Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Klaus Nerlich nimmt Abschied
Krankheitshalber hört der Querdenker im Gemeinderat auf und blickt zurück.
- Klaus Nerlich (65), Stadtrat der CDU, hat aus gesundheitlichen Gründen den Rückzug aus dem Gemeinderat beantragt. Während seiner Gemeinderatsarbeit machte er mit Wortmeldungen und Anträgen als kritischer Geist immer wieder auf sich aufmerksam. Kritische Töne – auch über das eigene Handeln während der Zeit als Stadtrat – spielen auch beim Gespräch zu seinem Abschied eine Rolle.
Es ist nur eine Formalie: In der Sitzung am Donnerstag, 23. Januar, wird der Gemeinderat dem Antrag von Klaus Nerlich wohl stattgeben und ihn von seinem Mandat entbinden. Im Herbst vergangenen Jahres haben Ärzte eine schwere chronische Krankheit bei Klaus Nerlich diagnostiziert. Mit ihr könne er dank gut eingestellter Medikamente gut leben. „Aber die Prioritäten haben sich verändert“, sagt Klaus Nerlich im roten Ohrensessel in seinem Wohnzimmer.
Rot, zumindest was die politische Richtung betrifft, war in der Familie von Klaus Nerlich schon immer ein Thema, „mütterlicherseits“, wie Klaus Nerlich betont. Ein Reichstagsabgeordneter der sozialistisch orientierten KPD-Vorgängerpartei USDP in Zeiten des Kaiserreichs, ein Landtagsabgeordneter der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), der später Botschafter der DDR wurde, finden sich unter den Vorfahren der letzten vier Generationen. Die Mutter war in Nerlichs hessischer Heimat Offenbach als SPD-Kreistagsabgeordnete politisch aktiv und nicht zuletzt ist der seit 2007 amtierende SPD-Bürgermeister von Mannheim, Dr. Peter Kurz, ein Großcousin von Klaus Nerlich. „Ich war das schwarze Schaf der Familie“, sagt Klaus Nerlich zu seiner eher konservativ ausgeprägten politischen Ausrichtung in einem eher sozialdemokratisch geprägten Umfeld.
Den Spaß und den Ehrgeiz am politischen Mitwirken wurde ihm gleichwohl ebenfalls „mütterlicherseits“in die Wiege gelegt, vielleicht sogar seine Eigenschaft, Enttäuschungen nach politischen Niederlagen wegzustecken und weiterzumachen. Dass Klaus Nerlich am 14. Februar 1982 im damaligen Fachwerkhaus Wielath in Bad Saulgau als Augenoptiker angefangen hatte, war eine bewusste Entscheidung. Im Oktober des gleichen Jahres machte er sich selbstständig. Der Hesse aus Offenbach traf seine künftige Frau Jutta, eine Stuttgarterin, beim Studium in München. „Wir waren beide begeisterte Wassersportler, was gibt es da besseres wie Oberschwaben.“
Schon wenige Jahre später, 1985 engagierte sich Klaus Nerlich beim damaligen Bund der Selbstständigen,
der nach dem Austritt aus diesem Dachverband zum heutigen UBS wurde. Zusammen mit Helmut Kabus, Hans-Peter Käßmaier und Karl Uhl schuf er die noch heute bestehende schlagkräftigere Organisation mit den drei Fachgruppen Einzelhandel, Handwerk und freie Berufe.
1989 wurde Klaus Nerlich erstmals in den Gemeinderat gewählt, damals auf der Liste der Freien Wähler. Ein großer Erfolg seiner ersten Amtszeit war der Beschluss, für die Weihnachtsbeleuchtung in der ganzen Innenstadt Giebelbeleuchtungen zu installieren. Als Vorsitzender der Fachgruppe Einzelhandel und Stadtrat hatte Nerlich hier eine Schlüsselposition. Der BdS übernahm den größten Teil der Anschaffung, Strom und Unterhalt sollte die Stadt übernehmen. Bedingung von Bürgermeister Strigl: Alle Hausbesitzer sollten sich per Unterschrift bereiterklären, die Lichterketten anzubringen, das war Aufgabe der Einzelhändler unter Klaus Nerlich. „Strigl hat wohl gedacht, das schaffen die nie.“Doch das Klinkenputzen hat sich gelohnt, der BdS bekam die Unterschriften zusammen, die Weihnachtsbeleuchtung leuchtet, bis heute.
