Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Pandemie in Echtzeit

Johns-Hopkins-Universitä­t ist der Weltgesund­heitsorgan­isation bei Corona-Zahlen voraus

- Von Frank Herrmann

- Seit Ausbruch der Corona-Pandemie ist die Johns-Hopkins-Universitä­t in aller Welt bekannt. Die Wissenscha­ftler aus Baltimore veröffentl­ichen täglich aktuelle Zahlen zu Infizierte­n und Toten. Auf einer Karte im Internet kann jeder die Entwicklun­g live mitverfolg­en.

Der Schwerpunk­t der Corona-Fälle, prophezeit­e Lauren Gardner Anfang März im USKongress, werde sich von Ost nach West verschiebe­n. Genauso ist es gekommen, nach China und Europa wird nun die westliche Hemisphäre zum Epizentrum der Krise. In den USA sind aktuell mehr Infektione­n festgestel­lt worden als in China und Italien.

Gardner, Assistenzp­rofessorin an der Ingenieurw­issenschaf­tlichen Fakultät der Johns Hopkins University, ist die Erfinderin jener interaktiv­en Online-Karte, die Menschen in aller Welt nutzen, um sich über den Stand der Pandemie zu informiere­n. Am 22. Januar hat die Universitä­t beschlosse­n, ihre gesammelte­n Angaben über das Coronaviru­s öffentlich zu machen. Anfangs, schreibt Gardner in der medizinisc­hen Fachzeitsc­hrift „The Lancet“, habe man die Ziffern manuell eingegeben. Als die Zahl der Erkrankung­en rasant gestiegen sei, habe man umgestellt auf ein „halbautoma­tisches“Verfahren.

In den ersten Wochen wechselten sich die Doktorande­n Ensheng Dong und Hongru Du im Schichtdie­nst ab, um die Statistik auf dem Laufenden zu halten. Mittlerwei­le arbeitet Gardner mit einem zwölfköpfi­gen Team. Damit die Abstandsre­geln eingehalte­n werden, sind sie von einem kleinen Büro in ein größeres Beratungsz­immer umgezogen. Anfangs bedienten sie sich vor allem bei DXY, einer Internet-Plattform, die von chinesisch­en Medizinern genutzt wird und die Daten aus allen Provinzen Chinas alle 15 Minuten aktualisie­rt. Heute stützen sich die Wissenscha­ftler in Baltimore auf viele Quellen.

Zum einen sind es offizielle Berichte, etwa der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO, der amerikanis­chen Seuchensch­utzbehörde CDC, des Europäisch­en Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheite­n, der Nationalen Gesundheit­skommissio­n in Peking sowie zuständige­r Ministerie­n rund um den Globus. Hinzu kommen Twitter-Einträge, Meldungen von BNO News, einer im niederländ­ischen Tilburg ansässigen internatio­nalen Nachrichte­nagentur, und verlässlic­her lokaler Medien.

Warum die Johns-Hopkins-Zahlen in aller Regel höher liegen als die amtlichen, hat die Professori­n erklärt, als sie ihren digitalen Atlas im Kongress präsentier­te. Die WHO beispielsw­eise, so Gardner, fasse den Stand nur einmal alle 24 Stunden zusammen. „Wir verwenden das als Ausgangsba­sis. Dann ergänzen wir es um das, was die nationalen Behörden verschiede­ner Länder sowie die Medien im Laufe des Tages melden.“Folglich sei die Datensamml­ung der Universitä­t jener der WHO um einige Stunden voraus. Bis auf eine Ausnahme: In den ersten Tagen, als die Daten noch per Hand eingetippt wurden, sei einer der Doktorande­n erschöpft eingeschla­fen. Die Eingabe habe sich verzögert.

Als sich im Dezember in Wuhan Lungenentz­ündungen häuften, die man bald auf ein neuartiges Coronaviru­s zurückführ­te, machte sich Gardner mit ihren beiden Assistente­n an die Arbeit. Das Trio wollte nicht nur Corona-Fälle zählen und möglichst in Echtzeit erfassen, sondern sie auch in Form roter Kreise auf Landkarten kennzeichn­en, um die Statistik anschaulic­her zu machen.

Ein benutzerfr­eundliches digitales Werkzeug sollte es werden, schreibt Gardner im „Lancet“.

Mittlerwei­le verzeichne­n sie in Baltimore im Center for Systemic Science and Engineerin­g täglich über eine Milliarde Besuche auf ihrer Website. Nach der Definition der Initiatori­n handelt es sich um Zugriffe, bei denen Interessen­ten nicht nur einen flüchtigen Blick auf die Zahlen werfen, sondern auch die roten Kreise anklicken, die etwa im Fall der USA deutlich machen, in welchen Städten der Erreger wie schlimm wütet.

 ?? FOTO: XIM.GS/IMAGO IMAGES ?? Die Corona-Karte der Johns-Hopkins-Universitä­t zeigt aktuell die Verbreitun­g des Virus.
FOTO: XIM.GS/IMAGO IMAGES Die Corona-Karte der Johns-Hopkins-Universitä­t zeigt aktuell die Verbreitun­g des Virus.
 ?? FOTO: AFP ?? Lauren Gardner
FOTO: AFP Lauren Gardner

Newspapers in German

Newspapers from Germany