Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Freiheit für Hunderte Ostracher KZ-Häftlinge
Für die Gemeinde ist der 22. April ein denkwürdiger Tag – Warum ein Pfarrer dabei eine besondere Rolle spielt
- „Ein unbekannter KZHäftling – 22. 4. 1945“steht auf dem Gedenkkreuz im Wald zwischen Pfullendorf und Ostrach. Doch er ist nicht der einzige, der vor 75 Jahren starb, als am 22. April der „Todesmarsch“einiger Hundert Konzentrationslager-Häftlinge vom Lager Schörzingen und einigen Nebenlagern in Ostrach endete.
Der Häftling Julien Hagenbourger schreibt wörtlich: „Als wir in Ostrach ankamen, herrschte zügellose Unordnung. Beim Zählappell fehlten 37 Häftlinge, die am Wegrand liegen geblieben oder erschossen worden waren. Einigen war die Flucht gelungen. In Ostrach wurden wir von den SS-Wachmännern in zwei Scheunen getrieben. Sie selbst suchten das Weite.“Und weiter: „Gegen 15 Uhr war noch einmal die Hölle los, als wir aus den Scheunen getrieben wurden und die SS-Männer an den Straßenecken ballerten. Da fingen die Frauen des Ortes an, die Wachmannschaften zu beschimpfen. Sie forderten diese auf, den Ort zu verlassen.“
Aus zahlreichen Aufzeichnungen geht hervor, dass den Häftlingen alle nur mögliche Hilfe zukam, was auch auf die Orte Königseggwald und Altshausen zutraf, in denen einige kleinere Gruppen eine vorübergehende Bleibe fanden. Gleichzeitig erlebte Ostrach an diesem Sonntag nach einem kurz gehaltenen Gottesdienst den Ein- und Durchmarsch französischer Panzerverbände und Bodentruppen.
Pfarrer Georg Moser war einer der ersten, der Kontakt zur französischen Besatzungseinheit fand. Unterstützt wurde er von Lehrerin Maria Straßner, die aufgrund ihrer Herkunft in Lothringen perfekt französisch sprach. Das Krankenhaus war total überfüllt. Chefarzt war der Pole Nadolsky, der, so ist der Chronik von Pfarrer Moser zu entnehmen, ein strenges Regiment führte.
Bereits am zweiten Tag starben zwei Häftlinge, weitere folgten oder wurden an Straßenrändern und Waldeinschnitten gefunden. Ein deutscher Soldat wurde, nachdem
Pfarrer Moser ihm auf Befehl des Ortskommandanten die Beichte abgenommen hatte, unter der Eisenbahnbrücke über die Ostrach erschossen. Das Geschoss steckt heute noch in der Wand der Betonmauer.
Eine Frau wurde tödlich getroffen, als französische Soldaten auf Hühner und Hasen schossen. Pfarrer Georg Moser durfte – oder musste – die Beerdigungen vornehmen, jedoch ohne die Namen der Toten zu erfahren.
Auf dem Ostracher Friedhof waren es schließlich 13 Gräber mit einfachen Holzkreuzen. Als diese morsch wurden, schlug Pfarrer Moser vor, alle in ein gemeinsames Grab umzubetten, was im Einvernehmen mit der Gemeinde- und Kreisverwaltung
erfolgte. Die Gemeinde Ostrach erstellte die Gedenkstätte mit drei bekannten Namen und für die zehn Unbekannten mit dem Spruch: „Ein jeder von ihnen war ein Geschöpf Gottes und einer Mutter Kind.“Zwei Einzelgräber befinden sich im Wald zwischen Ostrach und Pfullendorf. Für Ostrach ist der 22. April 2020 jedenfalls ein denkwürdiger Tag.