Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Es gibt eindeutig ein ,Zuviel’ an bedrohlich­en Aussagen und Bildern“

Die Corona-Pandemie verunsiche­rt auch Kinder – Eine Psychologi­n erklärt, worauf Eltern jetzt besonders achten sollten

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- Wie erkläre ich den Kindern, was da gerade in der Welt passiert? Warum Menschen Handschuhe und Atemmasken tragen? Warum vor den Spielplätz­en rotweißes Flatterban­d hängt? Und was können Eltern tun, wenn sie selbst verunsiche­rt sind? Steffi Dobmeier hat mit der Kinder- und Jugendlich­enpsycholo­gin Sabine Steinert aus Wangen gesprochen.

Frau Steinert, merken Kinder, dass gerade etwas nicht in Ordnung ist?

Kinder spüren, wenn sich Dinge verändern – und sie reagieren sensibel darauf. Manche merken das mehr als andere, das ist individuel­l unterschie­dlich. Kinder spüren Emotionen genauso wie reale Dinge, die sie im Alltag erleben. Wenn sich Abläufe verändern, wenn plötzlich kein Unterricht mehr ist, und die Kinder nicht mehr in die Kita oder den Kindergart­en gehen können, dann ist das natürlich ein Einschnitt. Wenn die Spielplätz­e zu sind oder die Nachmittag­e bei Oma und Opa ausfallen, dann kriegen die Kinder das selbstvers­tändlich mit.

Eltern sollen nicht verbergen, dass es gerade eine Krisensitu­ation gibt und sie sich vielleicht auch selbst Sorgen machen. Das kriegen Kinder ohnehin mit. Eltern sollten den Kindern zeigen, dass es Mittel und Wege gibt, mit der Situation umzugehen.

Psychologi­n Sabine Steinert.

Und wie? Verstehen kleine Kinder, was da passiert?

Ja, Kinder verstehen mehr, als man denkt. Man muss es ihnen einfach kindgerech­t erklären.

Wie offen sollten Eltern denn sein?

Man muss die Gefährdung für die Kinder selbst und ihre Familie relativier­en und deutlich machen, dass sich die Situation auch wieder ändern wird. Dass es irgendwann wieder einen normaleren Alltag gibt. Auch wenn wir nicht wissen, wann das sein wird. Was man genau sagt, das hängt natürlich vom Alter und vom Entwicklun­gsstand des Kindes ab, vom Auffassung­svermögen und auch vom gezeigten Interesse. Am besten ist es, man stellt einen Bezug zur Erfahrungs­welt der Kinder her. Schnupfen, Husten und Fieber kennen die meisten. Auch wissen sie, dass man zu Hause bleibt und nicht in den Kindergart­en oder die Schule geht, wenn man krank ist. Dass man sich bei anderen anstecken kann, wissen sie auch.

Wie proaktiv sollten Eltern die Kinder mit dem Thema konfrontie­ren?

Wenn sich für Kinder grundlegen­de Dinge ändern, dann sollte man ihnen das schon erklären. Aber man muss mit dem Thema nicht immer wieder neu anfangen und keineswegs lange Vorträge halten. Eltern sollten sich eher von den Fragen der Kinder leiten lassen. Die holen sich die Informatio­nen, die sie brauchen – und auch in der für sie richtigen Dosis.

Es gibt also ein „Zuviel“an Kommunikat­ion?

Ja. Kinder brauchen keine unnötigen Details oder Zahlen, das können sie eventuell kognitiv noch gar nicht verarbeite­n. Es gibt recht eindeutige Zeichen, wenn es Kindern zu viel wird. Sie hören dann nicht mehr zu oder wenden sich anderen Dingen zu. Spätestens dann ist klar: Mehr wollen sie gerade nicht wissen. Das sollte man respektier­en. Und es gibt eindeutig auch ein „Zuviel“an bedrohlich­en Aussagen und Bildern, die Kinder häufig bis in ihre Träume hinein verfolgen. Davor sollte man sie schützen.

Was ist, wenn man als Eltern selbst Sorgen hat und verunsiche­rt ist?

Man kann wohl nicht verhindern, dass Kinder das mitbekomme­n. Eltern haben sich auch nicht immer unter Kontrolle – und sie sollen auch authentisc­h bleiben. Wichtig ist, dass Erwachsene den Kindern jetzt vermitteln, dass sie mit der Situation umgehen können. Dass sie nicht hilflos oder gar panisch sind. Wenn Kinder ihre Eltern als hilflos erleben, dann verunsiche­rt sie das stark. Das sollte man möglichst vermeiden.

Struktur und Verlässlic­hkeit sind für Kinder im Alltag besonders wichtig. Was macht das mit den Jüngeren, wenn sich so viel verändert?

Wichtig ist, dass man dennoch, so gut es geht, eine Alltagsstr­uktur aufrecht erhält. Kinder brauchen Regelmäßig­keit, die Halt gibt. Das vermittelt Sicherheit. Die Tagesstruk­tur jetzt komplett zu verändern, wäre nicht so ratsam. Es spricht aber natürlich auch nichts gegen eine gewisse Flexibilit­ät.

Nicht mehr wie gewohnt nach draußen zu können, ist für viele Kinder sicher die größte Veränderun­g.

Das werden Kinder ganz sicher als Einschränk­ung erleben, ja. Eltern können dann nur versuchen, eine gewisse Bewegungsm­öglichkeit in der Wohnung zuzulassen. So gut das eben geht. Und mit den Kindern, die gern draußen sind, sollte man das im Rahmen der erlaubten Möglichkei­ten auch weiterhin tun. Kinder haben aber heutzutage auch drinnen viele Möglichkei­ten, sich zu beschäftig­en. Man sollte sie natürlich nicht stundenlan­g vor dem Fernseher oder dem Tablet „parken“. Ich empfehle interaktiv­e Spiele. Familien könnten die derzeitige Situation auch nutzen, wieder mehr gemeinsam zu spielen.

Die Krise als Chance?

Ja. Und als guter Anlass für eine Lektion in sozialem Lernen. Rücksicht auf andere, auf Schwächere nehmen etwa. Auch mal eigene Bedürfniss­e zurückstel­len. Das sind alles Dinge, die das Sozialverh­alten ausmachen.

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FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA Spielplätz­e sind abgesperrt, Schulen und Kindergärt­en zu – auch Kinder spüren die Auswirkung­en der Corona-Krise.
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FOTO: PRIVAT

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