Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Franzosen quartierten Hitlers Schwägerin in Saulgau ein
Ilse Fucke-Michels, geborene Braun, wohnte nach dem Zweiten Weltkrieg in der Hauptstraße – Für die Nachbarskinder spielte sie den Nikolaus
- Der Zweite Weltkrieg ist vor 75 Jahren mit der Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 zu Ende gegangen. In der Folge teilten die vier Siegermächte, zu denen auch Frankreich zählte, das Land in vier Besatzungszonen auf. Saulgau lag im französisch besetzten Gebiet und unterstand der französischen Militärregierung. Aus nicht bekannten Gründen überstellten die Franzosen im Juli 1945 Hitlers Schwägerin Ilse Fucke-Michels, geborene Braun, nach Saulgau und wiesen ihr in der Hauptstraße 70 eine Wohnung zu.
Als Adolf Hitler erkannte, dass der Zweite Weltkrieg verloren war und Deutschlands Kapitulation unmittelbar bevorstand, setzte er seinem Leben am 30. April 1945 im Berliner Führerbunker ein Ende. Mit ihm ging seine Frau Eva, geborene Braun, in den Tod, die er am 29. April 1945, einen Tag vor dem gemeinsamen Selbstmord, geheiratet hatte. Während ihrer Zeit als langjährige Gefährtin Hitlers war Eva Braun kaum öffentlich in Erscheinung getreten. Erst nach ihrem Tod geriet sie ins Zentrum des medialen Interesses, ebenso wie ihre Eltern und die beiden Schwestern Ilse und Gretl. Ilse, die älteste Braun-Tochter, wurde 1908 in München geboren, wo sie auch ihre Schulzeit verbrachte. Sie galt als politische wenig interessiert und gehörte nicht, wie ihre Schwestern, zum inneren Kreis um Hitler.
Dies mag mit ihrer ersten Stelle als Sprechstundenhilfe in der HNO-Praxis des jüdischen Arztes Martin Levy Marx zusammenhängen.
Als sich die Verfolgung der Juden abzeichnete, hatte Marx ihr zu einem Wechsel des Arbeitsplatzes geraten, um sie nicht zu gefährden. Nach einem kurzzeitigen Gastspiel als Sekretärin von Hitlers Berliner Generalbauinspektor Albert Speer begann sie ein Volontariat bei der Deutschen Allgemeinen Zeitung, wo sie bald zur Schriftleiterin aufstieg. Mit ihrem zweiten Mann, Walther Fucke-Michels, zog sie 1941 nach Breslau und arbeitete dort für die Schlesische Zeitung. Weshalb Ilse am 11. Juli 1945 in Saulgau einquartiert wurde, geht weder aus dem Anmeldeformular bei der polizeilichen Meldebehörde hervor, noch haben Zeitzeugen wie ihr Hausnachbar, Xaver Raichle, darüber berichtet. In Saulgau wurde sie in der Hauptstraße 70 untergebracht, wo sie im zweiten Stockwerk ein bis zwei Zimmer bewohnte. Küche, Bad und WC musste sie zusammen mit weiteren Hausbewohnern, den Familien Seitz und Regg-Reichle, benutzen. Nachdem sie ihren Mitbewohnern anfangs vorsichtig-distanziert begegnet war, wurde sie bald zugänglicher und gab sich als Schwester von Eva Braun zu erkennen.
Zur Familie Raichle im Nachbarhaus, die eine Schneiderei betrieb, hatte sie einen besonders guten Draht. Dies erklärt, weshalb Xaver, der Sohn des Hauses, seine Erinnerungen an den Aufenthalt von Ilse Fucke-Michels zu Papier brachte und damit der Nachwelt erhielt. Offenbar hatte Ilse ein Faible für Handarbeiten, denn sie erbat sich Stoffreste aus der Schneiderwerkstatt und nähte daraus kleine Puppen. Damit schmückte sie Raichles Schaufenster, die ansonsten leer geblieben wären. Schließlich war der Krieg gerade mal wenige Wochen zu Ende und die Sorge um das tägliche Brot ebenso wie die Unterbringung der vielen Flüchtlinge beschäftigten die Menschen.
Ilse Fucke-Michels hatte entdeckt, dass Familie Raichle den Luxus von zwei Fahrrädern besaß. Sie schlug vor, man könne doch gemeinsam einen Radelausflug nach Ebenweiler unternehmen. Vor ihrer Ankunft in Saulgau habe es dort einen kurzen Aufenthalt bei einer Bauersfamilie gegeben, die sie – aus Dankbarkeit – gerne noch einmal besuchen würde. Gesagt, getan. Kurz entschlossen strampelten die beiden Damen gen Ebenweiler, wo sich Ilse überraschenderweise intensiv mit den Vorhängen ihres Schlafgemachs befasste. Dort hatte sie nämlich – noch unbemerkt von den Bauersleuten – ihren wertvollen Schmuck eingenäht, den sie vor den Franzosen verstecken und holen wollte.
Die Nähe zu den Bewohnern der benachbarten Häuser zeigte sich auch in der Vorweihnachtszeit. Nachdem sie einen Text über die Nachbarskinder gereimt hatte, verkleidete sie sich als Nikolaus und verteilte Lob und Tadel. Etwa an Bubi, den kleinen Xaver Raichle, der seinen Hasenstall nicht in Ordnung hielt und die jüngeren Kinder im Hof so gerne triezte. Ein Abmeldeformular des Einwohnermeldeamts terminierte den Wegzug von Ilse FuckeMichels aus Saulgau auf den 1. September 1946. Laut einer Rechnung, die auf dem Schreibtisch des damaligen Bürgermeisters Rösch landete, waren für ihren Aufenthalt Kosten von 433,33 RM ( Reichsmark) entstanden. Diese wollte Rösch sich beim Gouvernement Militaire als Besatzungskosten erstatten lassen.