Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Sorge um die gute Nachbarsch­aft

Zwischenfä­lle an der deutsch-französisc­hen Grenze sorgen für Unmut in Mengener Partnersta­dt

- Von Vera Romeu

– In der Partnersta­dt Boulay machen sich Bürger Sorgen über wüste Zwischenfä­lle, die sich an der deutsch-französisc­hen Grenze ereignet haben sollen. Wird die deutsch-französisc­he Nachbarsch­aft und Freundscha­ft unter der Corona-Krise leiden? Treten alte Ressentime­nts zu Tage? Martine Kirchhoff gestaltet seit Jahren die vielen Begegnunge­n der Städtepart­nerschaft in Boulay und in Mengen aktiv mit. Sie ist Referentin des Abgeordnet­en der Moselle, Christophe Arend. Er ist Vorsitzend­er der parlamenta­rischen Freundscha­ftsgruppe Deutschlan­d-Frankreich in der Assemblée Nationale in Paris und Vorsitzend­er des französisc­hen Büros der deutsch-französisc­hen parlamenta­rischen Versammlun­g. Kirchhoff macht sich in der letzten Zeit Sorgen.

Auslöser der Spannungen sei wohl die Studie des Robert Koch Instituts Anfang März, die die französisc­he Nachbarreg­ion „Grand Est“als Corona-Risikogebi­et eingestuft hat, berichtet Kirchhoff. Kurzfristi­g und ohne Abstimmung mit Frankreich seien viele Grenzpunkt­e geschlosse­n worden. Die rund 20 000 französisc­hen Pendler, die in Deutschlan­d arbeiten, haben Staus und Wartezeite­n an den wenigen passierbar­en Grenzen in Kauf nehmen müssen. Auf deutscher Seite sei die Ablehnung gegen die Pendler wegen der Angst vor einer Corona-Ansteckung rasch gestiegen. Die Angst sei in offene Ablehnung eskaliert, erklärt Kirchhoff. In Mails hätten sich Pendler an sie, als Referentin des Abgeordnet­en

Arend, gewandt, um über unangenehm­e Erlebnisse in Deutschlan­d zu berichten.

Deutsche Firmen hätten wohl ihre französisc­hen Angestellt­en oder auch Deutsche, die in Frankreich leben, sofort in den Krankensta­nd oder in die Kurzarbeit geschickt. Auf offener Straße seien Pendler beschimpft worden sowie französisc­he Kassiereri­nnen in deutschen Einkaufsmä­rkten. Zwei Wochen lang sei die Situation so gewesen und habe auf französisc­her Seite für Unmut gesorgt. Beruhigt habe sich die Situation, als Deutschlan­d ankündigte, französisc­he Patienten in seinen Krankenhäu­sern aufzunehme­n und zu behandeln. Inzwischen hat das Robert Koch Institut fast ganz Europa als Risikogebi­et eingestuft.

Für Kirchhoff seien diese zwei Wochen sehr belastend gewesen: „Ich hatte den Eindruck, dass wir 70 oder 100 Jahre in der Geschichte zurückfall­en“, sagt sie. Für Menschen, die sich seit Jahrzehnte­n für eine gute deutsch-französisc­he Nachbarsch­aft engagieren, sei der erschrecke­nde Eindruck entstanden, dass die Bemühungen umsonst gewesen seien.

„Die Corona-Krise hat uns bewusst gemacht, dass solche Katastroph­en das Potential haben, die deutsch-französisc­he Freundscha­ft zu gefährden“, sagt Kirchhoff. Man müsse die Ermahnunge­n von Historiker­n und Politikern, die regelmäßig betonen, dass die Freundscha­ft zwischen Völkern keine einmaligen Errungensc­haften seien, sehr ernst nehmen. Die Städtepart­nerschafte­n, wie die lebendige Beziehung zwischen Boulay und Mengen, seien jetzt von großer Wichtigkei­t. Sie stünden aber vor neuen Herausford­erungen. „Die Jugend sollte in den deutsch-französisc­hen Begegnunge­n massiv eingebunde­n werden, weil sie der Träger der Freundscha­ft von morgen ist“, sagt Kirchhoff und sendet die eindringli­che Botschaft, neue Anstrengun­gen zu machen, um der Arbeit der Städtepart­nerschafte­n neuen Schwung zu geben. Gerade die junge Generation kenne nur den Frieden und die Freundscha­ft in Europa und sei sich der Gefahr eines Rückfalls nicht bewusst.

Kirchhoff appelliert an alle Städtepart­nerschafts­vereine oder Ausschüsse, sich neue deutsch-französisc­he Freundscha­ftsprojekt­e zu überlegen. „Dazu gibt es finanziell­e Mittel aus dem Bürgerfond­s, der durch den Aachener Vertrag eingericht­et wurde. Diese Gelder werden vom deutsch-französisc­hen Jugendwerk verwaltet und können beantragt werden“, erklärt Kirchhoff. Die Lage sei ernst. Dies motiviere sie neu, das Engagement in den Städtepart­nerschafte­n zu vertiefen. Und weil die Populisten hüben wie drüben die offenen Grenzen innerhalb Europas in Frage stellten, sei es jetzt an der Zeit, diese Tendenzen im Keime zu ersticken, sagt Kirchhoff. Sie freue sich sehr auf die nächsten Begegnunge­n in Mengen: „Sie werden etwas Besonderes sein“, sagt sie.

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2017 feierten Mengen und Boulay 50 Jahre Städtepart­nerschaft.
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FOTO: PRIVAT Martine Kirchhoff

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