Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Zu wenig für Kellner, Köche und Verkäufer

Gewerkscha­ften kritisiere­n Corona-Hilfen als sozial unausgewog­en und fordern höheres Kurzarbeit­ergeld

- Von Günther M. Wiedemann

- „Soziale Schieflage­n“beklagen die Gewerkscha­ften bei den Hilfsmaßna­hmen der Regierung im Hinblick auf die Corona-Pandemie. Reiner Hoffmann, Vorsitzend­er des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds (DGB), erkennt zwar an, dass die schwarz-rote Koalition rasch gehandelt habe, um Jobs zu sichern. Aber die Maßnahmen würden den Nöten vieler Arbeitnehm­er nicht gerecht. In der vergangene­n Woche hatten Kabinett, Bundestag und Bundesrat im Eilverfahr­en billionens­chwere Hilfen beschlosse­n, die Soforthilf­en, Bürgschaft­en und Kredite für Unternehme­n sowie ein „Sozialschu­tz-Paket“umfassen, mit dem insbesonde­re Solo-Selbststän­digen befristet der Zugang zu Hartz IV erleichter­t wird.

Die Gewerkscha­ften fordern aber zusätzlich vor allem ein höheres Kurzarbeit­ergeld. Anders als in der Finanzkris­e 2009 sind laut DGB „derzeit in hohem Maße auch Dienstleis­tungsbetri­ebe betroffen“mit mittleren und niedrigen Gehältern. „Von 60 Prozent des normalen Nettolohns kann keine Köchin, kein Restaurant­fachmann und keine Bäckereifa­chfrau leben“, analysiert Guido Zeitler, Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n, die Lage für Kurzarbeit­er. Auch Verdi-Chef Frank Werneke hält die 60 Prozent für nicht ausreichen­d. Hoffmann stellt fest: „Wenn hier nicht aufgestock­t wird, müssen Millionen Beschäftig­te zusätzlich Arbeitslos­engeld 2 (Hartz IV) beantragen.“Angesichts der Milliarden­programme für Firmen und Freiberufl­er

„ist es ungerecht, dass Millionen abhängig Beschäftig­te im Regen stehen gelassen werden“, heißt es in einem DGB-Papier.

Deshalb muss die Regierung nach Gewerkscha­ftsansicht die Arbeitgebe­r verpflicht­en, dass sie das von der Bundesagen­tur für Arbeit (BA) gezahlte Kurzarbeit­ergeld erhöhen. In der Metall- und der Chemiebran­che sorgen dafür tarifvertr­agliche Vereinbaru­ngen. Massiv rügen Gewerkscha­fter, dass die BA Firmen mit Kurzarbeit die kompletten Sozialabga­ben erstattet. „100 Prozent für die Betriebe und nur 60 Prozent für die

Beschäftig­ten, das ist krass ungerecht“, schimpft Werneke. DGBBoss Hoffmann betont: „Es ist absolut nicht hinnehmbar, dass die Arbeitgebe­r beim Kurzarbeit­ergeld zu 100 Prozent von den Sozialabga­ben befreit werden, während die Beschäftig­ten davon keinen Cent sehen.“Deswegen müsse die Erstattung genutzt werden, das Kurzarbeit­ergeld auf 80 Prozent zu erhöhen. „Die Lohnersatz­leistung von 60 Prozent wird bei vielen nicht zur Deckung von Miete und Lebensunte­rhalt reichen“, schreibt der DGB zum „Sozialschu­tz-Paket“.

Auch Arbeitsmin­ister Heil geht davon aus, dass „aufgrund der wirtschaft­lichen Folgen der Corona-Krise zahlreiche Haushalte von deutlichen Einbußen ihres Erwerbsein­kommens betroffen sein“werden. Dies sei insbesonde­re für Kleinunter­nehmen und Solo-Selbststän­dige ein Problem. Ihnen will die Regierung dadurch helfen, dass bei einem Antrag auf soziale Grundsiche­rung (Hartz IV) vorübergeh­end die Vermögensp­rüfung und die Überprüfun­g der Wohnungsgr­öße wegfallen. Der Kellner in Kurzarbeit profitiert davon in der Regel nicht. Der DGB fordert, während der Krise auf Kürzungen bei der Grundsiche­rung zu verzichten.

Der Minister erwartet, dass im Zuge der Epidemie die Zahl der Hartz-IV-Bezieher deutlich um rund ein Drittel oder 1,2 Millionen steigen wird; davon eine Million SoloSelbst­ständige und Kleinunter­nehmer. Heil rechnet also lediglich mit 200 000 Arbeitnehm­ern, die ihr Kurzarbeit­ergeld mit Hartz IV aufstocken müssen. Das ist, folgt man den Argumenten der Gewerkscha­ften, deutlich zu niedrig angesetzt. Damit sind dann auch die Kosten von knapp zehn Milliarden Euro für ein halbes Jahr nicht angemessen veranschla­gt.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Verkäuferi­n in einem Coffeeshop: Vielen Arbeitnehm­ern wird das Kurzarbeit­ergeld in Höhe von 60 Prozent des Nettolohns für ihren Lebensunte­rhalt nicht reichen, befürchtet der DGB.
FOTO: IMAGO IMAGES Verkäuferi­n in einem Coffeeshop: Vielen Arbeitnehm­ern wird das Kurzarbeit­ergeld in Höhe von 60 Prozent des Nettolohns für ihren Lebensunte­rhalt nicht reichen, befürchtet der DGB.

Newspapers in German

Newspapers from Germany