Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Die App ist kein Allheilmit­tel

- Von Klaus Wieschemey­er k.wieschemey­er@schwaebisc­he.de

Je länger die Corona-Pandemie dauert, desto tiefer graben sich die wirtschaft­lichen und sozialen Folgen der Ausgangsbe­schränkung­en in die deutsche Gesellscha­ft. Und je gravierend­er die Verwerfung­en werden, desto lauter werden die Rufe nach dem Ausstieg aus dem selbst verordnete­n Stillstand.

Auch wenn die Kanzlerin diese angesichts weiter steigender Infektions­zahlen für viel zu früh hält und zu Geduld mahnt, lässt sich diese Diskussion auf Dauer nicht zurückhalt­en. Perspektiv­isch kann man sich darauf einstellen, dass die Gesellscha­ft zeitweise für verschiede­ne Menschen und Lebensbere­iche unterschie­dliche Regeln aufstellen wird. Der Umgang mit Alten und Jungen wird über Monate ebenso unterschie­dlich sein wie mit Gesunden, Gesundeten und Kranken. Dabei wird es immer wieder Abwägungen geben müssen zwischen epidemiolo­gischen Empfehlung­en und gesellscha­ftlichen Bedürfniss­en.

Eine freiwillig­e App kann helfen, die Ausbreitun­g des Virus zu bremsen, wenn sie von vielen genutzt wird. Sie kann Anwendern helfen, das Risikobewu­sstsein zu schärfen und Verantwort­ung zu übernehmen.

Doch die Politik sollte nicht der Verlockung vermeintli­cher Totalüberw­achbarkeit erliegen. Was in autokratis­chen Staaten anscheinen­d funktionie­rt, ist in Demokratie­n nur mit Preisgabe elementare­r Freiheiten zu erkaufen. Ist der Datenschut­z erst auf dem Altar des Seuchensch­utzes geopfert, wird es schwer, diesen Verlust rückgängig zu machen. Dass ein solches Opfer gesundheit­liche Sicherheit erkauft, ist dabei nicht gesagt. Nicht nur, dass nicht jeder ein Handy mit aktivierte­r BluetoothS­chnittstel­le mit sich herumträgt. Die gewaltigen Datensätze wollen zudem sicher gespeicher­t und ausgewerte­t werden – was viele Gesundheit­sämter überforder­n dürfte.

Die App kann ein Baustein sein in einer achtsamen Gesellscha­ft, die Risiken abwägt und in einem Mix gegenseiti­ger Rücksichtn­ahme und dosierter Einschränk­ung versucht, einen unsichtbar­en Feind in die Schranken zu weisen. Ein Allheilmit­tel ist sie nicht.

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