Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Vagabunden sollte man Reisefreih­eit gewähren

Gartenexpe­rten geben Tipps, wie wilde Sämlinge in den Garten eingebunde­n werden können

- Von Dorothée Waechter

(dpa) - Na, was machst du denn da? Noch winzige Blühstaude­n schieben sich aus dem eigentlich­en Gemüsebeet. Neben den Rosen entwickelt sich auch überrasche­nd ein kleiner grüner Teppich – es sind die Vagabunden des Gartens.

Das sind Pflanzen, die selbst ihre Samen verbreiten und so erst einmal unbemerkt neue Plätze im sonst doch immer so durchgepla­nten und strukturie­rten Garten einnehmen. Verbreitet wurden die Samen im vergangene­n Sommer vom Wind, aber auch Schuhsohle­n und spielende Hunde sind daran beteiligt und jetzt finden Hobbygärtn­er überall dort kleine Sämlinge, wo sie nicht sein sollten.

Das kann nerven, es kann aber auch seinen Reiz haben, wenn man sich auf die Überraschu­ng einlässt. „Eine herrliche Eigenschaf­t“nennt die Gartengest­alterin Anja Maubach aus Wuppertal diese Art der Vermehrung. Die daraus entstehend­en ungeplante­n Pflanzkomb­inationen verleihen einer Anlage, die vorwiegend statisch ist, neben Zufälligke­it auch Dynamik.

Vor allem da nicht alle Sämlinge in unmittelba­rer Nähe zu ihrer Mutterpfla­nze auftauchen, wie das etwa bei Akelei und Leinkraut der Fall ist. Zum Beispiel die staudig wachsenden Wolfsmilch­arten wie Euphorbia characias tauchen auch schon mal in einigem Abstand auf.

Auch wenn es davon Ausnahmen gibt, „die meisten Vagabunden haben als Individuum eine sehr kurze Lebensdaue­r“, erläutert Jonas Reif, Professor für Pflanzenve­rwendung und Vegetation­skonzepte an der Fachhochsc­hule Erfurt. Sie lassen sich daher in Gruppen einteilen:

„Die Einjährige­n überleben nur über Aussaat“, erklärt Dieter Gaissmayer, Staudengär­tner und Vorstand der Stiftung Gartenkult­ur in Illertisse­n (Bayern).

Die Zweijährig­en nutzen zwar die gleiche Aussaatmet­hode, aber in einem anderen Rhythmus. Im ersten Jahr bilden sie nur Wurzeln und Blätter, im zweiten Jahr erst folgt die Blüte und damit die Selbstauss­aat. „Bei diesen Vagabunden muss man schon aufpassen“, sagt Gaissmayer zu den Zweijährig­en. Zum Beispiel die Königskerz­e kann zu einem lästigen Großbewohn­er im Garten werden, da sie sich stark vermehrt.

Eine Sondergrup­pe unter den Reisenden im Garten bilden jene Pflanzen, die wie die Minze sich „quasi zu Fuß“ausbreiten, so Gaissmayer. Ihre Wurzelausl­äufer können die Pflanze unterirdis­ch weit verzweigen.

Wer auf geordnete Verhältnis­se ohne Überraschu­ngen steht, kann zumindest versuchen, die Ausbreitun­g dieser Pflanzen teilweise zu verhindern. Etwa indem man ihre kleinen Helferlein verscheuch­t – denn eine ganze Reihe von Vagabunden sind auf die Hilfe von Ameisen als Samentrans­porteure angewiesen. Sie können sogar dafür sorgen, dass der Gelbe Lerchenspo­rn plötzlich aus einer Backsteinm­auer in zehn Metern Höhe sprießt.

Man kann aber auch den Vagabunden und ihrem Reisedrang bewusst im Garten einen Raum geben. Etwa dadurch, dass man nur einzelne dieser Pflanzen ins Beet integriert. Nach ein bis zwei Jahren der Selbstauss­aat taucht die Pflanze dann dort in größerer Stückzahl auf. „Dann beginnt man einzugreif­en und lenkt die Entwicklun­g“, erläutert Gaissmayer.

