Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Witwer in Corona-Zeiten: Im freien Fall durch alle Netze
Alleinerziehender Vater von zwei kleinen Kindern stößt an seine Grenzen – Konflikt um die Haushaltshilfe
- Stefan Gallus hat es zur Zeit nicht leicht. Seit dem Tod seiner Frau Heike im Januar 2019 kümmert sich der 48-jährige Witwer allein um zwei kleine Kinder: die knapp dreijährige Tochter Greta und den neunjährigen Sohn Linus. Linus besucht normalerweise die Grundschule in Renhardsweiler – doch aufgrund der Corona-Verordnung muss er zur Zeit zuhause lernen.
„Wenn ich mit Linus Schulaufgaben mache, ist meine Greta deswegen aber nicht plötzlich still und braucht keine Zuwendung mehr“, erklärt Stefan Gallus. „Diese Situation hat mich als Vater in den ersten sieben Wochen des Shutdowns schon an meine Grenzen gebracht“, sagt er.
Doch nicht allein die Trauer um seine verstorbene Ehefrau belastet den Witwer – aufgrund einer chronischen Entzündung am Ellenbogen ist er zur Zeit sowohl arbeitsunfähig als auch bei der Führung des Familienhaushalts stark eingeschränkt.
Gekommen sei das so: Im ersten Urlaub alleine mit den Kindern im Spätsommer 2019 zieht er sich einen Sehnenriss am rechten Ellenbogen zu. Was dann folgt, lässt sich als zunehmend verzweifelte Odyssee zwischen Ärzten, Krankenkassen und Agentur für Arbeit beschreiben.
Konservative Behandlungsmethoden und Physiotherapie lösen das Problem nicht, auch eine Operation im November bleibt ohne den gewünschten Erfolg, stattdessen verschlimmern sich die Schmerzen. „Nach dem, was mit meiner Frau und anschließend mit mir passiert ist, hat mein Vertrauen in unser Gesundheitssystem
schon schwer gelitten“, gesteht er. Er fühlt sich alleingelassen, missverstanden, im freien Fall durch alle Netze.
Besonders sauer stößt Gallus dabei der Konflikt um die Haushaltshilfe auf: „Da bekommt man dann zu hören: Das brauchen Sie doch nicht. Wenigstens eine Oma wird ja wohl noch da sein, die sich um die Kinder kümmern kann“, berichtet der Witwer. Doch seine Eltern lebten schon länger nicht mehr und seine Schwiegermutter sei wenige Wochen vor seiner Frau gestorben, der Schwiegervater selbst pflegebedürftig.
„Viele begreifen das nicht: Aber da ist absolut niemand mehr, der mir helfen kann“, sagt er. Heftig kritisiert er die aus seiner Sicht realitätsferne Beurteilung der Situation durch die Behörden. „Das MDK-Gutachten lässt die Kindererziehung völlig außer Acht“, sagt der Witwer, „dabei ist das nicht nur eine wichtige Aufgabe, sondern richtig Arbeit“. Um sich besser auf die Situation einstellen zu können, habe er Kontakt zu anderen Alleinerziehenden und auch Witwen aufgenommen, erzählt er.
Doch bisher sei er auf niemanden getroffen, der in einer vergleichbaren Situation stecke wie er. „Entweder ist da dann doch noch der ExPartner irgendwie im Hintergrund, mit dem man sich notfalls absprechen kann oder die Kinder sind schon größer“, sagt er. Die Rettung für Gallus’ Betreuungsproblem kommt auf privatem Weg: Jemand von der Grundschule habe ihm den Tipp gegeben, es mit der Anmeldung seiner Kinder zur Notfallbetreuung zu probieren. Der Versuch glückt, jetzt hat der alleinerziehende Familienvater zumindest wieder an den
Vormittagen Zeit, sich in Ruhe um den Haushalt zu kümmern, so gut er kann. „Zuerst war mir dabei nicht wohl“, gesteht Gallus, der die Verantwortung für seine Kinder seit dem Tod seiner Frau stärker denn je spürt. Inzwischen hat er jedoch gelernt, die Momente der Ruhe zu genießen, die ihm die Notfallbetreuung beschert. „Erst jetzt merke ich, wie gut mir das tut“, sagt er. Offen ist noch, wie es mit seinem Arm weitergeht. „Ich stelle mich innerlich schon auf eine zweite Operation ein“, sagt Gallus. Mittlerweile ist Gallus bei einem Spezialisten im Allgäu in Behandlung, in den er all seine Hoffnungen setzt. Er ist überzeugt: „Die Situation könnte längst viel besser sein, wenn ich von Anfang an richtig behandelt worden wäre und nicht eine Stelle nach der anderen die Verantwortung weitergeschoben hätte.“