Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Reha-Betrieb mit Augenmaß wieder aufnehmen“
Krankenhausgesellschaft fordert angesichts freier Betten baldige Rückkehr zum Regelbetrieb in den Kliniken
- Angesichts von etwa 10 000 leeren Intensivbetten in Deutschlands Krankenhäusern fordert der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Dr. Gerald Gaß, eine Rückkehr in den Regelbetrieb. Nach der Corona-Pandemie müsse sich aber insbesondere etwas bei der Bezahlung verbessern, sagte Gaß im Gespräch mit unserem Redakteur Klaus Wieschemeyer.
Herr Dr. Gaß, es gibt Berichte, dass weniger Patienten mit Verdacht auf Herzinfarkt oder Schlaganfall in Deutschlands Krankenhäuser kommen …
Das ist in der Tat so. Kardiologen und Schlaganfalleinheiten melden uns, dass sie bis zu 30 Prozent weniger Verdachtsfälle haben. Das beunruhigt uns sehr.
Warum? Vielleicht leben die Menschen in der Krise mit weniger Stress gesünder …
Das mag vielleicht bei ganz wenigen Einzelfällen der Grund sein. In der Fläche liegt es wohl eher daran, dass Menschen Sorge haben, in die Krankenhäuser zu kommen. Entweder weil sie fürchten, sich mit Corona anzustecken oder weil sie glauben, möglicherweise einem Schwerkranken einen Platz wegzunehmen. Von Kardiologen hören wir, dass derzeit vielfach Patienten kommen, die vorher schon einige Tage mit entsprechenden Symptomen zu Hause waren.
Zumal derzeit eigentlich genug Betten frei sind …
Durch die deutliche Rückführung der Regelversorgung und viele Patienten, mit denen vereinbart wurde, dass die Eingriffe verschoben werden, liegt die Belegung derzeit zwischen 30 und 40 Prozent niedriger als in normalen Zeiten. Weil glücklicherweise auch der erwartete dramatische Anstieg der Corona-Fallzahlen ausgeblieben ist, sind auch weniger Covid-19-Erkrankte in den Krankenhäusern angekommen.
Darum will der Gesundheitsminister die für Corona frei gehaltenen Intensivbetten ab Mai auf 25 bis 30 Prozent reduzieren.
Die Kapazitäten in den Bereichen Intensiv und Beatmung sind im Mogelbetriebs ment wirklich ausreichend. Deshalb haben wir bereits Mitte vergangener Woche ein Wiederanlaufen des Re
vorgeschlagen. Damit könnten wir notwendige Behandlungen von Patienten auf den Wartelisten starten. Wir plädieren dafür, die frei gehaltenen Beatmungsbetten bei 20 Prozent der Kapazitäten zu definieren. Wenn sich die Lage ändert, können wir innerhalb von 72 Stunden weitere 20 Prozent zur Verfügung stellen.
Wie soll das gehen? Lassen sich Knie- oder Hüft-Operationen so gut planen?
Wir können beim Infektionsgeschehen recht frühzeitig Veränderungen erkennen und dann auch reagieren. Und auch die Kapazitäten lassen sich vorplanen: Ein Patient ist im Schnitt nur sieben Tage in deutschen Krankenhäusern, und davon auch in der Regel keine sieben Tage auf der Intensivstation.
Viele Patienten gehen danach in die Reha ...
Die Rehabilitationskliniken haben fast flächendeckend schließen müssen. Viele wurden durch Verordnungen der Länder verpflichtet, ihre Versorgung mit Blick auf Bettenund Personalkapazitäten ganz einzustellen. Ein Teil der Rehakliniken hat zurzeit Kurzarbeit beantragt. Wir sollten den Reha-Betrieb mit Augenmaß wieder aufnehmen, sonst droht auch großer gesundheitlicher Schaden.
Schlägt nun die Stunde der von Schließung bedrohten kleinen Krankenhäuser?
Ich werde zurzeit ja oft gefragt, weshalb Deutschland bislang relativ gut durch die Krise kommt. Das liegt auch an unserer vielfältigen Versorgungslandschaft. Wir haben Häuser in der Fläche, die über Intensivbehandlungsmöglichkeiten verfügen. Diese können auch eine größere Zahl von Corona-Patienten versorgen. Und in vielen Bundesländern teilen sich Maximalversorger und umliegende Krankenhäuser die Aufgaben in der Versorgung. Das reicht von den Fieberambulanzen über die Belegung von Normalstationen bis hin zu Organersatztherapie.
Vor Corona wurde immer wieder die kleinteilige deutsche Krankenhausstruktur beklagt. Ist die Debatte vorbei?
Auch nach der Krise ist die Strukturdiskussion nicht vorbei. Sie wird aber sicher unter anderen Vorzeichen geführt werden. Es gibt in verschiedenen Regionen die Notwendigkeit, Strukturen neu zu ordnen. Aber nicht im Rahmen eines Kahlschlags, wie sie eine BertelsmannStudie angeregt hatte, die jedes zweite Haus für überflüssig hielt. Zudem darf sich die Strukturdebatte aus meiner Sicht nicht nur auf die Krankenhäuser beschränken.
Schwierigkeiten gab es vor der Krise auch beim Personal. In vielen Krankenhäusern fehlen Leute.
Wir sind, weil „die Sonne geschienen hat“und wir keinen Sturm hatten, mit dem Personal gerade so hingekommen. Aber eine Lehre aus den letzten Wochen ist: Wir brauchen einen deutlich höheren Personalbestand und müssen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch ein stückweit entlasten. In den vergangenen 15 Jahren wurde wegen der Finanzierungsmängel Personal reduziert. Hier brauchen wir ein neues Denken, zum Beispiel ein neues Personalbemessungssystem für die Pflege im Krankenhaus.
Sie wollen also mehr Geld?
Wenn wir eine grundsätzliche Änderung wollen, muss diese auch von der Gesellschaft refinanziert werden. Die Kosten für die Krankenhäuser sind von den Krankenkassen zu zahlen. Dann müssen auch die Beitragszahler höhere Beiträge akzeptieren. Und wir brauchen dann auch eine andere Bereitschaft, Krankenhäuser anders zu finanzieren. Heute gibt es eine rein leistungsbezogene Finanzierung. Das schafft wirtschaftlichen Druck. Wenn wir die Aufnahme und Behandlungsbereitschaft auch in Notlagen wollen, brauchen wir ein neues Finanzierungssystem.