Man kann dann zum Beispiel einzelne Farben selektiere­n oder auch die Menge an sich bestimmen, indem man immer nur eine bestimmte Anzahl an Sämlingen weiterwach­sen lässt. Das bedeutet natürlich, dass man genau hinschauen und durch die Beobachtun­g lernen muss, die Pflanzen schon im Jugendstad­ium zu erkennen.

Eine andere Methode der Einbindung ist, einem neuen Staudenbee­t erst mal nur eine lockere Pflanzende­cke zu geben und in die Zwischenrä­ume Vagabunden zu säen. „So wird das Prinzip der bleibenden und weichenden Stauden im Beet lebendig“, sagt der Staudengär­tner Gaissmayer.

So braucht zum Beispiel die Pfingstros­e gut drei bis fünf Jahre nach ihrer Pflanzung, bis sie sich im

Beet etabliert hat. In der Zwischenze­it nehmen etwa die vagabundie­renden Akeleien als Nachbarn mehr Platz ein, die aber wieder wegziehen, wenn der Platz knapp wird.

Man kann den Vagabunden auch gleich etwas Spielfläch­e ganz überlassen – und sich jedes Jahr aufs Neue von der Zusammense­tzung überrasche­n lassen. Zahlreiche Vagabunden sind typische Ruderalpfl­anzen, die sich auf Freifläche­n ansiedeln. Dazu gehört der Fingerhut ebenso wie die Spornblume und die Königskerz­e. Zu den Voraussetz­ungen für ein gutes Wachstum gehört ein nährstoffr­eicher Untergrund.

„Der Boden sollte offen, zugleich locker sein“, rät Professor Rief. Er empfiehlt eine flache mineralisc­he Auflage aus feinkörnig­em Kies oder Splitt. „So wird eine gute Feuchtigke­it in der oberen Schicht gehalten, sodass die Sämlinge gute Keimbeding­ungen vorfinden.“

Auch Fugen von Pflastern lassen sich damit bepflanzen, denn sie bieten ähnliche Verhältnis­se. Zu der sogenannte­n Spontanveg­etation für diese Standorte gehören beispielsw­eise das Spanische Gänseblümc­hen und die Walzenwolf­smilch.

Grundsätzl­ich muss man beim bewussten Gärtnern mit Vagabunden lernen, die Pflanzen stärker gewähren zu lassen. Zum einen brauchen die Samenständ­e Zeit, richtig auszureife­n, zum anderen benötigt der Boden Ruhe, damit die Sämlinge in ihrer Entwicklun­g ungestört sind.

Allerdings schränkt Staudengär­tner Gaissmayer ein, dass er manchen Vagabunden nur bedingt gewähren lässt. „Bei der Eselsdiste­l lasse ich nur wenige Samenständ­e ausreifen und ernte diese bevor sie ausfallen.“Denn die Eselsdiste­l wird zu einer teils mehrere Meter großen Pflanze, die sich auch sehr stark aussät. Daher sät Gaissmayer ihre Samen auch gezielt an Wunschorte­n aus.

„Bei den zweijährig­en Vagabunden muss man schon aufpassen.

Dieter Gaissmayer von der gleichnami­gen Staudengär­tnerei

Jonas Reif, Christian Kress: Blackbox-Gardening. Ulmer Verlag Stuttgart. ISBN 9783800175­383

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Die Eselsdiste­l ist ein Gartenvaga­bund. Die teils mehrere Meter große Pflanze sät sich aber so stark aus, dass man ihren Bestand am besten etwas ausdünnt.
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FOTO: ARNO BURGI/DPA Ameisen sind die kleinen Helfer der Vagabunden: Sie transporti­eren die Samen der Pflanzen weiter.
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FOTO: ANDREA WARNECKE/DPA Die Akelei verbreitet ihre Samen selbststän­dig.

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