Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Pandemie-Bekämpfung mit einer App
Handynutzer sollen freiwillig bei der Corona-Eindämmung mithelfen – Wie das gehen soll
- Können Handydaten die Ausbreitung des Coronavirus stoppen? Die Idee von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die Auswertung von Bewegungsprofilen Infizierter kurzfristig ins in der vergangenen Woche verabschiedete neue Infektionsschutzgesetz zu schreiben, wurde zwar nach zahlreichen Einwänden schnell einkassiert.
Doch beendet ist die Debatte damit noch lange nicht. Im Gegenteil: Befürworter hoffen, dass aussagekräftige Bewegungsdaten Infizierter, Gesundeter und Gefährdeter helfen könnten, die allgemeinen Bewegungseinschränkungen aufzulockern. Denn die Einschränkungen stoßen spätestens seit dem Wochenende in Deutschland auf wachsende Bedenken.
Die Idee des Handytracking: mit den Daten lasse sich abgleichen, mit wem ein Infizierter in Kontakt war. Als Positivbeispiele verweisen Befürworter auf Taiwan und Südkorea. Dort habe man die Kurve der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 ohne Ausgangssperren stark abflachen können. „Es kann ein Punkt kommen, an dem wir unser Konzept zur Bekämpfung des Virus modifizieren müssen, weil die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verwerfungen eines harten, breitflächigen Lockdowns zu groß werden. Es ginge dann um die gezielte und rasche Eindämmung der lokalen Infektionsketten“, sagt CDU-Innenpolitiker Thorsten Frei der „Schwäbischen Zeitung“. „Ich hätte mir deshalb gewünscht, dass wir den ursprünglichen Spahn-Vorschlag vergangene Woche im Parlament hätten beschließen können“, ergänzt er.
Und auch Spahn stellt klar, dass das Thema nur aufgeschoben und nicht aufgehoben ist. „Wir stehen ja möglicherweise vor der Frage, ob wir bestimmte Freiheiten des Alltags leichter zurückbekommen können, wenn es gleichzeitig möglich ist, sehr schnell Infektionsherde und Ausbrüche neuer Infektionsketten zu erkennen und dann auch entsprechend zu beenden“, sagte Spahn. Ein Sprecher Spahns ergänzte, gutes Tracking sei die Voraussetzung, „um die Beschränkungen, die wir jetzt haben, überhaupt wieder zu lockern“. Das Ministerium arbeitet an entsprechenden Plänen.
Auch in der Opposition, die Spahns ersten Vorschlag mit gestoppt hatte, stößt die Tracking-Idee auf Sympathie. Die Aufzeichnung von Bewegungsdaten könne „ein wichtiger Baustein zur weiteren Eindämmung des Coronavirus sein“, betont der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz gegenüber der „Schwäbischen Zeitung“.
Das Nein zum ersten Entwurf begründet er mit fachlichen Mängeln des „extrem unausgegorenen“Entwurfs: „Die von Bundesgesundheitsminister Spahn ursprünglich verfolgte Lösung per Funkzellenauswertung war rechtlich höchst umstritten und zudem überhaupt nicht zielführend, da viel zu ungenau“, erklärt von Notz. Mit der Suche nach einer datenschutzrechtlich unbedenklichen Lösung sei viel Zeit verschenkt worden.
Auch die Telekom hatte die Pläne kritisiert, da die von Spahn geplante Auswertung von gleichzeitig in einer Funkzelle eingeloggten Handys kaum aussagekräftig sei. Demnach ist die Ortung via Funkzelle nur auf etwa 100 Meter genau.
Eine Lokalisierung über den Nahfeld-Funkstandard Bluetooth – wie sie durch eine auf dem Handy installierten App möglich wäre – hingegen kann relativ zielgenau ermitteln, ob das Gerät eines Infizierten sich auf den kritischen Abstand von unter zwei Meter an das Handy einer anderen Person angenähert hat.
