Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Leichenschau wegen Corona ausgesetzt
Baden-Württembergs Minister Lucha reagiert auf Druck aus Bestatterbranche
- Sie soll verhindern, dass Totschlag und Mord unentdeckt bleiben: die zweite Leichenschau. Ein Amtsarzt untersucht die Körper von Toten noch einmal, bevor diese verbrannt werden. Die Landesinnung der Bestatter in Baden-Württemberg fordert seit Wochen, diese Regel für Corona-Opfer auszusetzen. Der Grund: Ärzte und Bestatter würden unnötigen Risiken ausgesetzt. Jetzt hat Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) entschieden, dem Drängen nachzugeben. Drei Monate lang entfällt die Pflicht zur zweiten Begutachtung. CDU-Politikerin Nicole Razavi und die Bestatter kritisieren, das komme viel zu spät.
Seit rund drei Wochen versucht Markus Maichle, mit seinen Argumenten durchzudringen. Er ist bei der Innung zuständig für Notfallmaßnahmen. „Wir setzen hier Menschen einem komplett unnötigen Risiko aus“, sagt er. Stirbt in BadenWürttemberg ein Mensch, untersucht ihn ein Arzt und stellt einen Totenschein aus. Konstatiert der Mediziner einen natürlichen Tod, wird die Leiche für den Bestatter freigegeben. Soll der Leichnam eingeäschert werden, muss ein Amtsarzt die zweite Leichenschau durchführen. Dies geschieht im Krematorium. Nach einer Erdbestattung ist es mit richterlicher Genehmigung möglich, einen Körper bei Zweifeln an der Todesursache zu exhumieren. Eine Einäscherung dagegen vernichtet möglichen Beweisen.
Wissenschaftler weisen darauf hin, dass ohne zweite Leichenschau viele Tötungsdelikte unentdeckt bleiben. Bayern verzichtet als einziges Bundesland dennoch darauf. Bestatter Maichle hält das für falsch und lobt die Regeln im Südwesten: „Dieses System in Baden-Württemberg ist sehr gut, wir wollen daran im Grundsatz überhaupt nichts ändern.“Es komme immer wieder vor, dass etwa Senioren keineswegs wie vom Hausarzt bescheinigt an den Folgen eines Sturzes stürben, sondern an anderen Dingen. Es sei durchaus problematisch, wenn zum Beispiel Mediziner als Freunde der Familie einen natürlichen Tod bescheinigten, ohne allzu genau hinzuschauen.
Doch in der aktuellen Situation fordert Maichle: Menschen, die nachweislich an einer Covid-19-Infektion gestorben sind, sollen nicht noch einmal vom Amtsarzt untersucht werden. Denn dazu müssen die Körper noch einmal aus dem Sarg und dem Leichensack herausgeholt werden. Zwar verfügen Amtsärzte und Bestatter laut Maichle in der Regel über ausreichend hochwertige Schutzkleidung. Dennoch sei es absurd, dieses Risiko einzugehen und Schutzmaterial zu verschwenden, wenn die Todesursache durch die Covid-19-Tests vorher klar sei.
Das Robert-Koch-Institut schreibt dazu: Ein hohes Risiko entstehe, wenn Tröpfchen austräten, „die ggf. entstehen, wenn Druck auf den Brustkorb bei der externen Leichenschau ausgeübt wird“. Außerdem sei auch eine Schmierinfektion möglich. Zur zweiten Leichenschau heißt es daher: „Vor der Durchführung sollte daher eine strenge Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen.“
Bestatter Maichle hat seine Bedenken mehreren Landtagsabgeordneten vorgetragen und Minister Lucha geschrieben. Unter anderem wies er im März darauf hin, dass die Stadt Stuttgart die zweite Leichenschau bereits ausgesetzt habe. Doch das Gesundheitsministerium pfiff die Behörden dort zurück und veranlasste ein Rundschreiben des Städtetags an dessen Mitglieder. Fazit: Die zweite Leichenschau sei nicht ausgesetzt. Dazu bestehe zunächst kein Anlass.
