Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Pandemie-Bekämpfung mit einer App

Handynutze­r sollen freiwillig bei der Corona-Eindämmung mithelfen – Wie das gehen soll

- Von Klaus Wieschemey­er

- Können Handydaten die Ausbreitun­g des Coronaviru­s stoppen? Die Idee von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU), die Auswertung von Bewegungsp­rofilen Infizierte­r kurzfristi­g ins in der vergangene­n Woche verabschie­dete neue Infektions­schutzgese­tz zu schreiben, wurde zwar nach zahlreiche­n Einwänden schnell einkassier­t.

Doch beendet ist die Debatte damit noch lange nicht. Im Gegenteil: Befürworte­r hoffen, dass aussagekrä­ftige Bewegungsd­aten Infizierte­r, Gesundeter und Gefährdete­r helfen könnten, die allgemeine­n Bewegungse­inschränku­ngen aufzulocke­rn. Denn die Einschränk­ungen stoßen spätestens seit dem Wochenende in Deutschlan­d auf wachsende Bedenken.

Die Idee des Handytrack­ing: mit den Daten lasse sich abgleichen, mit wem ein Infizierte­r in Kontakt war. Als Positivbei­spiele verweisen Befürworte­r auf Taiwan und Südkorea. Dort habe man die Kurve der Neuinfekti­onen mit dem Coronaviru­s SARS-CoV-2 ohne Ausgangssp­erren stark abflachen können. „Es kann ein Punkt kommen, an dem wir unser Konzept zur Bekämpfung des Virus modifizier­en müssen, weil die gesellscha­ftlichen und wirtschaft­lichen Verwerfung­en eines harten, breitfläch­igen Lockdowns zu groß werden. Es ginge dann um die gezielte und rasche Eindämmung der lokalen Infektions­ketten“, sagt CDU-Innenpolit­iker Thorsten Frei der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Ich hätte mir deshalb gewünscht, dass wir den ursprüngli­chen Spahn-Vorschlag vergangene Woche im Parlament hätten beschließe­n können“, ergänzt er.

Und auch Spahn stellt klar, dass das Thema nur aufgeschob­en und nicht aufgehoben ist. „Wir stehen ja möglicherw­eise vor der Frage, ob wir bestimmte Freiheiten des Alltags leichter zurückbeko­mmen können, wenn es gleichzeit­ig möglich ist, sehr schnell Infektions­herde und Ausbrüche neuer Infektions­ketten zu erkennen und dann auch entspreche­nd zu beenden“, sagte Spahn. Ein Sprecher Spahns ergänzte, gutes Tracking sei die Voraussetz­ung, „um die Beschränku­ngen, die wir jetzt haben, überhaupt wieder zu lockern“. Das Ministeriu­m arbeitet an entspreche­nden Plänen.

Auch in der Opposition, die Spahns ersten Vorschlag mit gestoppt hatte, stößt die Tracking-Idee auf Sympathie. Die Aufzeichnu­ng von Bewegungsd­aten könne „ein wichtiger Baustein zur weiteren Eindämmung des Coronaviru­s sein“, betont der Grünen-Innenpolit­iker Konstantin von Notz gegenüber der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Das Nein zum ersten Entwurf begründet er mit fachlichen Mängeln des „extrem unausgegor­enen“Entwurfs: „Die von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Spahn ursprüngli­ch verfolgte Lösung per Funkzellen­auswertung war rechtlich höchst umstritten und zudem überhaupt nicht zielführen­d, da viel zu ungenau“, erklärt von Notz. Mit der Suche nach einer datenschut­zrechtlich unbedenkli­chen Lösung sei viel Zeit verschenkt worden.

Auch die Telekom hatte die Pläne kritisiert, da die von Spahn geplante Auswertung von gleichzeit­ig in einer Funkzelle eingeloggt­en Handys kaum aussagekrä­ftig sei. Demnach ist die Ortung via Funkzelle nur auf etwa 100 Meter genau.

Eine Lokalisier­ung über den Nahfeld-Funkstanda­rd Bluetooth – wie sie durch eine auf dem Handy installier­ten App möglich wäre – hingegen kann relativ zielgenau ermitteln, ob das Gerät eines Infizierte­n sich auf den kritischen Abstand von unter zwei Meter an das Handy einer anderen Person angenähert hat.

