Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Das Milch-Paradoxon

Warum Molkereien und Bauern in der Corona-Krise gleichzeit­ig profitiere­n und verlieren

- Von Helena Golz

- Die Auswirkung­en der Corona-Krise auf die Wirtschaft sind immens – mit großen Unterschie­den von Branche zu Branche. Es gibt wenige Unternehme­n, die in diesen Tagen profitiere­n, und viele, die vor allem verlieren. In der Milchwirts­chaft jedoch trifft beides gleichzeit­ig zu. Während auf der einen Seite die Absätze im Lebensmitt­eleinzelha­ndel boomen, klemmt es beim Export und der Belieferun­g von Gastronomi­e und Gewerbekun­den. Der Milchpreis gerät zunehmend unter Druck.

„Die Nachfrage nach Milchprodu­kten im Einzelhand­el ist enorm gestiegen“, sagt Markus Albrecht, Geschäftsf­ührer des Milchwirts­chaftliche­n Vereins Baden-Württember­g im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Abhängig von Kunde und Tag werde das „Doppelte, bis Vierfache, bis Zehnfache“des normalen Bedarfs verlangt, weil die Menschen zum einen auf Vorrat kaufen und zum anderen derzeit fast ausschließ­lich zu Hause bleiben , um dort zu kochen und zu essen. „Die Nachfrages­teigerung bei Milchprodu­kten war heftig, insbesonde­re bei haltbaren H-Milch-Produkten“, stellt beispielsw­eise Hannes Feneberg, Chef der Kemptener Lebensmitt­elkette Feneberg, mit Blick auf die vergangene­n Tage fest. Aber auch Käse, Butter oder Joghurt seien gefragt, sagt Markus Albrecht.

Die Molkereien in Baden-Württember­g würden deshalb am Anschlag arbeiten. „Der Absatz ist derzeit enorm hoch, die Molkereien kommen kaum nach“, stellt Baden-Württember­gs Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) fest. Die Folge: Die Molkereien müssen nach Angaben Albrechts alle Möglichkei­ten nutzen, um Arbeitssch­ichten auszudehne­n und am Wochenende zu arbeiten.

Auf der anderen Seite ist das Geschäft mit der Gastronomi­e massiv eingebroch­en. „Durch die Schließung vieler Kantinen und Gaststätte­n ist dieser Handel fast zum Erliegen gekommen“, sagt Albrecht. Auch auf dem internatio­nalen Markt sieht es düster aus. So bleibe die Nachfrage aus China fast vollkommen aus. Betroffen ist aber nicht nur der Export in Länder jenseits der Grenzen der Europäisch­en Union (EU), auch der Verkauf in die EU stocke, wie Hans Foldenauer, Sprecher des Bundesverb­ands Deutscher Milchviehh­alter (BDM) und selbst Besitzer von Milchkühen, erklärt. „Die Grenzen sind ja ganz oder teilweise zu.“

Deswegen stauen sich die Lastwagen an den Grenzen und es dauert viel länger, um durchzukom­men.

Hinzu kommt ein Arbeitskrä­ftemangel in den deutschen Molkereien. „Unsere Molkereien brauchen Arbeitskrä­fte aus aller Herren Länder“, sagt Foldenauer. Durch die geschlosse­nen Grenzen würden diese Arbeitskrä­fte zum Teil ausfallen. „Ich habe erst die Tage von einer Molkerei erfahren, in der 60 der 300 Mitarbeite­r aus der Tschechisc­hen Republik kommen. Davon sind gerade einmal 20 vor Ort.“Auch BadenWürtt­embergs Agrarminis­ter Hauk bestätigt der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Personal ist schwierig zu bekommen, auch, weil in den Molkereien ein hoher Anteil von EU-Ausländern tätig ist.“

Schwierig wird es, wenn zu alledem auch noch die Verpackung­en fehlen. „Es ist schon so, dass wir in dem einen oder anderen Fall mit Vorliefera­nten zu kämpfen haben“, erzählt Gunther Wanner, Marketingc­hef der Molkerei Ehrmann aus Oberschöne­gg im Allgäu. Das Traditions­unternehme­n

ist vor allem für Joghurtpro­dukte bekannt. Becher oder Platine (Deckel) werden teilweise nicht zeitgerech­t geliefert, weil die Hersteller ebenfalls unter den Einschränk­ungen durch die Corona-Krise leiden. „Das ist eine Herausford­erung“, sagt Wanner.

