Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Der Kampf um jedes Windrad
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat in 20 Jahren viel bewegt – und bleibt eine Dauerbaustelle
- Vor 20 Jahren trat das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Kraft. Nun steht die Energiewende unter Druck. Gibt es hierzulande überhaupt genug Platz und Bereitschaft, um all die notwendigen, neuen Windräder und Solaranlagen zu bauen? Ein Ausblick.
Anwohner regen sich auf, es wird demonstriert und geklagt, die Verwaltungen fordern ein Gutachten nach dem anderen. Und auf Bundesebene können sich Union und SPD nicht darüber einigen, wie groß künftig der Abstand zwischen Windkraftwerken und Siedlungen sein soll. Dabei ließe sich die Sache relativ einfach gestalten. Denn trotz der Regierungsplanung, den Ökostrom-Anteil von heute etwa 42 Prozent bis 2030 auf 65 Prozent zu steigern, werden dafür wohl nicht erheblich mehr Windräder an Land benötigt. Der Grund: Die modernen Anlagen können mehr Energie liefern als die alten. Und für zusätzliche Photovoltaikmodule auf Hausdächern und Freiflächen gibt es jede Menge Platz – wenn nur die Gesetze den Ausbau erleichterten, anstatt ihn zu behindern.
Vor 20 Jahren ging es plötzlich schnell. Zum 1. April des Jahres 2000 setzte die damalige rot-grüne Bundesregierung das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in Kraft und löste den Boom des Ökostroms aus. Als das EEG beschlossen wurde, regierte Rot-Grün unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) noch keine eineinhalb Jahre. Damals waren Solaranlagen noch eher etwas für Überzeugungstäter, kein Mainstream. Um das zu ändern, sollte die Einspeisung so vergütet werden, dass Ökostrom einspeisen sich lohnt – und zwar über 20 Jahre. Betreiber von Wind- und Solaranlagen erhielten eine feste Vergütung, die deutlich über dem Marktpreis lag. Das schuf Investitionssicherheit. Die EEG-Umlage, die das finanziert und die alle Bürger mit ihrer
Stromrechnung bezahlen, bringt Kritiker bis heute auf die Palme.
Wie kann die Geschichte nun weitergehen? Nach Berechnungen der Organisation Agora Energiewende müssten, um das 65-Prozent-Ziel bis 2030 zu erreichen, von nun an jährlich Windräder an Land mit einer Leistung von 4,1 bis 5,1 Gigawatt (Milliarden Watt) hinzugebaut werden. Damit kämen in den nächsten zehn Jahren 41 bis 51 Gigawatt Wind dazu, wodurch sich die Gesamtleistung in etwa auf rund 100 Gigawatt verdoppelte. Bei der Solarenergie müssten laut Agora 5,8 bis zehn Gigawatt (GW) jährlich errichtet werden, also 58 bis 100 GW. Das liefe im Vergleich zu heute auf eine Verdoppelung oder Verdreifachung hinaus.
Was heißt das für die Windkraft an Land konkret – ist mit der sogenannten Verspargelung der Landschaft zu rechnen? Eher nicht. Nimmt man an, dass die Leistung der zusätzlichen Windanlagen auf durchschnittlich vier Megawatt (MW) steigt, braucht man 12 500 neue Rotoren, um die benötigten 50 GW bereitzustellen. Gleichzeitig werden viele der heute rund 30 000 Anlagen durch stärkere ersetzt, wodurch ihr Bestand auf etwa 20 000 sinken dürfte.
Unter dem Strich könnte das für die kommenden zehn Jahre bedeuten: 20 000 alte plus 12 500 neue macht 32 500 im Vergleich zu derzeit 30 000. „Im Ergebnis bleibt die Zahl der Anlagen also in etwa gleich“, sagt Thorsten Lenck von Agora. Allerdings räumt er ein, dass die Windparks künftig mehr Fläche einnehmen – etwa das 1,7-Fache der heutigen Ausdehnung. Die Rotoren würden stärker, größer und höher, weshalb sie drumherum mehr Platz bräuchten.
Und wie sieht es für die Entwicklung der Solarenergie aus? Angenommen, es kommen bis 2030 etwa 100 Gigawatt Photovoltaikmodule in Deutschland hinzu, könnte man sie je zur Hälfte auf Hausdächern und Freiflächen errichten. Laut Experten ist dafür ausreichend Fläche vorhanden. Etwa Harry Wirth vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg beziffert „das Potenzial für Dachanlagen auf 387 Gigawatt“. Da sollte es grundsätzlich kein Problem darstellen, 50 GW zusätzlich auf den Dächern von Wohnhäusern, Fabriken,
Baumärkten oder Verwaltungsgebäuden unterzubringen. Und was die Freiflächen betrifft, verweist Wirth auf eine Studie für das Bundesverkehrsund Digitalministerium (BMVi). Demnach stehen genug Flächen beispielsweise in der Landwirtschaft zur Verfügung, um bis zu 226
Gigawatt Solarleistung anzubieten. „Mit Agrophotovoltaik lassen sich Landwirtschaft und Stromproduktion auf derselben Fläche kombinieren“, so Wirth. Einige Nutzpflanzen würden kaum weniger Ertrag bringen, wenn sie unter Sonnenmodulen wüchsen, andere sogar mehr.
So scheint sowohl der Wind- als auch der Solarausbau bis 2030 grundsätzlich keine Hürde zu sein. Wobei es politisch sinnvoll sein mag, sich mehr auf Sonne als auf Wind zu konzentrieren. Möglicherweise sind bei dieser Variante weniger Konflikte zu erwarten. Photovoltaikanlagen garnieren Hügel und Horizonte nicht so sehr wie die riesigen Rotoren.
Sowieso ist es erstaunlich, dass bisher so wenige Gebäudedächer vor allem in Städten mit PV-Modulen belegt sind. Das liegt unter anderem an dem irre komplizierten Mieterstromgesetz, das Produzenten von Dachstrom verpflichtet, erst mal ein Energieversorgungsunternehmen zu gründen. „Das ist kein praktikabler Rechtsrahmen“, sagt Fraunhofer-Experte Wirth. Auf Wünsche zur Vereinfachung hat die Bundesregierung bisher nicht reagiert.
Die Branche nutzt den Jahrestag daher für Appelle: „Gerade vor dem Hintergrund der aufziehenden Wirtschaftskrise muss sichergestellt werden, dass weiterhin in den Ausbau der Erneuerbaren Energien investiert wird und sie die Energieversorgung von morgen gewährleisten können“, sagt die Chefin des Energieverbands BDEW, Kerstin Andreae. Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands BDI, Holger Lösch, mahnt an, die EEG-Kosten für Verbraucher und Firmen zu senken: „Die jährlich rund 25 Milliarden Euro EEG-Kosten stellen inzwischen eine Hürde für die Weiterentwicklung der Energiewende dar.“Das Ziel müsse sein, die Stromkosten möglichst rasch vollständig von den Zusatzbelastungen durch das EEG zu entlasten.