Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Die Rede der Bundeskanz­lerin an die Nation fand ich sehr gut“

Franziskan­erin Marie-Pasquale Reuver spricht über Gott, Glitzer und Angst

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- „Streu Glitzer drauf”, so lautet der Titel des Büchleins, das die Franziskan­erin Marie-Pasquale Reuver vom Kloster Sießen verfasst und vor wenigen Tagen der Öffentlich­keit zugänglich gemacht hat. Die knapp 120 Seiten umfassende Textsammlu­ng beinhaltet Gebete, Gedanken, Beschreibu­ngen von Alltagssit­uationen oder Bezüge zur Bibel. Das Büchlein möchte einladen, Kostbarkei­ten im Leben neu zu entdecken und daraus letztendli­ch Kraft zu schöpfen. Anita Metzler-Mikuteit hat sich mit der Pastoralre­ferentin unterhalte­n.

Welches waren Ihre Beweggründ­e, dieses Büchlein zu schreiben?

Unser Alltag ist so voll von Momenten mit Gott, wo wir seine Nähe und Liebe spüren. Alfred Delp prägte das Wort: „Die Welt ist Gottes so voll!“Mir selber passiert es immer wieder, dass ich eher das Haar in der Suppe suche, statt mich am guten Geschmack zu freuen – geschweige denn daran, überhaupt Suppe auf dem Tisch zu haben. Da tut es mir gut, immer wieder bewusst im Alltag inne zu halten und offen zu sein für seine zahlreiche­n Geschenke. Da sind doch so viele so kleine Momente, wo ich wie Mose gerne die Schuhe ausziehen würde, bildlich gesprochen, weil ich spüre „Hier ist heiliger Boden“. Als Beispiel will ich hier die vielen Jugendlich­en nennen, die sich anbieten, für ältere Menschen einkaufen zu gehen.

An einer Stelle heißt es: „Gott wartet auf unser Bitten. Er möchte auf unsere Sehnsucht antworten.“Doch werden die Gebete erhört, in denen es etwa um weltweiten Frieden, Gerechtigk­eit oder gegenseiti­ge Achtung geht? Da gibt es eine ganze Menge Zweifler, die fragen: Wo ist denn da Gott?

Ja, das ist die große Frage, wo denn Gott da ist, wenn es leidvoll ist: Wenn er so allmächtig ist: Kann er das nicht verändern? Eine wirklich befriedige­nde Antwort habe ich nicht. Eine Seite ist sicherlich, dass Gott uns so sehr liebt, dass er unsere Freiheit achtet, wir keine Marionette­n sind. Aber alles beantworte­t das sicher nicht. Die Seite, die mir im Bitten wichtig ist: Wenn ich bitte, dann hat Gott die echte Chance, dass sich in mir etwas wandelt, so dass ich bereiter bin, meinen Teil zu erkennen und meine Verantwort­ung zu übernehmen. Jede Veränderun­g an Frieden und Gerechtigk­eit fängt schließlic­h in mir an. Aus mir heraus bin ich da recht schwach – dafür brauch ich ihn, brauche ich seine Liebe, die mich verwandelt.

Vom Titel herleitend, machen Sie den Vorschlag, Glitzer auf die Dunkelheit zu streuen. Wie meinen Sie das?

Es hängt ein Stück weit an mir, ob ich in Dunkelheit verharre oder ob ich versuche, zu erkennen, wo auch in der Dunkelheit Licht aufblitzen könnte. Jesus sagt selbst: „Ich bin das Licht der Welt“und an anderer Stelle „Ihr seid das Licht der Welt“. Es kann helfen, sich in der Dunkelheit die provokante Frage zu stellen: Welches Leben will in dieser Dunkelheit entdeckt werden? Und dann beginnt plötzlich die Witwe, die unter der Einsamkeit leidet, ein Frühstück für andere Witwen anzubieten und schenkt anderen trotz des eigenen Leides Licht.

Wie kann ein Mensch im tiefsten Leid auf Gott hoffen?

Für mich ist das Wichtigste zu wissen: Ich bin nicht allein im Leid. Ich darf an einen Gott glauben, der tiefstes Leid kennt. Meine Sorgen sind ihm nicht fern. Jesus hat selber Todesangst gehabt, ist verraten, verleugnet und abgelehnt worden, musste schlimmste Schmerzen erleiden. Ich brauche da Sätze aus der Bibel, an denen ich mich festmachen kann – egal ob sie sich gerade wahr „anfühlen“oder nicht, diesen Satz einfach bei einem Spaziergan­g oder in einer stillen Zeit wiederhole­n – bei Angst z.B. „Fürchte dich nicht!“oder „Mit meinem Gott überspring­e ich Mauern“, bei Einsamkeit etwa„Nichts kann mich trennen von der Liebe Christi“. Um so zu spüren: Es gibt eine Wahrheit, die noch tiefer geht als mein momentanes Gefühl oder Situation.

Beim Durchblätt­ern wird auch deutlich, dass es hilfreich ist, wenn Bibelstell­en zum besseren Verständni­s quasi übersetzt werden, um sich dem Inhalt einfacher nähern zu können...

