Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Vagabunden sollte man Reisefreiheit gewähren
Gartenexperten geben Tipps, wie wilde Sämlinge in den Garten eingebunden werden können
(dpa) - Na, was machst du denn da? Noch winzige Blühstauden schieben sich aus dem eigentlichen Gemüsebeet. Neben den Rosen entwickelt sich auch überraschend ein kleiner grüner Teppich – es sind die Vagabunden des Gartens.
Das sind Pflanzen, die selbst ihre Samen verbreiten und so erst einmal unbemerkt neue Plätze im sonst doch immer so durchgeplanten und strukturierten Garten einnehmen. Verbreitet wurden die Samen im vergangenen Sommer vom Wind, aber auch Schuhsohlen und spielende Hunde sind daran beteiligt und jetzt finden Hobbygärtner überall dort kleine Sämlinge, wo sie nicht sein sollten.
Das kann nerven, es kann aber auch seinen Reiz haben, wenn man sich auf die Überraschung einlässt. „Eine herrliche Eigenschaft“nennt die Gartengestalterin Anja Maubach aus Wuppertal diese Art der Vermehrung. Die daraus entstehenden ungeplanten Pflanzkombinationen verleihen einer Anlage, die vorwiegend statisch ist, neben Zufälligkeit auch Dynamik.
Vor allem da nicht alle Sämlinge in unmittelbarer Nähe zu ihrer Mutterpflanze auftauchen, wie das etwa bei Akelei und Leinkraut der Fall ist. Zum Beispiel die staudig wachsenden Wolfsmilcharten wie Euphorbia characias tauchen auch schon mal in einigem Abstand auf.
Auch wenn es davon Ausnahmen gibt, „die meisten Vagabunden haben als Individuum eine sehr kurze Lebensdauer“, erläutert Jonas Reif, Professor für Pflanzenverwendung und Vegetationskonzepte an der Fachhochschule Erfurt. Sie lassen sich daher in Gruppen einteilen:
„Die Einjährigen überleben nur über Aussaat“, erklärt Dieter Gaissmayer, Staudengärtner und Vorstand der Stiftung Gartenkultur in Illertissen (Bayern).
Die Zweijährigen nutzen zwar die gleiche Aussaatmethode, aber in einem anderen Rhythmus. Im ersten Jahr bilden sie nur Wurzeln und Blätter, im zweiten Jahr erst folgt die Blüte und damit die Selbstaussaat. „Bei diesen Vagabunden muss man schon aufpassen“, sagt Gaissmayer zu den Zweijährigen. Zum Beispiel die Königskerze kann zu einem lästigen Großbewohner im Garten werden, da sie sich stark vermehrt.
Eine Sondergruppe unter den Reisenden im Garten bilden jene Pflanzen, die wie die Minze sich „quasi zu Fuß“ausbreiten, so Gaissmayer. Ihre Wurzelausläufer können die Pflanze unterirdisch weit verzweigen.
Wer auf geordnete Verhältnisse ohne Überraschungen steht, kann zumindest versuchen, die Ausbreitung dieser Pflanzen teilweise zu verhindern. Etwa indem man ihre kleinen Helferlein verscheucht – denn eine ganze Reihe von Vagabunden sind auf die Hilfe von Ameisen als Samentransporteure angewiesen. Sie können sogar dafür sorgen, dass der Gelbe Lerchensporn plötzlich aus einer Backsteinmauer in zehn Metern Höhe sprießt.
Man kann aber auch den Vagabunden und ihrem Reisedrang bewusst im Garten einen Raum geben. Etwa dadurch, dass man nur einzelne dieser Pflanzen ins Beet integriert. Nach ein bis zwei Jahren der Selbstaussaat taucht die Pflanze dann dort in größerer Stückzahl auf. „Dann beginnt man einzugreifen und lenkt die Entwicklung“, erläutert Gaissmayer.
Man kann dann zum Beispiel einzelne Farben selektieren oder auch die Menge an sich bestimmen, indem man immer nur eine bestimmte Anzahl an Sämlingen weiterwachsen lässt. Das bedeutet natürlich, dass man genau hinschauen und durch die Beobachtung lernen muss, die Pflanzen schon im Jugendstadium zu erkennen.
Eine andere Methode der Einbindung ist, einem neuen Staudenbeet erst mal nur eine lockere Pflanzendecke zu geben und in die Zwischenräume Vagabunden zu säen. „So wird das Prinzip der bleibenden und weichenden Stauden im Beet lebendig“, sagt der Staudengärtner Gaissmayer.
So braucht zum Beispiel die Pfingstrose gut drei bis fünf Jahre nach ihrer Pflanzung, bis sie sich im
Beet etabliert hat. In der Zwischenzeit nehmen etwa die vagabundierenden Akeleien als Nachbarn mehr Platz ein, die aber wieder wegziehen, wenn der Platz knapp wird.
Man kann den Vagabunden auch gleich etwas Spielfläche ganz überlassen – und sich jedes Jahr aufs Neue von der Zusammensetzung überraschen lassen. Zahlreiche Vagabunden sind typische Ruderalpflanzen, die sich auf Freiflächen ansiedeln. Dazu gehört der Fingerhut ebenso wie die Spornblume und die Königskerze. Zu den Voraussetzungen für ein gutes Wachstum gehört ein nährstoffreicher Untergrund.
„Der Boden sollte offen, zugleich locker sein“, rät Professor Rief. Er empfiehlt eine flache mineralische Auflage aus feinkörnigem Kies oder Splitt. „So wird eine gute Feuchtigkeit in der oberen Schicht gehalten, sodass die Sämlinge gute Keimbedingungen vorfinden.“
Auch Fugen von Pflastern lassen sich damit bepflanzen, denn sie bieten ähnliche Verhältnisse. Zu der sogenannten Spontanvegetation für diese Standorte gehören beispielsweise das Spanische Gänseblümchen und die Walzenwolfsmilch.
Grundsätzlich muss man beim bewussten Gärtnern mit Vagabunden lernen, die Pflanzen stärker gewähren zu lassen. Zum einen brauchen die Samenstände Zeit, richtig auszureifen, zum anderen benötigt der Boden Ruhe, damit die Sämlinge in ihrer Entwicklung ungestört sind.
Allerdings schränkt Staudengärtner Gaissmayer ein, dass er manchen Vagabunden nur bedingt gewähren lässt. „Bei der Eselsdistel lasse ich nur wenige Samenstände ausreifen und ernte diese bevor sie ausfallen.“Denn die Eselsdistel wird zu einer teils mehrere Meter großen Pflanze, die sich auch sehr stark aussät. Daher sät Gaissmayer ihre Samen auch gezielt an Wunschorten aus.
„Bei den zweijährigen Vagabunden muss man schon aufpassen.
Dieter Gaissmayer von der gleichnamigen Staudengärtnerei
Jonas Reif, Christian Kress: Blackbox-Gardening. Ulmer Verlag Stuttgart. ISBN 9783800175383