Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Merkel ruft zur Disziplin auf
Kanzlerin will Lockerungsdebatte klein halten – Streit um Laschets Sonderweg
- Seit Montag sind Möbelhäuser ein Symbol politischen Eigensinns. In Nordrhein-Westfalen (NRW) können Kunden dort wieder Küchen aussuchen oder Kerzen kaufen, in den anderen Ländern nicht. Die Regierung von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hat den Möbelhäusern im Land die Öffnung erlaubt und schlägt damit einen deutschlandweiten Sonderweg ein. Denn in einer Schaltkonferenz mit der Bundeskanzlerin am vergangenen Mittwoch verabredete sich die Mehrheit der 16 Bundesländer gegen eine solche Öffnung. Dem „Spiegel“zufolge hatte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann Laschets Wunsch nach der Möbelhauseröffnung mit den Worten „Jeder hat einen Stuhl. Keiner sitzt am Boden“gekontert.
Doch Laschet verfügte die Möbelhauseröffnung nur für sein Land – und bleibt seinem Ruf als Drängler treu: Seit der Karwoche wirbt der CDU-Politiker für Lockerungen des Corona-Shutdowns. Und die Debatte nervt die Kanzlerin: In einer CDUPräsidiumsschalte am Montagmorgen warnte Angela Merkel Teilnehmern zufolge vor „Öffnungsdiskussionsorgien“. Zunehmende Sorglosigkeit könne die bisherigen Erfolge bei der Eindämmung der Pandemie zunichte machen. Am Nachmittag legte Merkel in einer Pressekonferenz nach, ohne auf Nachfrage auf das kolportierte Wort „Öffnungsdiskussionsorgien“einzugehen: „Es wäre jammerschade, wenn wir sehenden Auges in einen Rückfall gehen“, sagte die Kanzlerin nach einer Tagung des Corona-Kabinetts. Und betonte mehrfach, dass Deutschland erst am Beginn der Pandemie stehe und es darum gehe, „wachsam und diszipliniert“zu bleiben. „Wir dürfen uns keine Sekunde in Sicherheit wiegen“, sagte sie.
Die Warnung scheint nicht aus der Luft gegriffen. Nachdem 15 von 16 Bundesländern (das rot-rot-grün regierte Berlin bastelt noch an den Regeln) Ende vergangener Woche erste Lockerungen des Shutdowns auf den Weg gebracht haben, verzeichnete die Polizei in verschiedenen Bundesländern Verstöße gegen die weiter gültigen Kontaktbeschränkungen. Die Menschen drängen nach draußen, auch direkt unter Merkels Augen: Auf der Wiese zwischen Kanzleramt und Reichstag in Berlin sonnte sich vor zwei Wochen eine Handvoll Menschen. Am vergangenen Samstag waren es bereits Dutzende.
Merkel und andere Mahner wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) versuchen, die Lockerungsdebatte klein zu halten. Laschet wies dagegen Kritik an der Möbelmarktöffnung zurück. NRW sei nunmal das Land der Küchenbauer, erklärte er in der CDU-Präsidiumsschalte. Kurz zuvor hatte er zusätzlich die Rückkehr zu regulären Gottesdiensten gefordert. Laschet scheint in der Krise seine Rolle als Mahner einer Öffnung zu verstehen. Zwar weisen Vertraute die Vermutung zurück, dass sich der CDU-Politiker
mit seinem Kurs als Kanzlerkandidat der Union profilieren will. Doch seine Gegner sind sich sicher, dass der Ministerpräsident die Corona-Krise nutzen will, sich ins Rampenlicht zu bugsieren und gleichzeitig die angebliche zu große Nähe zu Angela Merkel Lügen strafen will. Es ist wohl auch ein Versuch, Boden gut zu machen. Laschet fiel anfangs vor allem damit auf, dass er sich die Mundschutzmaske falsch aufgesetzt hatte.
