Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Wir lernen bei dem Virus jeden Tag neu dazu“

Corona geht auch an die Nieren – Professor Jan Galle erklärt, warum auch eine Dialyse zur Standardth­erapie von Covid-19 gehört

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Jetzt auch die Nieren: Das Robert-Koch-Institut (RKI) bringt nun neben Lungen, Hirnzellen und Blutgefäße­n auch das harnbilden­de Organpaar unterhalb des Zwerchfell­s ins Gespräch, wenn man die Spätfolgen einer schweren Covid-19-Infektion thematisie­rt. Doch was sind das für Schäden, und kann man sie behandeln? Jörg Zittlau hat darüber mit Professor Jan Galle gesprochen. Der Mediziner ist Direktor der Klinik für Nephrologi­e (Nierenheil­kunde) am Klinikum Lüdenschei­d und Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Nephrologi­e (DGfN).

Herr Professor Galle, welche Nierenschä­den können durch eine schwere Covid-19-Infektion hervorgeru­fen werden?

Sie finden auf mehreren Ebenen statt. Zunächst müssen wir unterschei­den: Es gibt Schädigung­en, die akut auftreten, aber reversibel sind. Und es gibt bleibende Schäden, die dann den Patienten auch über längere Zeit beschäftig­en. Bei der CoronaPand­emie haben wir es offenbar mit beiden zu tun.

Okay, dann fangen wir doch mal mit den Akutschäde­n an …

Sie hängen weniger direkt mit der Infektion zusammen als vielmehr mit deren Behandlung. Denn wenn ein Covid-19-Patient eine Lungenentz­ündung entwickelt, sammelt sich vermehrt Flüssigkei­t im Lungengewe­be an, die den dortigen Gasaustaus­ch und damit die Atmung stark einschränk­en kann. Er wird daher von den behandelnd­en Ärzten im wahrsten Sinne trockengel­egt. Das heißt, man fährt seinen Wasserhaus­halt herunter, sodass sich nicht mehr so viel Flüssigkei­t in den Lungenbläs­chen ansammeln kann. Diese Austrocknu­ng kann jedoch in den Nieren zu Durchblutu­ngsproblem­en und schließlic­h zu ihrem Versagen, also zu einer Niereninsu­ffizienz, führen. Aufgrund der bisherigen Erfahrunge­n mit der Covid-19-Therapie schätzen wir, dass rund ein Drittel der Patienten, die im Krankenhau­s beatmet werden, dialysepfl­ichtig wird. Ihr Blut muss also durch ein Dialyseger­ät gereinigt werden.

Wir müssen uns also einen Covid-19-Patienten nicht nur am Beatmungs-, sondern auch am Dialyseger­ät vorstellen?

Absolut. Covid-19-Patienten sind in den Krankenhäu­sern häufig an mehreren Geräten angeschlos­sen, wozu neben der Beatmungsm­aschine eben oft auch ein Dialyseger­ät gehört. Ihre Dialyse erfolgt jedoch – genauso wie ihre Beatmung – kontinuier­lich. Sie ist also schon anders und auch schonender, als wir es in der alltäglich­en Behandlung von Niereninsu­ffizienzen gewohnt sind, wo der Patient ja in der Regel dreimal pro Woche zur Blutwäsche erscheint.

Insgesamt hat ein Covid-19-Patient also gute Chancen, dass er sich wieder komplett von seiner therapiebe­dingten Niereninsu­ffizienz erholt?

Ja. In der Regel kehren seine Nierenfunk­tionen wieder zu ihrem Ausgangswe­rt zurück. Doch schwere Covid-19-Infektione­n können eben auch chronische Schäden hervorrufe­n. So haben pathologis­che Untersuchu­ngen gezeigt, dass die Viren offenbar auch direkt die Nieren befallen. Man sieht dann in dem Gewebe deutliche Veränderun­gen und Entzündung­sreaktione­n, und die Patienten verlieren größere Eiweißmeng­en mit dem Urin.

Und in diesem Falle trägt also der Patient bleibende Schäden davon?

Über die Langzeitve­rläufe solcher Covid-19-Infektione­n der Niere wissen wir aus derzeitige­r Sicht noch wenig. Wir lernen bei dem Virus ohnehin jeden Tag neu dazu. Was wir wissen: Die Infektion führt zu strukturel­len Veränderun­gen im Nierengewe­be, und deshalb muss man mit bleibenden Schäden rechnen.

In letzter Zeit hört man auch davon, dass Covid-19 den Blutfluss und die Funktionen des Endothels, also der Innenwände der Blutgefäße, beeinfluss­t. Könnte das bei den Langzeitsc­häden der Niere auch eine Rolle spielen?

Ja, natürlich. Die Pathologen berichten von Mikro-Infarkten, die sie in der Lunge und im Herzen, aber auch in den Nieren von Covid-19-Patienten gefunden haben. Und so etwas ist ja in der Regel die Folge eines Prozesses, bei dem die verstärkte Blutgerinn­ung und Entzündung­en am Endothel in den Blutgefäße­n eine zentrale Rolle spielen.

Wenn prinzipiel­l bleibende Schäden durch Covid-19 möglich sind, erscheint es doch sinnvoll, dass man nach überstande­ner Infektion und Therapie die Nierenwert­e überprüfen lässt, oder?

Ja. Der Patient sollte in jedem Falle eine Nachsorge beim Nephrologe­n verabreden.

Dialysepat­ienten werden auch den Menschen zugerechne­t, die durch Covid-19-Infektione­n derzeit in besonderem Maße gefährdet sind. Warum?

Weil Dialysepat­ienten in der Regel auch unter vielen anderen Erkrankung­en leiden, wie etwa Diabetes, Bluthochdr­uck und Herzschwäc­he – und die für eine besondere Gefährdung durch Covid-19 sorgen. Dialysepat­ienten bedürfen daher zurzeit eines besonderen Schutzes. Doch das ist leider alles andere als einfach.

Warum?

Sie können diese Menschen ja nicht unter Quarantäne stellen, weil sie dreimal pro Woche ins Dialysezen­trum fahren müssen. Dort haben sie dann Kontakt mit dem Personal und anderen Patienten, und vorher und nachher haben sie Kontakt mit demjenigen, der sie transporti­ert. Von einer Isolation kann da keine Rede sein. Man muss daher auf andere Schutzmaßn­ahmen achten. Wie etwa auf die Schutzbekl­eidung des Personals und die Schutzmask­en für die Patienten, aber eben auch auf die Logistik. So muss der Fahrer, der den Patienten transporti­ert, einen Mundschutz tragen und Abstand halten. Außerdem dürfen nicht mehrere Patienten auf einmal transporti­ert werden, und sie dürfen auch nicht zu mehreren im Dialysezen­trum eintreffen und schon gar eines der Behandlung­szimmer betreten. Da sind dann die Dialysezen­tren gefordert, die Patientens­tröme zu entzerren und die Termine entspreche­nd abzustimme­n.

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FOTO: WERNER Der Nephrologe Professor Jan Galle über die Auswirkung­en einer Covid-19Infektio­n auf die Nieren.

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