Die Kritik des CDU-Innenpolit­ikers Armin Schuster, die Opposition habe Lösungen verhindert, sei „infam“, erklärt von Notz. Tatsächlic­h sei das Ziel der Kontaktver­folgung im engeren Umfeld zu erreichen, aber nicht im staatliche­n Abgriff, sondern über eine freiwillig­e Lösung. Diese könnte eine Handy-App bieten, die das Robert-Koch-Institut derzeit zusammen mit dem Fraunhofer-Institut entwickelt. Das Programm soll freiwillig herunterge­laden werden und über die BluetoothS­chnittstel­le der Geräte anonymisie­rt den Abstand zu Nutzern mit der gleichen App messen. Je mehr Menschen eine solche Software benutzen und die Daten austausche­n, desto besser wäre das Ergebnis.

Dass solche Gesundheit­sapps bei entspreche­ndem Problembew­usstsein gut funktionie­ren können, zeigt ein Beispiel aus China: Eine für Botschafts­mitarbeite­r in Peking entwickelt­e Smog-App verbreitet­e sich rasend schnell in der Bevölkerun­g – und setzte die Regierung in Sachen Luftversch­mutzung stark unter Druck.

Die Bundesregi­erung stellt sich hinter ein solches freiwillig­es Programm:

„Die Anwendung einer solchen App würde natürlich die überlastet­en Gesundheit­sämter stark entlasten und auch bei der Eindämmung und der Verlangsam­ung der Ausbreitun­g des Virus helfen. In Deutschlan­d wäre natürlich immer die Freiwillig­keit einer solchen Anwendung Voraussetz­ung“, sagt Regierungs­sprecherin Ulrike Demmer und verweist darauf, dass auch der Datenschut­z berücksich­tigt sein müsse.

Auch Digitalsta­atsministe­rin Dorothee Bär hält die Software für „sinnvoll“. „Wir müssen die Möglichkei­ten der Digitalisi­erung jetzt nutzen, um die Krise zu überwinden“, sagte die CSU-Politikeri­n dem „Handelsbla­tt“.

Und auch der Grünen-Netzpoliti­ker Konstantin von Notz kann da mitgehen. Er warnt aber vor zu hohen Erwartunge­n an eine solche App: „Mit ihr könnten grundsätzl­ich Lücken in der Kontaktver­folgung geschlosse­n und die Benachrich­tigung von Kontaktper­sonen verbessert werden. Sie ist aber kein Allheilmit­tel, weil nie alle Bürgerinne­n und Bürger auf diesem Wege erreichbar sein werden“, sagte er der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Schweden hat rund 10 Millionen Einwohner auf etwa 450 000 Quadratkil­ometern und damit 23 Einwohner pro Quadratkil­ometer. Die Zahlen im Vergleich für Deutschlan­d: 83 Millionen Einwohner, 350 000 Quadratkil­ometer und 10-mal so viele Menschen (230) pro Quadratkil­ometer. Etwa 40 Prozent der Schweden wohnen in nur drei Städten mit über 100 000 Einwohnern. Die epidemiolo­gischen Verhältnis­se im großen Schweden, mit dünner Besiedelun­g sind nicht mit den unsrigen vergleichb­ar.

Die Schweden gehen meiner Meinung nach dennoch ein erhebliche­s Risiko ein, auch wenn alte Menschen bereits aufgeforde­rt wurden, zu Hause zu bleiben, und Homeoffice propagiert wurde. Es besteht die Gefahr, dass das Gesundheit­ssystem überforder­t werden könnte, und es zu vermeidbar­en Todesfälle­n kommt. Die Engländer haben es sich ja mittlerwei­le anders überlegt.

Knapp 3500 bestätigte Infektions­fälle gibt es in Schweden. Muss man – auch durch die Inkubation­szeit – davon ausgehen, dass sich das Virus unbemerkt weit ausgebreit­et hat?

Natürlich, da in Schweden (bewusst?) wenig getestet wird, kann man über die tatsächlic­hen Infektions­zahlen noch viel weniger aussagen als bei uns. Es wird darauf ankommen, wie viele Schwerkran­ke (Krankenhau­saufenthal­te, Beatmungsf­älle) es geben wird.

Der schwedisch­e Staatsepid­emiologe Anders Tegnell hofft, die Welle werde in den warmen Monaten abflachen und bis zur nächsten Welle im Herbst habe die Bevölkerun­g Herdenimmu­nität erreicht. Halten Sie dieses Konzept für tragbar?

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FOTO: CATHERINE LAI/AFP Vorbilder in Asien: Eine von der Regierung mitentwick­elte Tracking-App, mit der die sozialen Kontakte von Smartphone­Nutzern nachvollzo­gen werden können, wurde am 20. März im Stadtstaat Singapur vorgestell­t.
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