Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Freispruch trotz Unfall und Angriff auf Polizisten
Goldener Audi A3 kracht in Volksbank – 20-Jähriger entfernt sich von Unfallstelle
- Vor dem Amtsgericht Sigmaringen ist am Donnerstag das Urteil im Prozess um einen schweren Unfall gefallen, der sich am Abend des 16. Februar 2019 in Sigmaringendorf ereignet hatte.
Ein goldfarbener Audi A3 war damals laut technischem Gutachten mit mindestens 77 Kilometern pro Stunde in das Gebäude der Volksbank in der Hauptstraße gekracht. Durch den Aufprall wurden neben dem Fahrer drei junge Mitfahrer schwer verletzt, einer davon lebensgefährlich.
Der 19-jährige Freund des Fahrers erlitt bei Aufprall einen Darmriss, einen Nackenbruch sowie ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Er leidet noch immer unter den Folgen: Als Nebenkläger berichtete er im Zeugenstand von Konzentrationsschwächen, erhöhter Reizbarkeit und einem wiederkehrenden Kontrollverlust über seine Gliedmaßen in Folge einer halbseitigen Lähmung. Außerdem ist dem jungen Mann eine, circa 30 Zentimeter lange Narbe am Oberkörper geblieben, die noch immer schmerzt. Eine weitere Operation stünde deswegen an, sagte er.
Erstaunlicherweise erinnerte sich keiner der vier Unfallbeteiligten mehr an den eigentlichen Unfallhergang. Zu den beiden 19-jährigen Freunden, die auf der Rückbank saßen, hat der damalige Fahrer inzwischen keinen Kontakt mehr. Die 17jährige Verlobte des Angeklagten, die damals auf dem Beifahrersitz saß, behauptete, ihr künftiger Ehemann habe seither mit ihr nicht mehr über den Vorfall und die Verletzungen der anderen gesprochen. „Aber ich glaube, innerlich tut es ihm sehr, sehr Leid“, gab sie zu Protokoll.
Doch der Angeklagte musste sich nicht nur wegen des von ihm verursachten Unfalls verantworten. Noch an der Unfallstelle hatte er einen 39jährigen Polizisten körperlich angegriffen. Zeugen des Vorfalls berichteten übereinstimmend, dass der junge Mann dem Beamten mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzte, sodass dieser zu Boden ging. Der Angeklagte habe danach weiter mit voller Wucht auf den Polizisten eingetreten und konnte davon nur durch Dritte abgehalten werden. Erst unter Einsatz von Pfefferspray gelang es den insgesamt vier anwesenden Polizisten,
den Angeklagten zu Boden ringen und zu fesseln.
Das Verfahren mit 16 Zeugen, drei Nebenklägern und zwei Gutachtern zog sich beträchtlich in die Länge, da das Gericht beim ersten Termin der Hauptverhandlung im Herbst 2019 einen medizinisch-psychologischen Gutachter hinzugezogen hatte. Für Überraschung unter den Verfahrensbeteiligten sorgte schließlich das Ergebnis dieses Gutachters. Demzufolge befand sich der Angeklagte wegen einer bei dem Unfall erlittenen Gehirnerschütterung in einem Zustand der Bewusstseinstrübung. Dadurch sei er im Moment des Angriffs auf den Polizisten schuldunfähig gewesen, so der Gutachter.
Die Einschätzung stützte sich auf die Zeugenaussagen von Anwohnern und Rettungskräften sowie der Polizisten selbst, denen das seltsame Verhalten des Angeklagten an der Unfallstelle aufgefallen war. Rettungskräfte und Polizisten hatten einen durch Drogen- und Alkoholkonsum ausgelösten Rauschzustand vermutet, doch entsprechende Tests verliefen negativ. Verschiedene Zeugen beschrieben seinen Zustand als augenscheinlichen „Schock“oder „Wahn“, in dem er eine Behandlung durch die Sanitätter abgewehrt und vor ihnen davon gelaufen sei. Auf Ansprache habe er nicht reagiert, bis sich ihm der 39-jährige Polizeibeamte auf dem Parkplatz vor dem Gasthaus Donauhirsch in den Weg stellte. „Verpiss dich, Alter! Ich gehe jetzt nach Hause“, soll der junge Mann dem Polizisten zugerufen haben. Kurz darauf ging er auf ihn los.
Aufgrund der festgestellten Schuldunfähigkeit wurde dieser Anklagepunkt fallen gelassen. Der 22jährige Angeklagte bot jedoch freiwillig an, zur Wiedergutmachung, mit den von ihm angegriffenen Polizisten einen Vergleich zu schließen. „Es tut mir so entsetzlich Leid, was ich getan habe“, sagte er. Große Scham stand dem jungen Mann ins Gesicht geschrieben. Dem 39-jährigen Polizeibeamten bezahlt er nun 500 Euro.
Wegen fahrlässiger Körperverletzung in drei Fällen wurde der 22-jährige Angeklagte zu 50 Tagessätzen zu je 20 Euro verurteilt. Außerdem wird der seit zehn Monaten geltende Führerscheinentzug um drei weitere Monate verlängert.
„Ich glaube, innerlich tut es ihm sehr, sehr leid“,
sagt die 17-jährige Verlobte des Angeklagten.