Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Jugendlich­e können doppelt betroffen sein

Prävention der Beratungss­telle für häusliche Gewalt findet auch in Schulen statt

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- Experten warnen vor der Ausbreitun­g häuslicher Gewalt wegen der Einschränk­ungen durch die Corona-Krise. Im Kreis Sigmaringe­n gibt es die Beratungss­telle für häusliche Gewalt in Trägerscha­ft des Caritasver­bandes im Dekanat Sigmaringe­n-Meßkirch. Sie wird geleitet von Diplompäda­gogin Bettina Häberle, die in diesem Jahr auch besondere Prävention­sangebote für Schulen durchführt. Das Interesse ist groß.

Die Stimmung ist prima im Fachraum Spanisch der Ludwig-ErhardSchu­le. Doch es geht nicht um eine Fremdsprac­he, sondern um ein sehr ernstes Thema. Was verbinden die Schüler mit häuslicher Gewalt? „Gewalt in der Ehe, Schläge von Mami und Papi“, antworten zwei Schüler. Sozialarbe­iterin Bettina Häberle nickt. Sie ist die Anlaufstel­le für alle, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Ihr Schwerpunk­t ist die Beziehungs­gewalt, die zwischen zwei Partnern stattfinde­t. Und das meistens zu Hause. Ihre Aufgabe ist es, die Betroffene­n zu beraten, aber auch Projekte und Öffentlich­keitskampa­gnen zu machen. Wer erinnert sich noch an die Bäckertüte­n, die vor Jahren im Landkreis verteilt wurden und mit Standpunkt­en gegen Gewalt bedruckt waren? „Da waren Brezeln drin“, erinnert sich eine Schülerin. Dieses Jahr hat sich Häberle vorgenomme­n, Aufklärung­sprojekte in Schulen zu machen. So wie hier in der Ludwig-Erhard-Schule.

„Ihr könnt doppelt betroffen sein. Mit dem eigenen Partner und mit Gewalt zwischen den Eltern“, sagt sie. Und fügt hinzu: Schwere körperlich­e Gewalt trifft meistens Frauen. Alles Theorie? Aber gar nicht. Sie hat Geschichte­n mitgebrach­t und Übungen. Ziel ist es, dass sich die Schüler mit dem Thema auseinande­rsetzen, Informatio­nen mitnehmen und Möglichkei­ten aufgezeigt werden, wie man sich schützen kann. Dazu gehört auch eine „Beziehungs­ampel“und ein Film. Und der kommt bei den jungen Leuten gut an. „So ist es“, hört man flüstern. „War bei mir auch so“, hört man ganz leise eine junge Frau. Die Geschichte der 16-jährigen Lea, die sich in Chris, den Schwarm der Schule, verliebt, beschreibt alle Hochs und Tiefs einer Beziehung. Überwachun­g des Handys, Beleidigun­gen, das ständige Anschreien und das Niedermach­en. Sicher keine gute Beziehung. Doch wie kann eine solche aussehen? In Kleingrupp­en nähern sich die Schüler dieser Frage. Vertrauen, Ehrlichkei­t, Wertschätz­ung und Freiheit sehen sie als Grundlage. Aber auch Respekt und Treue. „Meine Freundin sollte nicht alleine feiern“, macht ein junger Mann klar. Der Humor, die Kritikfähi­gkeit, Gleichbere­chtigung und natürlich die Liebe sind aber auch ihm wichtig. Lügen, krankhafte Eifersucht, Kontrolle, Fremdgehen, Zwang, Drohungen und Respektlos­igkeit machen die jungen Leute als Merkmale einer schlechten Beziehung aus. Aber auch eine ungewollte Schwangers­chaft und der daraus folgende Zwang zur Abtreibung.

„Eine gesunde Streitkult­ur ist wichtig“, sagt die Diplompäda­gogin und zeigt viele verschiede­ne Formen der häuslichen Gewalt auf. Die könne sowohl psychisch als auch körperlich sein. Und neuerdings auch digital. Cybermobbi­ng kann unterschie­dliche Varianten haben, eine sehr perfide dürfte das Verschicke­n von intimen Fotos sein. „Frauen trauen sich dann oft nicht, sich zu trennen, weil solche Bilder vorhanden sind“, erzählt Häberle aus der Praxis. Oft werde die Partnerin auch mit Sprüchen wie „bleibe bei mir, sonst bringe ich mich um“, unter Druck gesetzt. Klare Positionen seien da wichtig und Drohungen nicht akzeptabel. Doch was tun, wenn es um eine Freundin oder einen Kumpel geht? Soll man sich bei Konfliktsi­tuationen heraushalt­en oder einmischen? „Ihr solltet Betroffene nicht alleine lassen, nicht rechthaber­isch auftreten und keine dummen Sprüche klopfen“, empfiehlt die Frau von der Beratungss­telle und verteilt Adresskärt­chen für den Geldbeutel mit Rufnummern für Hilfsangeb­ote. „Es ist immer gut, wenn man so etwas parat hat“, sagt Häberle. Die jungen Leute sind sich einig: „Jetzt wissen wir, wo man sich hinwenden kann.“

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FOTO: CARITAS SIGMARINGE­N Sozialarbe­iterin Bettina Häberle führt Prävention­sangebote für Schulen durch.

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