Die Kritik des CDU-Innenpolitikers Armin Schuster, die Opposition habe Lösungen verhindert, sei „infam“, erklärt von Notz. Tatsächlich sei das Ziel der Kontaktverfolgung im engeren Umfeld zu erreichen, aber nicht im staatlichen Abgriff, sondern über eine freiwillige Lösung. Diese könnte eine Handy-App bieten, die das Robert-Koch-Institut derzeit zusammen mit dem Fraunhofer-Institut entwickelt. Das Programm soll freiwillig heruntergeladen werden und über die BluetoothSchnittstelle der Geräte anonymisiert den Abstand zu Nutzern mit der gleichen App messen. Je mehr Menschen eine solche Software benutzen und die Daten austauschen, desto besser wäre das Ergebnis.
Dass solche Gesundheitsapps bei entsprechendem Problembewusstsein gut funktionieren können, zeigt ein Beispiel aus China: Eine für Botschaftsmitarbeiter in Peking entwickelte Smog-App verbreitete sich rasend schnell in der Bevölkerung – und setzte die Regierung in Sachen Luftverschmutzung stark unter Druck.
Die Bundesregierung stellt sich hinter ein solches freiwilliges Programm:
„Die Anwendung einer solchen App würde natürlich die überlasteten Gesundheitsämter stark entlasten und auch bei der Eindämmung und der Verlangsamung der Ausbreitung des Virus helfen. In Deutschland wäre natürlich immer die Freiwilligkeit einer solchen Anwendung Voraussetzung“, sagt Regierungssprecherin Ulrike Demmer und verweist darauf, dass auch der Datenschutz berücksichtigt sein müsse.
Auch Digitalstaatsministerin Dorothee Bär hält die Software für „sinnvoll“. „Wir müssen die Möglichkeiten der Digitalisierung jetzt nutzen, um die Krise zu überwinden“, sagte die CSU-Politikerin dem „Handelsblatt“.
Und auch der Grünen-Netzpolitiker Konstantin von Notz kann da mitgehen. Er warnt aber vor zu hohen Erwartungen an eine solche App: „Mit ihr könnten grundsätzlich Lücken in der Kontaktverfolgung geschlossen und die Benachrichtigung von Kontaktpersonen verbessert werden. Sie ist aber kein Allheilmittel, weil nie alle Bürgerinnen und Bürger auf diesem Wege erreichbar sein werden“, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“.
Schweden hat rund 10 Millionen Einwohner auf etwa 450 000 Quadratkilometern und damit 23 Einwohner pro Quadratkilometer. Die Zahlen im Vergleich für Deutschland: 83 Millionen Einwohner, 350 000 Quadratkilometer und 10-mal so viele Menschen (230) pro Quadratkilometer. Etwa 40 Prozent der Schweden wohnen in nur drei Städten mit über 100 000 Einwohnern. Die epidemiologischen Verhältnisse im großen Schweden, mit dünner Besiedelung sind nicht mit den unsrigen vergleichbar.
Die Schweden gehen meiner Meinung nach dennoch ein erhebliches Risiko ein, auch wenn alte Menschen bereits aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben, und Homeoffice propagiert wurde. Es besteht die Gefahr, dass das Gesundheitssystem überfordert werden könnte, und es zu vermeidbaren Todesfällen kommt. Die Engländer haben es sich ja mittlerweile anders überlegt.
Knapp 3500 bestätigte Infektionsfälle gibt es in Schweden. Muss man – auch durch die Inkubationszeit – davon ausgehen, dass sich das Virus unbemerkt weit ausgebreitet hat?
Natürlich, da in Schweden (bewusst?) wenig getestet wird, kann man über die tatsächlichen Infektionszahlen noch viel weniger aussagen als bei uns. Es wird darauf ankommen, wie viele Schwerkranke (Krankenhausaufenthalte, Beatmungsfälle) es geben wird.
Der schwedische Staatsepidemiologe Anders Tegnell hofft, die Welle werde in den warmen Monaten abflachen und bis zur nächsten Welle im Herbst habe die Bevölkerung Herdenimmunität erreicht. Halten Sie dieses Konzept für tragbar?