Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Corona: Besinnung auf das, was wichtig ist
Bad Saulgauer denken darüber nach, was die Zeit mit Corona für sie ganz persönlich bedeutet
(amm) - Wie gehen die Menschen durch die Corona-Krise? Was ändert sich beruflich oder privat? Lässt sich bei all den Einschränkungen und Ängsten auch Positives entdecken? Anita Metzler-Mikuteit hat sich umgehört.
Kulturamtsleiter Andreas Ruess:
Wir in den westlichen Industriestaaten erleben nun zum ersten Mal, dass gerade etwas passiert, was ganz und gar nicht in unser Selbstbild passt: Dass der Mensch nämlich nicht alles im Griff hat. Dass Technik, Wirtschaft, Medizin und Politik an Grenzen geraten und es ein „immer weiter so!“nicht geben kann. Natürlich trifft es einen hart, wenn man im Kulturbetrieb von heute auf morgen Veranstaltungen absagen muss, wenn man die existenzielle Not vieler betroffener Künstler sieht, wenn man aufwendige Planungen und Vorbereitungen für Ausstellungen, Theater, Konzerte auf Eis legen oder ganz abschreiben muss. Und doch habe ich nach dem ersten Schock auch den Eindruck, dass diese erzwungene kulturelle Fastenzeit auch ihr Gutes haben könnte: dass man sich besinnt auf das, was wirklich wichtig ist, dass man sich von einem hyperventilierenden Veranstaltungswesen nicht immer ablenken lassen und von einem Event zum anderen rennen muss. Dass man etwa die Kraft und die Schönheit der Musik ganz neu zu schätzen lernt, wenn man darauf eine Zeitlang hat verzichten müssen.
Alexandra Freund-Gobs, Germanistin, Politologin, Mediatorin:
Mich macht die Situation in Italien, Frankreich und Spanien sehr, sehr betroffen. Gleichzeitig bin ich in der Tat auch zuversichtlich. Bei gleichzeitiger „social distance“nehme ich auch ein Zusammenrücken in Teilen der Gesellschaft wahr und ein großes kreatives Potential von Menschlichkeit jenseits von Klopapierrollen und Aktienindex. Und ich finde, der Himmel ist blauer, wenn die Sonne scheint, denn es sind kaum Kondensstreifen von Flugzeugen am Himmel. Ich verbringe viel Zeit im Wald und genieße das. Ich entschleunige, das finde ich sehr angenehm. Zwar sind auch mir durch die notwendige „social distance“vorübergehend berufliche Schrauben angelegt, aber ich denke jetzt schon über alternative Modelle und Videokonferenzen nach, die für neue Zielgruppen spannende Workshops versprechen.
Gärtnermeister Dieter Braun:
Neben Ängsten und Unsicherheiten, wie alles weiter geht, sehe ich für mich persönlich die große Chance zur Entschleunigung. Ich hab endlich mal wieder Zeit, um meine Arbeit in Ruhe zu tun und meinen persönlichen Rhythmus wiederzuentdecken. Ich hab wieder Zeit zu überlegen, was mir wichtig ist in meinem Leben und wie ich das auch umsetzen kann. Die „Ruhe“ist im Moment fast nicht auszuhalten, aber dies ist für mich auch ein Zeichen, daß ich sehr fremdbestimmt gelebt habe.
Anja Mau und Fiona Skuppin, Studentinnen:
Wir sitzen hier im Studenten-Wohnheim in Tübingen in der Quarantäne fest, weil es zwei positiv getestete Corona-Fälle gibt. Andere haben sich testen lassen, aber haben noch keine Ergebnisse erhalten. Der Ansturm auf die Teststationen hier ist riesig. Andere wiederum dürfen sich gar nicht testen lassen, weil sie keine Symptome zeigen. Aber uns wird es nicht langweilig. In den letzten Tagen sind wir auf der Dachterrasse gesessen, haben gegrillt, Musik gehört, Yoga gemacht. Und wir haben wieder angefangen zu häkeln. Topflappen für unsere Stockwerksküche. Abends sitzen wir draußen vor der Feuerschale, machen Stockbrot und rösten Marshmallows. Bei schlechtem Wetter schauen wir Filme an oder machen Spiele.
Der städtische Mitarbeiter Michael van Beek
(seit seinem 20. Lebensjahr querschnittsgelähmt und hat seither auch eine Einschränkung bei der Atmung, die nur noch über das Zwerchfell gewährleistet wird): Aktuell bin ich noch viel mehr auf die Unterstützung meiner Mutter angewiesen. Obwohl ich zur Risikogruppe zähle, halten sich meine Ängste vor einer Coronavirus-Infektion in Grenzen. Ich vermeide soziale Kontakte, soweit es geht. Doch auf die Unterstützung der Sozialstation bin ich angewiesen. Die kommen zweimal täglich, natürlich entsprechend geschützt. Auch mein Physiotherapeut kommt weiterhin zu mir ins Haus. Die geplante Geburtstagsfeier meiner Mutter in wenigen Tagen haben wir natürlich vorschriftsmäßig abgesagt. In unserem Haus ist es total ruhig. Alle verhalten sich sehr diszipliniert. Auch die Apotheken und anderen Geschäfte haben sich einiges einfallen lassen und haben etwa Abstandsmarkierungen angebracht. So ist es richtig, jeder muss jetzt in dieser schweren Zeit Verantwortung übernehmen. Riesig gefreut hab ich mich, als völlig unerwartet zwei Frauen vor meiner Tür standen und mir Kleinbrot in die Hand drückten. Es scheint in diesen Zeiten auch ganz viele Engel zu geben.
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