nicht immer einfach. Im März waren beide wegen eines nächtliche­n Ausflugs in Moskau nach einer 0:3-Pleite gegen Brasilien mit einer Geldstrafe belegt worden. Der Zorn von Diziplinfa­natiker Tschertsch­essow war ihnen gewiss. Doch das haben sie hinter sich gelassen.

Das Duell mit der Vergangenh­eit in Leipzig ist deshalb so wertvoll für Neustädter und Rausch, weil es eben auch Teil ihrer Zukunft ist. Vielleicht ist es sogar so etwas wie eine Rückkehr auf Raten. „Am Ende meiner Karriere noch mal für ein oder zwei Jahre in die Bundesliga, das wäre ein Traum“, sagte Neustädter: „Aber nur, wenn ich noch fit genug dafür bin.“

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FOTOS: AFP Zwischen den Welten: Roman Neustädter (li.) und Konstantin Rausch.
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