Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Fehlender Sportbeutel kann ein Zeichen für Armut sein
Tag der Kinderrechte mahnt Verbesserung der Lebensverhältnisse von Kindern auch in Bad Saulgau an – Helfen durch Schokoladenkauf
BAD SAULGAU - Am heutigen UNWeltkindertag geht es vor allem darum, die Rechte der Kinder weltweit zu stärken und auf ihre Lebensbedingungen aufmerksam zu machen, auch in den vergleichsweise reichen Industrieländern. Auch dort liegt vieles im Argen. Etwa, wenn das Geld in den Familien nicht reicht, um wärmende Winterkleidung für die Kinder zu kaufen. Derlei Situationen gibt es auch in Bad Saulgau.
Nahezu jedes fünfte Kind in Baden-Württemberg ist von Armut bedroht. Das heißt, diese Kinder wachsen in einem Haushalt auf, in dem weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens im Land zur Verfügung stehen. Andrea Hehnle vom Caritas-Zentrum in Bad Saulgau schätzt, dass es in Bad Saulgau vermutlich weniger sind und die Zahl nicht ganz so drastisch ist. „Aber auch hier versuchen die Eltern, die Armut, so gut es geht, zu vertuschen“, sagt die Sozialarbeiterin. Und das in einem „so reichen Land“. Sie schiebt einen Satz hinterher, der nicht weniger nachdenklich macht: „Wer Kinderarmut sät, wird Altersarmut ernten“. Die zweite Hartz-IV-Generation sei, wenn weiterhin weggeschaut wird, vorprogrammiert, ganz nach dem Motto „einmal arm, immer arm“.
Deshalb sollte sich, so Hehnle, jeder verantwortlich fühlen. Hellhörig sollten Erzieherinnen wie Lehrer etwa dann werden, wenn ein Kind immer und immer wieder seinen Turnbeutel oder seine Schwimmsachen vergisst oder das Geld für die Klassenfahrt nicht mitgebracht wird. „Oft stellt sich heraus, dass es gar keinen Turnbeutel oder keine Badehose gibt, weil es das zur Verfügung stehende Budget der Familie nicht zulässt“, sagt Hehnle.
Vom Bildungs- und Teilhabepaket hält sie wenig. Das sei schlicht der „falsche Ansatz und rundweg diskriminierend“. Doch wer ist besonders armutsgefährdet? Es sind auch hier vor Ort alleinerziehende Frauen und Männer. Oder Flüchtlinge. Oder Familien, die trotz Vollzeit-Jobs nicht genug verdienen, um alle Kosten auffangen zu können, allem voran die Mieten, die permanent steigen. Daran, dass die Lebenssituation von Kindern in Deutschland nach wie vor entscheidend von der sozialen Herkunft geprägt wird und die Lebensverhältnisse in Deutschland hochgradig unterschiedlich sind, hat sich laut des aktuellen „Datenreport 2018“nichts geändert. „Für eine reiche Volkswirtschaft wie Deutschland ein mehr als beschämender Befund“, heißt es dort. Das sieht der Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart nicht anders.
Initiative macht Kinder stark
Deshalb hat der Verband die Machdich-stark-Initiative für Kinder im Südwesten ins Leben gerufen. Im Mittelpunkt steht ein Riegel feiner Schokolade, knallrot und mit dicker Aufschrift „StarkMacherSchokolade“versehen. Die süße Nascherei gibt es aktuell im Weltladen Asante zu kaufen. Rund 20 Prozent der Einnahmen gehen an Mach-dich-starkProjekte vor Ort. In Bad Saulgau fließt das Geld direkt in das Projekt Kinderchancen. Hier geht das Geld, so Andrea Hehnle, an Familien, die sich im Paten-Projekt befinden. Aber auch unabhängig von diesem Projekt wird den Kindern auf vielfältige Weise geholfen, zum Beispiel bei der Anschaffung von Winterkleidung oder Sportschuhen für den Unterricht. Hehnle verweist in diesem Zusammenhang auf die Bruder-KonradStiftung, die in wenigen Tagen in Bad Saulgau offiziell gegründet wird.
Manchem fehlt die warme Jacke
Für die Heilpädagogin ist Kinderarmut in „unserem reichen Land ein Skandal“. Das sehen nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder so. „Auch bei uns an der Schule gibt es Kinder, die nicht so viel Geld haben“, sagt die achtjährige Katharina, „zu essen haben sie schon, aber oft keine neue Kleidung oder Schuhe, manche haben nicht mal eine richtig warme Jacke“. Das macht auch ihre Schwester Johanna traurig. Beide besuchen die Berta-Hummel-Schule und haben zwangsläufig schon Bilder von Kindern gesehen, die sterben, weil sie nichts zu essen haben. Oder von Kindern, die auf der Straße schlafen müssen. „Und bei uns wird so viel Essen weggeworfen“, sagt Johanna. Auch an ihrer Schule hat sie das schon beobachtet.
Kerstin Türk, Mutter von zwei Kindern, beobachtet nicht nur materielle Armut, sondern auch eine große emotionale Bedürftigkeit. Viel zu oft würden Kinder mit ihren Anliegen alleingelassen. Sie ist dankbar für jede Unterstützung, etwa für das Ein-Euro-Essen an der Berta-Hummel-Schule oder Angebote der Caritas, und wünscht sich, dass Eltern diese Hilfe ohne jede falsche Scham auch annehmen.