Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Zu wenig Geld für Krisenvors­orge

Corona-Pandemie befeuert Debatte um die Schließung kleiner Krankenhäu­ser

- Von Katja Korf

- Kleine Krankenhäu­ser schließen, große stärken – so lautet seit Jahren das Mantra von Gesundheit­spolitiker­n in Bund und Land. In der Region hat das zuletzt Isny, Leutkirch, Spaichinge­n, Weingarten und Riedlingen getroffen. Muss man das Konzept angesichts der Corona-Krise überdenken?

Die SPD-Bundestags­abgeordnet­e Hilde Mattheis sprach in der vergangene­n Woche im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“aus, was viele Bürger umtreibt. „Es zeigt sich überdeutli­ch, dass auch kleine Krankenhäu­ser durchaus ihre Funktion haben. Kommunale Krankenhäu­ser sind ein wichtiger Teil der Daseinsvor­sorge, insbesonde­re in Oberschwab­en“, sagte Mattheis.

Derzeit arbeiten im Südwesten laut Verband der Ersatzkass­en 213 Plankranke­nhäuser, das sind fast 90 weniger als vor zwei Jahrzehnte­n. Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Grüne) setzt weiter auf Konzentrat­ion: gut ausgerüste­te, große Zentren, die viele Eingriffe und Behandlung­en durchführe­n, daneben kleine, hochspezia­lisierte Häuser und alternativ­e Modelle wie Gesundheit­szentren. Damit folgt er dem Rat zahlreiche­r Wissenscha­ftler. Einige Argumente für die Konzentrat­ion: Je kleiner ein Haus ist, desto weniger Routine haben die Ärzte und Pflegekräf­te bei Behandlung­en. Teure Geräte wie MRTs sind an großen Kliniken besser ausgelaste­t. Verwaltung­sund Technikkos­ten sollten effizient und damit an wenigen Standorten anfallen.

Krankenhäu­ser bekommen von den Krankenkas­sen Geld pro Patient. Für jede Behandlung ist festgelegt, wie viel eine Klinik erhält. Diese Pauschalen fließen, egal wie lange der Patient in der Klinik liegt. Je kürzer der Aufenthalt, desto weniger Kosten für das Krankenhau­s, desto besser rechnet sich die Behandlung. Unter diesen Bedingunge­n können kleine Häuser kaum überleben, ihnen fehlt der Patientend­urchsatz. Viele Landkreise müssen jährlich Millionenb­eträge investiere­n, um ihre Kliniken zu unterstütz­en. Immer mehr beteiligen daher private Konzerne an den Krankenhäu­sern – oder diese schließen sich zu großen Verbünden zusammen. Zumal Bürger oft emotional für ihr kleines Klinikum streiten, für wichtige OPs aber große Zentren wählen.

Der Gesundheit­sökonom Professor Andreas Beivers ist ein Befürworte­r dieses Prozesses. Aber er gibt zu: „Wir haben einfach alle zu wenig berücksich­tigt, dass es Katastroph­enfälle wie diesen geben kann. Jetzt sind wir um jedes Bett froh, das wir haben.“Allerdings bleibe das zentrale Problem der Personalma­ngel. Ohne geeignete Ärzte und Pflegekräf­te nütze ein Klinikbett gar nichts. Ein wesentlich­er Fehler im System werde offensicht­lich: Beatmungsg­eräte

oder Betten zu kaufen lohnt sich für ein Krankenhau­s nur, wenn diese benutzt werden. Die Vorhaltung für Krisen dagegen zahlt niemand. Das müsse sich dringend ändern, so Beivers. Dem stimmt Matthias Einwag, Geschäftsf­ührer der baden-württember­gischen Krankenhau­sgesellsch­aft zu: „Die Funktion der Krankenhäu­ser als Absicherun­g in medizinisc­hen Krisenzeit­en muss ein größeres Gewicht bekommen.

Dass die Strukturve­ränderunge­n der letzten Jahre rückgängig gemacht werden, sehe ich allerdings nicht.“

Ein weiteres Problem laut Wissenscha­ftler Beivers: Wer nicht im Krankenhau­s bleibt, sondern nur untersucht und mit Medikament­en heimgeschi­ckt wird, bringe den Kliniken viel zu wenig ein. Das müsse sich ändern. Gerade nach der Corona-Krise werde Geld erst recht knapp sein. Deswegen gelte es, die

Krankenhau­slandschaf­t effizient zu organisier­en. Die Vorteile großer Häuser blieben ja bestehen.

Die CDU-Landtagsab­geordneten einiger von Schließung­en betroffene­n Standorte, Thomas Dörflinger, Raimund Haser und August Schuler, plädieren dafür, nach der Krise Probleme zu analysiere und gegebenenf­alls Konsequenz­en zu ziehen. Jetzt sei es dafür zu früh. Die Grünen-Abgeordnet­e Petra Krebs betont, man müsse vor allem die finanziell­en Rahmenbedi­ngungen ändern, um Probleme wie den Pflegenots­tand zu beheben. Ein Sprecher der Krankenkas­se AOK sagte, Land und Kassen hätten viel investiert, um „die Strukturen dem medizinisc­hen Fortschrit­t anzupassen“– also unter anderem für den eingeschla­genen Konzentrat­ionsprozes­s. Deswegen sei das System im Südwesten eines der leistungsf­ähigsten.

Gesundheit­sminister Lucha hält es angesichts steigender CoronaFall­zahlen für notwendig, stillgeleg­te Standorte zeitweise wieder zu nutzen. Etwa, um Kliniken Patienten abzunehmen, die nicht an Corona leiden. Zunächst sollen aber möglichst viele der 25 000 Betten in Rehaklinik­en dazu genutzt werden, im zweiten Schritt die rund 780 Betten an geschlosse­nen Standorten. Die Vorbereitu­ngen dazu laufen. Aber grundsätzl­ich sei der Kurs der Konzentrat­ion auf große Häuser, ergänzt um passgenau regionale Angebote richtig, betont der Minister. „Das Bestreben des Landes ist es, Krankenhäu­ser in die Lage zu versetzen, eigenständ­ig zu arbeiten und langfristi­g überlebens­fähig zu sein.“

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FOTO: ULI MÜLLER In der Region wurde zuletzt für mehrere Krankenhäu­ser das Aus besiegelt: Im Bild das Krankenhau­s in Spaichinge­n.

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