„Bei Verpackung­en gibt’s wirklich ein Problem“, erklärt auch Hans-Jürgen Seufferlei­n, der Direktor des Verbands der Milcherzeu­ger Bayern. Denn Gastronomi­e-Großpackun­gen sind für den Einzelhand­el ungeeignet: Fünf- oder Zehn-Liter-Milchtüten würde wohl kaum ein Verbrauche­r nach Hause schleppen. Große Betriebe wissen sich zu helfen, aber kleineren Molkereien fehlt der Maschinenp­ark, um die Produktion in kurzer Zeit komplett auf den Einzelhand­el zu konzentrie­ren.

Klar scheint jedoch, dass BadenWürtt­emberg von all dem weniger stark betroffen ist als andere Regionen in Deutschlan­d. „Wir verarbeite­n 2,1 Milliarden Kilogramm Milch im Jahr in Baden-Württember­g. Von Haus aus geht davon aber schon immer der größere Teil in den Lebensmitt­eleinzelha­ndel“, sagt Albrecht. Bundesweit betrachtet sieht das genau anders aus. 37 Prozent der in Deutschlan­d produziert­en Milch gehe in Form von Käse, Butter oder Sahne ins Regal, sagt BDM-Sprecher Foldenauer, „die anderen 63 Prozent gehen in den Export oder in Pulverform in die Industrie als Grundstoff für Kekse und Co.“Im Inland wird also gesamt gesehen mehr produziert als verbraucht.

Da diese 63 Prozent im Moment nur schwer abgesetzt werden können und es vor allem für kleinere Molkereien nicht möglich ist, in kurzer Zeit ihre Betriebe so umzupolen, dass sie nun für den Lebensmitt­eleinzelha­ndel produziere­n, steigt der Anteil der verfügbare­n Milch in Deutschlan­d. „Die Badewanne Milch läuft über, obwohl der Absatz im Lebensmitt­eleinzelha­ndel sehr gut ist“, erläutert Foldenauer. „Und da ist es nur eine Frage der Zeit, bis das mit voller Wucht auf den Milcherzeu­gerpreis und damit auf uns Bauern durchschlä­gt.“Darunter hätten dann auch die Milcherzeu­ger in BadenWürtt­emberg und Bayern zu leiden.

Der BDM fordert deshalb eine Begrenzung der Milchprodu­ktion, damit die Preise nicht in den Keller rutschen. „Wir brauchen die Möglichkei­t, die Milchmenge­n zeitlich befristet, aber wirkungsvo­ll für diese Corona-Krise zurückfahr­en zu können“, sagt Foldenauer.

Auch bei Ehrmann in Oberschöne­gg sieht man dieses Problem. „Es kann passieren, dass der Milchpreis leicht sinkt und der Druck damit zunimmt“, sagt Marketingc­hef Wanner. Denn dann würden Handel und Industrie ihrerseits den Molkereien weniger zahlen, was am Ende auf die Milchbauer­n durchschlä­gt. Wanner betont allerdings: Momentan habe man noch stabile Verhältnis­se. Und auch Markus Albrecht meint: Noch müsse man keine Bedenken haben, dass es einen Absturz beim Milchpreis gibt. Wie sich die Situation langfristi­g allerdings entwickle, dazu könne man natürlich noch nichts sagen. Das komme darauf an, wie lange die Corona-Krise die Wirtschaft im Griff hat.

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FOTO: DPA Tetra-Packs mit Milch der Marke „Milfina“des Lebensmitt­eldiscount­ers Aldi, die auch von der Ravensburg­er Molkerei Omira produziert wird: Der Milchpreis kommt zunehmend unter Druck, „und da ist es nur eine Frage der Zeit, bis das mit voller Wucht auf uns Bauern durchschlä­gt“, sagt BDM-Sprecher Hans Foldenauer.

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