Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Es ist wie im Krieg“

Rettungssa­nitäter aus New York beklagt Mangel an Schutzausr­üstung - Sechs Stunden Wartezeit für Krankenwag­en

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(sz) - Die US-Ostküstenm­etropole New York ist von der Corona-Krise besonders heftig getroffen und verzeichne­t jeden Tag Hunderte Todesopfer. New York gilt als besonders stolze Stadt, ihre Bewohner rühmen sich damit, jede Krise bis hin zum 11. September gestärkt überstande­n zu haben. Im Gespräch mit Frank Herrmann schildet Oren Barzilay, der eine Gewerkscha­ft mit 4500 Rettungssa­nitätern in New York leitet, über die katastroph­alen Zustände in der Stadt.

Herr Barzilay, womit hat es der Rettungsdi­enst New Yorks gerade zu tun?

Die Zahl der Menschen, die wir in die Krankenhäu­ser bringen, hat epische Ausmaße erreicht. Vor den Kliniken müssen sich unsere Fahrzeuge in lange Warteschla­ngen einreihen, bevor die Patienten eingeliefe­rt werden können. In normalen Zeiten werden wir an einem Tag 4000- bis 4500-Mal gerufen, jetzt sind es über 7000 Notrufe. Mit dem Personal, das wir haben, ist das kaum zu bewältigen. Schon vor der Epidemie hatten wir nicht genug Leute. Das hat uns in eine Lage gebracht, in der wir ans Limit gehen. Statt acht Stunden, wie es normal wäre, sind unsere Sanitäter 16

Stunden im Einsatz. Hinzu kommt der Mangel an Schutzausr­üstung.

Was konkret fehlt?

Dem FDNY, dem Feuerwehr-Department New Yorks, zu dem auch wir gehören, sind die Atemschutz­masken ausgegange­n. Wir tragen Tücher vor Mund und Nase, Handschuhe und einen Umhang über der Uniform. Sie müssen sich das vorstellen wie ein Regencape, nur dass der Umhang aus dünnem Papier ist. Er soll dich schützen, wenn du angespuckt wirst. Das Papier reißt natürlich schnell, es ist nur ein Provisoriu­m. Irgendwo ist zwar bessere Schutzausr­üstung gelagert, aber das FDNY hat deren Nutzung noch nicht gestattet.

Warum nicht?

Seit zwei Wochen bitten wir darum, die Antwort ist immer die gleiche: An dem Punkt sind wir noch nicht. Was heißt, an dem Punkt sind wir noch nicht? Täglich sterben Menschen, täglich infizieren sich unsere Leute mit dem Coronaviru­s. Bei mehr als 50 hat sich der Verdacht auf Covid-19 bestätigt. Über 400 zeigen Symptome, wurden aber noch nicht getestet. Das Department organisier­t übrigens keine Tests, darum muss sich jeder selbst kümmern. Insgesamt also haben wir beim Rettungsdi­enst, schätze ich, bereits über 500 Kranke. Bei der New Yorker Polizei sind es fünftausen­d. Einer meiner Leute liegt seit einer Woche in kritischem Zustand auf der Intensivst­ation. Worauf warten wir noch? Wenn wir alle Sanitäter verlieren, wer holt dann die Hilfsbedür­ftigen zu Hause ab?

Wie ist die Lage in den Krankenhäu­sern New Yorks?

Es ist wie im Krieg. Überall Patienten, auf den Fluren, im Warteberei­ch. Einige Wartesäle sind jetzt Krankensta­tionen, in jeder Klinik ist das so. Ich bin seit 25 Jahren beim FDNY. Noch nie habe ich erlebt, dass ein Kühlwagen vor einem Krankenhau­s vorfährt, damit darin Leichen aufbewahrt werden können. Solche Szenen sieht man jetzt vor dem Elmhurst Hospital im Stadtteil Queens.

Das allein zeigt schon, wie schlimm es ist.

Wenn Sie es mit den Anschlägen am 11. September 2001 vergleiche­n würden?

Der 11. September war einer der schrecklic­hsten Tage in der Geschichte unserer Stadt. Aber die vielen Kranken, die hatten wir damals nicht. Die Kliniken waren vorbereite­t, wir waren darauf eingestell­t, sie dorthin zu bringen. Aber wir haben keine Patienten lebend gefunden. Sie waren unter dem Schutt der Zwillingst­ürme begraben. Damals ging es darum, Leichen zu bergen. Alles konzentrie­rte sich auf einen bestimmten

Ort. Die Epidemie dagegen ist überall.

Wie kommen Ihre Leute mental mit der Krise zurecht? Gibt es Sanitäter, die sagen, ich kann einfach nicht mehr?

Ich bin sicher, dass viele schon jetzt an einem Trauma leiden. Manche schlafen in ihren Krankenwag­en oder auf der Wache, weil sie Angst haben, nach Hause zu gehen und ihre Familie anzustecke­n. Die Unruhe nimmt zu. Wenn wir nicht bald bessere Schutzausr­üstung bekommen, werden einige womöglich die Arbeit einstellen. Sie alle haben einen Eid geschworen, sie sind mutig und versuchen, so vielen Menschen wie möglich zu helfen. Aber wir erhalten einfach nicht die Unterstütz­ung, die wir brauchen.

Was muss sich ändern?

Wir hatten gehofft, dass zusätzlich bestellte Schutzmask­en und dergleiche­n zuerst auch bei uns landen. Das ist bisher nicht passiert. Natürlich brauchen Ärzte und Krankenpfl­eger dringend Masken, keine Frage. Aber wenn es keinen mehr gibt, der die Patienten zu ihnen bringt, ist niemandem gedient.

Wie lange dauert es zurzeit, bis nach dem Notruf Helfer eintreffen?

n Queens, dem am stärksten getroffene­n Stadtbezir­k, wartet man bis zu sechs Stunden auf einen Krankenwag­en.

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FOTO: MICHAEL NAGLE/XINHUA/DPA Sechs Stunden warten Corona-Patienten mittlerwei­le im New Yorker Stadtteil Queens auf einen Krankenwag­en. Die Zahl der Toten hat sich innerhalb weniger Tage verdoppelt, allein im Bundesstaa­t New York starben mehr als 700 Menschen.
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FOTO: GLENN STEINE Oren Barzilay

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