Nicole Razavi, parlamentarische Geschäftsführerin der CDU im Stuttgarter Landtag, schaltete sich ein – mit Briefen an Lucha und an Theresa Schopper (Grüne), Staatssekretärin bei Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). In seiner Antwort vom 2. April schrieb Lucha, es handle sich um eine schwierige Abwägung, derzeit sei aber noch kein Grund dazu gegeben, die zweite Leichenschau auszusetzen. Dem folgte nun am Mittwoch die Kehrtwende und das dreimonatige Aussetzen der Leichenschau.
„Ich kann nicht nachvollziehen, dass wir so leichtfertig mit der Gesundheit von Menschen und von systemrelevanten Berufsgruppen umgehen“, sagte Razavi der „Schwäbischen Zeitung“am Mittwoch. Der Schwenk des Ministers komme viel zu spät: „Es ist unverständlich, dass diese Entscheidung drei Wochen benötigt hat.“
Diese Frage kann meiner Meinung nach derzeit niemand seriös beantworten, weil es wenige und zudem verschiedene Daten/Aussagen diesbezüglich für Sars-CoV-2 gibt. Es ist im Übrigen sehr erstaunlich, dass die so wichtige Frage nach der Ursache unterschiedlicher jahreszeitlicher Häufung bei verschiedenen Infektionskrankheiten bislang sehr schlecht untersucht wurde. Verschiedene Viren haben ganz unterschiedlich bevorzugte Jahreszeiten. Es gibt Veröffentlichungen, dass es bei Wärme und hoher Luftfeuchtigkeit zu geringerer Übertragung von Sars-CoV-2, wie auch bei anderen Viren kommt. Dies ist aber nicht unwidersprochen, und man weiß übrigens auch bei den Influenzaviren des Menschen immer noch nicht genau, wie die Häufung in der Winterzeit zustande kommt, wenngleich es viele Vermutungen hierzu gibt. Neben vielen Annahmen, welche die Umweltresistenz von Viren und die Physik von Tröpfchen in der Luft betreffen, könnte sich auch das Immunsystem des Menschen mit den Jahreszeiten ändern.
Was macht Viren in den warmen Monaten allgemein zu schaffen?
Manche
Virusfamilien haben von Natur aus eine zusätzliche lipidhaltige Hülle (z.B. HIV, Influenzaviren, Coronaviren), die diese empfindlich machen gegenüber Fettlösern und alkoholischen Mitteln. Andere Virusfamilien sind „nackt“und bestehen nur aus Eiweiß und Genom (z.B. Hepatitis-AVirus, Polioviren). Grundsätzlich sind „nackte“Viren umweltresistenter/stabiler. Aber auch bei den verschiedenen umhüllten Viren gibt es große Unterschiede in der Umweltresistenz. Alle Viren brauchen für den Infektionsprozess intakte äußere Virusrezeptoren für die Anlagerung an die Wirtszelle und ein intaktes Genom. Befinden sich Viren auf festen Stoffen, dann gilt, dass Feuchtigkeit, Dunkelheit und Kälte gut sind für den Erhalt der Infektionstüchtigkeit. Nehmen wir als umgekehrtes Beispiel das Coronavirus auf einem Tisch. Bei Trockenheit, Hitze und direkter Sonnenbestrahlung wird es viel schneller inaktiviert. Trockenheit und Hitze führen zu äußeren Veränderungen am Viruspartikel, und das UV-Licht der Sonne ruft Brüche im Virusgenom hervor. Betrachtet man allerdings die Übertragung durch Tröpfchen, so ist im kalten Winter die Luft mit geringerem Wasseranteil offenbar gerade günstiger für das Influenzavirus und möglicherweise auch für SarsCoV-2. Es gibt also verschiedene Faktoren, deren Bedeutung im Einzelnen man nicht immer kennt.
Könnte das Coronavirus auch zu eher saisonalen Krankheitswellen führen?
Dazu müssen wir erst wissen, wie die erste Frage zu beantworten sein wird. Es gilt noch zu warten.