Zur Erinnerung: Laschet ist offizieller Kandidat in dem momentan auf Eis liegenden Rennen für den
CDU-Parteivorsitz. Eigentlich wollte die CDU am kommenden Wochenende den Nachfolger von Annegret Kramp-Karrenbauer küren – und damit auch eine Vorentscheidung zur Kanzlerkandidatur der Union und damit der Merkel-Nachfolge treffen. Der Parteitag ist coronabedingt abgesagt, doch die Entscheidung bleibt offen und dürfte nun im Dezember getroffen werden. Und immer mehr schält sich heraus, dass sich Partei und Bevölkerung derzeit einen guten Krisenmanager wünschen. Das nutzt Laschet, zumal sein Hauptwidersacher Friedrich
Merz sich ohne Regierungsamt kaum profilieren kann. Erste Zeitungen wünschen sich angesichts der Krise sogar eine fünfte Amtszeit von Angela Merkel herbei.
Als großer Gegenspieler Laschets gilt Bayerns Regierungschef Markus Söder. Der CSU-Mann hatte zwar bisher Ambitionen aufs Kanzleramt geleugnet. Doch der harte Kurs in der Corona-Krise hat ihm sensationelle Umfragewerte eingebracht. Würden die Bayern jetzt wählen, könnte die CSU alleine regieren. Allerdings profitiert auch Laschet in den Umfragen von seinem gegenteiligen Corona-Kurs.
Dessen Vorpreschen in Sachen Corona kritisierte Merkel am Montag in einer Tour, ohne auch nur einmal den Namen Laschet zu nennen. „Ich habe den Eindruck, dass seit Mittwoch eine Diskussion aufgekommen ist, die eine Sicherheit insinuiert, die nicht da ist“, sagte sie. Merkel dankt den Menschen für ihre Geduld, insbesondere den Alleinerziehenden, den Künstlern und den Religiösen. „Ich weiß um die Not vieler Menschen“, erklärte sie. Doch der beste Weg sei der, der vorsichtig ist und nicht leichtfertig. Vorsichtig bleibt Merkel auch beim Thema Maskenpflicht. Das sei erst einmal nicht Zuständigkeit des Bundes. Der „Druck“sei aber „sehr, sehr groß“, sagte sie. Und so fahren auch die Länder einen unterschiedlichen Kurs: In Bayern kommt sie, in NRW erst einmal noch nicht.
Im Westen nutzen übrigens auch nicht alle Möbelhäuser die Chance zur Eröffnung. Eine große schwedische Kette lässt ihre NRW-Filialen zu. Man wolle erst die nötigen Vorkehrungen für den Gesundheitsschutz treffen. Und das sei so schnell nicht zu leisten. Über ähnliches haben wir bereits am 26. März „Virus auf Türklinken“und am 16. April „Jogger und Radfahrer“gesprochen. Es ist eigentlich immer die Frage nach möglichen, seltenen Infektionswegen. Es gibt keine epidemiologischen Hinweise oder gar Beweise dafür, dass eine Infektion über Lebensmittel (verpackt oder unverpackt) stattfindet. Die Vermutungen hierzu werden gespeist aus experimentellen Daten über SarsCoV-2 auf kontaminierten Gegenständen. Noch einmal: Viren vermehren sich nicht auf Lebensmitteln oder anderen Gegenständen. Sobald virushaltiges Material aufgebracht wurde, beginnt die Abnahme der Infektiosität. Die Zeit arbeitet hier immer für uns. Wichtig für Infektiosität ist, wie früher gesagt, die ursprünglich aufgebrachte Virusmenge, die Zeit, die Temperatur und die Feuchtigkeit. Man müsste also für die Annahme einer Infektion auf diesem Wege ein letztlich sehr unwahrscheinliches Szenario konstruieren: es wird relativ viel Virus auf ein Lebensmittel aufgebracht, nicht über die Hände, sondern zum Beispiel durch massive Tröpfcheninfektion und kurz danach überträgt ein anderer Mensch das Virus mit seinen Händen bei sich auf Mund, Nase oder Augen. Man kann dies „wissenschaftlich“nicht ganz ausschließen, aber ich halte es für ein sehr wenig wahrscheinliches Infektionsrisiko.
Sind verpackte Lebensmittel, etwa bei Obst und Gemüse, grundsätzlich sicherer als unverpackte? Oder ist bereits die Verpackung an sich ein möglicher Überträger von Viren?
Da würde ich angesichts des oben Gesagten keinen Unterschied konstruieren wollen.
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