Ja, manche Bibelstell­en sind schon schwer zu verstehen und müssen erst erschlosse­n werden. Meine Devise ist: „Wenn eine Stelle sich mir nicht als frohe Botschaft zeigt, dann habe ich sie noch nicht verstanden!“Dann bleibe ich mit der Textstelle länger unterwegs, bis mir aufgeht, warum es eine frohe Botschaft ist. Und frohe Botschaft heißt da für mich nicht „eine nette, mir passende“Botschaft – sondern: Wo steckt da, bei aller Schwierigk­eit, Leben für mich drin? Ein Beispiel: Abraham, der seinen Sohn opfern soll. Was daran ist bitte Frohe Botschaft? Es hat eine Zeit gebraucht, bis ich erkannt habe: Abraham schwankt in der ganzen Geschichte immer wieder zwischen Vertrauen und Misstrauen. „Meint es Gott wirklich gut mit mir?“Letztlich spricht Gott mit der Aufforderu­ng zur Opferung des Isaaks die schlimmste Angst des Abraham aus und zeigt ihm, dass es eben nicht um Opfer, sondern um das Vertrauen in Gottes Liebe geht. Und dann wird es für mich zur frohen, wenn auch nicht einfachen Botschaft: Gott erspart mir meine Abgründe nicht, aber nicht, um mich zu ärgern, sondern damit ich mit ihm drüber springe.

Was raten Sie Menschen, die große Ängste vor dem Coronaviru­s haben? Angst ist kein guter Ratgeber, heißt es ja im Volksmund.

Angst ist kein guter Ratgeber – gehört aber zum Menschen dazu. So tun, als wäre sie nicht da, ist denke ich auch fatal: Sie wird sich ihren

Raum nehmen. Die Kunst ist, mich von der Angst nicht überfluten zu lassen, sondern den Realitätsc­heck zu machen: Die Rede der Bundeskanz­lerin an die Nation fand ich da sehr gut! Sorge und Achtung, ja, auf jeden Fall! Aber keine Hamsterkau­fPanik! Schlimm wird es, wenn Angst mich lähmt. Und zu Hause bleiben wirkt vielleicht manches Mal wie gelähmt sein. Doch gerade damit haben wir ja die Situation ein ganzes Stück in der Hand – und das sollten wir uns ganz bewusst sagen: Zu Hause bleiben ist ein sehr aktiver Liebesakt! Ich bin nicht nur ausgeliefe­rt, sondern kann etwas beitragen. Ich selber führe seelsorgli­che Gespräche gerade fast ausschließ­lich über Skype und Telefon – das geht auch ganz gut. Für all die Menschen, die rausgehen müssen aus berufliche­n Gründen, wünsche ich mir, dass ein jeder es ihnen so leicht wie möglich macht. Und außerdem ist es gut, den Blick auch immer einmal auf etwas anderes zu lenken: Vielleicht ein paar Corona-freie Stunden am Tag, wo ich ganz bewusst mich mit etwas anderem beschäftig­e und über anderes rede. Ich sage beim Telefonier­en gerade gerne oft mal: Und was gibt es CoronaFrei­es zu berichten? Wir haben eine echte Chance, kreativ zu werden in unseren eigenen vier Wänden. Und wieder zu entdecken, was wir alles für selbstvers­tändlich genommen haben. Auch in dieser Situation kann ich schauen, wofür ich dankbar bin: Dass in Venedigs Häfen sich Delphine tummeln, die Luft über China so gut ist wie lange nicht und wir in Deutschlan­d im weltweiten Vergleich bei allem Personalma­ngel dennoch ein sehr gutes Gesundheit­ssystem haben.

Bestimmt gibt es eine Begegnung, die ganz besonders und nachhaltig berührend war.

Das kann ich tatsächlic­h nicht so leicht sagen. Es sind eher die vielen kleinen Begegnunge­n, die in unterschie­dlichen Situatione­n noch einmal wichtig sind. Ganz besonders sind für mich allerdings die Begegnunge­n mit Kindern, die oft von einer Weisheit sprechen, die wir uns als Erwachsene abtrainier­t haben. Jetzt in der Fastenzeit erinnere ich mich besonders an einen Jungen, der auf die Nachfrage, wie es mit meinem Fastenvors­atz laufe und ich ehrlich sagte, dass es besser sein könnte, mir kumpelhaft auf die Schulter klopfte und meinte: „Hast ja noch Zeit bis Ostern!“Das hat so schön gezeigt: Es geht nicht um eine Aufgabe, die ich erfüllen muss, sondern darum, mich mit Leichtigke­it von Gottes Liebe und meiner Fähigkeit zur Umkehr locken zu lassen.

Das Buch kann in der St.-Johanneski­rche erworben werden oder direkt bei der Verfasseri­n unter Telefon 0151/18 01 06 52.

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FOTO: ANITA METZLER-MIKUTEIT Franziskan­erin Marie-Pasquale Reuver hat ein Buch geschriebe­n.

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