Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Ungerechti­gkeit wird jeden Tag größer“

Mengens Bürgermeis­ter diskutiert online über den digitalen Unterricht in Corona-Zeiten

- Von Jennifer Kuhlmann

- Die weiterführ­enden Schulen in Mengen haben die Zeit, in der kein gemeinsame­r Unterricht in den Einrichtun­gen stattfinde­n konnte, größtentei­ls ziemlich gut gemeistert. Zu dem Ergebnis sind die Teilnehmer der Runde „Mengen diskutiert“gekommen, die am Montagaben­d wieder live auf Youtube gestreamt werden konnte. Auch wenn es auf allen Seiten Bedenken gibt, wie künftig Abstands- und Hygienereg­eln eingehalte­n werden sollen, wurde auch deutlich, dass sich Lehrer, Eltern und Schüler auf die schrittwei­se Rückkehr zum Unterricht freuen,

Aus der Sicht von Joachim Wolf, Leiter der Gemeinscha­ftsschule Sonnenluge­rschule und geschäftsf­ührender Schulleite­r der Mengener Schulen, ist eine Wiederaufn­ahme des „normalen“Unterricht­s vor allem für die Schüler wichtig, bei denen daheim die optimale Ausstattun­g für ein digitales Lernen fehlt und bei denen Eltern nicht permanent als Motivatore­n, Strukturge­ber und Aushilfsle­hrer präsent sind. „In dieser Situation öffnet sich die Schere im Bildungswe­sen noch weiter und die Ungerechti­gkeit wird mit jedem Tag größer“, sagte er und berichtete von Familien, in denen der im Homeoffice arbeitende Vater und die drei schulpflic­htigen Kinder den einzigen Computer im Haushalt alle zur selben Zeit benutzen wollen. Internetve­rbindungen seien schlecht, es gebe keinen Drucker und hinzu kämen angespannt­e Situatione­n unter den Familienmi­tgliedern. „Diese Schüler dürfen jetzt nicht auf der Strecke bleiben“, sagte Wolf.

Die Corona-Krise macht die Lehrer erfinderis­ch. Per Post oder Nachbarsch­aftskurier, über Firmen und das Kollegium würden Aufgabenpa­kete zu denjenigen gebracht, die digital eher abgehängt seien. „Bekommt ein Lehrer drei Tage lang keine Rückmeldun­g von einem Schüler, greift er zum Telefon“, sagte Anna Miehe, die als Lehrerin am Mengener Gymnasium arbeitet und als Netzwerkbe­raterin für Fragen der Digitalisi­erung zuständig ist. Sie hat als „Versuchska­ninchen“mit ihren Klassen Audiound Videochats getestet und so Kollegen Tipps geben können.

„Unsere Abiturient­en waren am Anfang sehr verunsiche­rt, weil sie nicht wussten, ob die Prüfungen überhaupt stattfinde­n würden“, erzählte sie. „Jetzt herrscht Klarheit und sie sind froh, dass es noch eine Zeit in der Schule gibt, in der Fragen gemeinsam geklärt werden können.“Sie persönlich würde die Schule, den Unterricht von Angesicht zu Angesicht und die Kontakte zu anderen Lehrern sehr vermissen. „Ich glaube wir alle lernen gerade, den Schulallta­g und die sozialen Kontakte richtig wertzuschä­tzen“, überlegte sie. „Vielleicht hält das ja auch künftig ein wenig an, auch wenn es mal Streit oder schlechte Noten gibt.“

Auch wenn in seiner Familie alles gut funktionie­rt habe, konnte Wolfgang Benkelmann, Elternbeir­atsvorsitz­ender der Realschule Mengen, von Eltern berichten, für die die Organisati­on von Betreuung der Kinder, Aufsicht der schulische­n Aufgaben und eigener Arbeit eine große Herausford­erung gewesen ist. „Das geht jetzt noch weiter, wenn beispielsw­eise der große Bruder schon wieder zur Schule gehen kann, das

Geschwiste­rkind aber daheim bleiben soll“, sagte er. Auch fasste Benkelmann die Bedenken vieler Eltern hinsichtli­ch der Einhaltung von Abstandsun­d Hygienereg­eln in Worte. „Wie soll das im Bus oder in der Bahn, auf dem Weg zur Schule und in den Pausen funktionie­ren?“, fragte er. Auch aus Zuschauerr­eihen wurde nach Schichtbet­rieb und möglicher Maskenpfli­cht gefragt.

Hier musste Bürgermeis­ter Stefan Bubeck, der die Runde wieder moderierte, noch um Geduld bitten. „Das sind genau die Punkte, mit denen wir uns in dieser Woche als Schulträge­r gemeinsam mit den Schulleitu­ngen beschäftig­en müssen“, sagte er. Es gelte, wirksame Konzepte zu entwickeln, damit der Schulbetri­eb ansteckung­sund angstfrei ablaufen könne. Er selbst könne sich eine Maskenpfli­cht auf dem Schulweg und während der Pausen gut vorstellen. Leonie Heilig, die in die zehnte Klasse

des Gymnasiums geht, berichtete aus ihrem Lernalltag ohne Schule. Ihrer Meinung nach ließen sich Internetre­cherchen oder das Schreiben von Aufsätzen daheim problemlos machen. Schwierige­r sei es bei Fremdsprac­hen oder Fächern wie Gesellscha­ftskunde, in denen viel diskutiert würde. Struktur und Selbstorga­nisation sei für das Lernen daheim wichtig. „Die Krise hat mich gelehrt, die schönen Seiten der sozialen Kontakte und des öffentlich­en Lebens mehr zu schätzen“, war ihr Fazit, das auch die anderen Diskussion­steilnehme­r teilten. „Wir haben uns in der Familie bewusster zusammenge­setzt und Gespräche geführt“, sagte Wolfgang Benkelmann. „Das geht im Alltag sonst schnell unter.“Einig waren sich die Anwesenden auch, dass sie wieder einen Blick für die Natur bekommen hätten und die Verantwort­ung des Menschen für sein Umfeld.

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In der Sonnenluge­rschule hat in vielen Klassen zwar schon jeder Schüler einen eigenen Tisch, die Abstände müssten aber bei Wiederaufn­ahme des Unterricht­s in der Schule wohl noch vergrößert werden.
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FOTO: STADT MENGEN Bürgermeis­ter Stefan Bubeck (Mitte) diskutiert im Youtube-Livestream unter anderem mit Schulleite­r Joachim Wolf (links) und Wolfgang Benkelmann, dem Elternbeir­atsvorsitz­enden der Realschule.

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