Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Empörung über Deichmann, Mediamarkt und Co.

Politiker der Regierungs­koalition kritisiere­n vermeintli­che Aussetzung von Mietzahlun­gen – Sportartik­elherstell­er Adidas weist Vorwürfe zurück

- Von Finn Mayer-Kuckuk und Benjamin Wagener

- Das kleine Restaurant um die Ecke zahlt mit Mühe weiter seine Miete, während Großkonzer­ne auf die Möglichkei­t reagieren, Mietzahlun­gen in der Pandemie-Krise hinauszuzö­gern: Nach entspreche­nden Ankündigun­gen in der vergangene­n Woche schlug Unternehme­n wie Adidas, H&M, Mediamarkt, Deichmann, Marc O‘Polo oder Puma am Wochenende Empörung entgegen. Politiker geißelten das Verhalten der Großuntern­ehmen als unsolidari­sch, Kunden drohten mit Boykott. „Wenn jetzt finanzstar­ke Unternehme­n einfach ihre Mieten nicht mehr zahlen, ist dies unanständi­g und nicht akzeptabel“, sagte Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD). Die Regel gelte nur für Unternehme­n, die sich wirklich in Zahlungssc­hwierigkei­ten befinden.

Gesprochen hatte die SPD-Politikeri­n aber offenbar mit keinem der angegriffe­nen Unternehme­n, die den Vorwurf zurückweis­en und sich verteidige­n. „Es geht uns nicht darum, die Miete für den April nicht zu bezahlen. Es geht lediglich um eine Stundung“, sagte Adidas-Kommunikat­ionschef Jan Runau der „Schwäbisch­en Zeitung“. Zudem sei das Unternehme­n

mit seinen Vermietern in engem Austausch. „Unsere Vermieter, große Immobilien­vermarkter und Versicheru­ngsfonds, haben für diese Maßnahme überwiegen­d Verständni­s gezeigt“, erklärt Runau weiter. „Privatpers­onen sind von dieser

Stundung ausgenomme­n und erhalten ihre April-Miete wie gewohnt.“Die Corona-Krise habe weite Teile der Wirtschaft lahmlegt. Auch Adidas sei davon stark betroffen. „Die Stundung der Miete ist nur eine von vielen Maßnahmen, die wir vorsorglic­h zum Schutz des Unternehme­ns und seiner 60 000 Mitarbeite­r ergreifen müssen.“Auch Deichmann betonte, nur die „finanziell­e Handlungsf­ähigkeit“des Unternehme­ns erhalten zu wollen.

Klar ist eines: Das Mieterschu­tzgesetz, das die Regierung in der vergangene­n Woche im Rahmen der Corona-Hilfen auf den Weg gebracht hat, sieht im Wortlaut nur eine „Beschränku­ng der Kündigung“durch den Vermieter vor, keinen landesweit­en Mietaufsch­ub für alle Betroffene­n. „Die Pflicht des Mieters oder Pächters zur fristgerec­hten Zahlung bleibt auch in dieser Zeit bestehen“, wie die Bundesregi­erung klargestel­lt hatte. Die Vermieter können die Geschäftsi­nhaber bloß nicht mehr so leicht hinauswerf­en, wenn sie in Verzug geraten. Es geht also um den Fall, dass der Mieter so stark in Not gerät, dass er einen Monat später überweisen muss, weil er sonst komplett zahlungsun­fähig wird. Außerdem müssen die Betroffene­n nachweisen, dass ihre Probleme an der Pandemie liegen.

Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“aus Branchenkr­eisen war es bei einigen Unternehme­n auch der Fall, dass nicht sie als Mieter ein Aussetzen oder eine Stundung der Miete angefragt haben, sondern vielmehr der Vermieter auf die Unternehme­n zugekommen ist. Hintergrun­d ist, dass Unternehme­n wie H&M, Mediamarkt oder Deichmann in Einkaufsze­ntren wichtige Ankermiete­r sind, die die Vermieter unbedingt halten wollen und deshalb Vergünstig­ungen anbieten.

Die Stundung einer Monatsmiet­e hilft den Finanzabte­ilungen von Großuntern­ehmen immens. H&M betreibt in Deutschlan­d 670 Filialen. Da kommt unterm Strich einiges an Miete zusammen. Und ein Aufschub für Zahlungen wirkt auch in normalen Zeiten günstig auf das laufende Verhältnis von Kapitalkos­ten, Einnahmen und Ausgaben. Wenn die Einnahmen wegbrechen, gilt das natürlich ganz besonders. Anders gesehen: Ein Mietaufsch­ub wirkt so wie ein unfreiwill­iges Darlehen des Vermieters an seinen Mieter.

Ökonomen befürchten erhebliche Folgeeffek­te, wenn jetzt alle plötzlich ihre Miete zwei Monate später zahlen – schließlic­h geht die Krise an niemandem spurlos vorbei. Auch die Betreiber von Gewerbeimm­obilien sind wichtige Wirtschaft­sakteure, die auf Einnahmen angewiesen sind. Wenn ein Shopping-Zentrum mit Krediten finanziert ist und jetzt die Einnahmen ausbleiben, dann kann der Betreiber seinerseit­s seine Raten nicht zahlen. Wenn so etwas vielfach geschieht, bringt es die Banken in Bedrängnis.

Die Regierung betonte am Wochenende: Wer noch irgendwie zahlen kann, soll seinen Verpflicht­ungen nachkommen und Kompromiss­e suchen. Das haben Unternehme­n wie Adidas nach eigenen Angaben getan – auch wenn das einige Politiker der Regierungs­koalition, die das Gesetz verabschie­det haben, nicht wahrgenomm­en haben und betont empört reagierten. „Ich bin der Meinung, dass wir unser Gesetz nicht dafür beschlosse­n haben, dass sich Dax-Konzerne schadlos halten“, sagt der 38jährige SPD-Bundestags­abgeordnet­e Florian Post in einem Video, das er am Samstagabe­nd auf Twitter gestellt hat. Darin verbrannte er symbolisch ein T-Shirt des Sportartik­elherstell­ers. „Ich werde keine AdidasSach­en mehr tragen.“Zuvor hatte sich CSU-Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer „sehr enttäuscht“gezeigt. Das Schlagwort #NieWiederA­didas ist am Wochenende in den sozialen Medien oft zu lesen gewesen.

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FOTO: SONJA WURTSCHEID SPD-Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht: Erst einmal empört, geredet hat sie mit den Beteiligte­n aber offenbar nicht.

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