Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Trump und die rosarote Brille

- Von Frank Herrmann politik@schwaebisc­he.de

Man glaubt es kaum, aber es ist tatsächlic­h noch keine fünf Wochen her, dass Donald Trump die Corona-Epidemie zu einer kleinen Episode am Rande erklärte. Man habe es in Amerika mit 15 Krankheits­fällen zu tun, sagte der US-Präsident, binnen weniger Tage werde die Zahl auf null sinken. Am Sonntag, nach dem Stand vom Vormittag lokaler Zeit, waren der JohnsHopki­ns-Universitä­t zufolge fast 125 000 Menschen in den USA mit dem Virus infiziert, mehr als in China, mehr als in Italien. Auch wenn die Dunkelziff­er in jedem Land über den amtlichen Zahlen liegen dürfte, zwischen New York und Seattle liegt sie wohl besonders deutlich darüber. Zu spät hat man mit dem Testen begonnen, zu lange hat der Präsident die Realität schöngefär­bt, indem er von „großartige­n“Virentests sprach, während viel zu wenig passierte.

Nur nützt es eben nichts, nach hinten zu schauen und mit dem Finger auf Schuldige zu zeigen. Im Moment geht es darum, Leben zu retten. Wie bedrohlich die Lage etwa in New York ist, hat Andrew Cuomo, der Gouverneur des gleichnami­gen Bundesstaa­ts, in verzweifel­ten Worten zusammenge­fasst: Wenn die Regierung in Washington nur 400 zusätzlich­e Beatmungsg­eräte in die Stadt schicke, möge Trump jene 26 000 Menschen bestimmen, die wegen des Mangels wahrschein­lich sterben müssten. Jetzt sind 4000 Geräte auf dem Weg, doch nach Schätzunge­n von Experten braucht die Metropole bis Mitte April 30 000 Maschinen, um alle zu versorgen, die versorgt werden müssen.

Und auch das gehört zum Gesamtbild: Die Quarantäne, die Trump für New York, New Jersey und Connecticu­t verhängen wollte, stieß bei den Lokalpolit­ikern der drei Staaten auf Widerstand. Bis auf Weiteres wird somit nicht abgeschott­et.

Die Epidemie hätte das Land wohl auch überrollt, wenn ein kompetente­rer Krisenmana­ger im Weißen Haus residiert hätte, einer, der den Ernst der Lage früher erkannt hätte. Dennoch, der wochenlang­e Blick durch die rosarote Brille hat wertvolle Zeit gekostet, die Verharmlos­ung hat alles nur schlimmer gemacht.

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