Bewerbung als Bürgermeister
Bei der folgenden Kommunalwahl 1994 verfehlte Nerlich den Einzug ins Gremium, im Jahr 1999 hatte er schon andere Pläne. „Ich wollte mich als Bürgermeister bewerben.“Ob er denn „seine ,Freunde’ wirklich kennenlernen wolle“, habe ihn Bürgermeister Strigl bei der Abgabe seiner Wahlunterlagen im Jahr 1999 gefragt. Zusammen mit Joachim Butz und Johannes Häfele kandierte er als Strigls Nachfolger. Als Vorbereitung belegte er einen Fernkurs für Verwaltungsrecht an der Fachhochschule in Ludwigsburg. Johannes Häfele ging damals als Sieger der Wahl hervor. Mit beiden Mitkandidaten verbindet Klaus Nerlich noch heute ein gutes Verhältnis. „Enttäuscht“allerdings sei er gewesen. Die meisten Mitglieder der eigenen Fraktion hatten ihm
„Herr Strigl, ich habe meine ,Freunde’ kennengelernt.“
Zu Altbürgermeister Günter Strigl nach der verlorenen Wahl zum Bürgermeister
die Unterstützung versagt. „Herr Strigl, ich habe meine ,Freunde’ kennengelernt“, sagte er nach der Wahl zum scheidenden Bürgermeister.
Doch Nerlich wäre wohl nicht Nerlich, wenn er sich nach den Niederlagen und Enttäuschungen in den Schmollwinkel zurückgezogen hätte. Er kandidierte fortan wieder für den Gemeinderat und ist seither Mitglied der CDU-Fraktion.
Sein Wissen aus Bürgermeisterwahlkampf und
Fernkurs an der Fachhochschule hilft ihm nun. Jederzeit gut vorbereitet, will er im Gemeinderat sein. „Ohne Arbeit kannst du kein guter Stadtrat sein.“Nach gründlicher Vorbereitung sagte Nerlich nicht immer ja zum Verwaltungsvorschlag. Nicht ohne Stolz erzählt er von einstimmigen Anträgen, die von ihm allein unterstützt, aber vom Gremium mit großer Mehrheit abgelehnt wurden. Mit einem solchen Antrag wandte er sich gegen die einst geplante Unterbringung des
Archivs im heutigen Kulturzentrum „Altes Kloster“. Sein damaliger Vorschlag, Jugendmusikschule und Musikschule dort unterzubringen, wurde später in abgewandelter Form schließlich doch mehrheitsfähig. Eine gewisse Genugtuung bei Klaus Nerlich ist da zu spüren.
Nicht alle Möglichkeiten genutzt
Im Rückblick sieht er aber ebenso manches eigene Handeln kritisch. Sein größter Fehler sei es gewesen, „nach der Wahl von Frau Schröter zur Bürgermeisterin weiterhin am damaligen Verlierer festgehalten zu haben“. Dass die Zusammenarbeit in der Führungsspitze der Stadtverwaltung mit einem unterlegenen Ersten Beigeordnetenden nicht immer reibungsfrei funktioniert habe, sei „nicht nur die Schuld der handelnden Personen, sondern auch die des Umfelds“gewesen, sagt Nerlich im Rückblick. Schließlich gehe es um Sachentscheidungen. Insgesamt beklagt der Stadtrat, dass sich der Gemeinderat zu sehr dem „Diktat des Haushalts“unterwirft. „Es liegt ein Stück weit auch an mir, dass wir die Macht, die wir haben, nicht eingesetzt haben“. So bedauert Nerlich, dass die Stadt ihr Vorverkaufsrecht beim einstigen Gebäude Paulus, beim früheren Gasthaus Kreuz oder der Drogerie Munz nicht ausgeübt hat. Bei aktuellen Fragen verfolgt er klare Positionen, ja, die Stadt müsse genügend Plätze für die Kinderbetreuung bereitstellen, nein, umsonst dürfe dieser Platz nicht sein.
Unvorbereitet sei er nie in die Sitzung gegangen. „Wenn du einen Vertrag mit dem Wähler eingehst, solltest du den auch erfüllen“, ist seine Maxime. Ohne die Unterstützung seiner Frau Jutta hätte er das aber nie schaffen können, betont er. Nun aber will er andere Schwerpunkte setzen. „Ich sollte mich viel bewegen“, sagt Nerlich. Es scheint, als habe er sich auch in die Diagnose und Therapieformen seiner Krankheit schon richtig reingekniet. Mitarbeit in der Selbsthilfegruppe? Durchaus möglich, dass von Klaus Nerlich auch in Zukunft zu hören sein wird, in neuen Interessenfeldern.
Christoph Reiser, der Kandidat mit der nächsthöheren Stimmenzahl auf der Liste der CDU im Wohnbezirk Kernstadt, wird ihm nachfolgen. Er sei schon bei ihm gewesen, erzählt Nerlich. Gemeinsam habe man darüber gesprochen, was ein Stadtrat wissen und vor allem „was er lesen muss“.
„Mein größter Fehler war, nach der Wahl von Bürgermeisterin Doris Schröter am Verlierer festgehalten zu haben.“
Nach der Wahl von Bürgermeisterin Doris Schröter