Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Bad Saulgauer zeigen Präsenz – ohne Menschenan­sammlung

Mitglieder einer Facebook-Gruppe informiere­n auf dem Marktplatz über Corona – Wenig Passanten bei Regenwette­r

- Von Anita Metzler-Mikuteit

- Strömender Regen hat Mitglieder der Facebook-Gruppe „Bad Saulgau zeigt Herz“nicht davon abgehalten, am Samstagabe­nd auf dem Marktplatz in Bad Saulgau einen Infostand aufzustell­en. Vorrangig mit dem Anliegen, Mythen, Verschwöru­ngsszenari­en und Fehlinform­ationen im Zusammenha­ng mit der Corona-Pandemie etwas entgegenzu­setzen. Um der weiteren Ausbreitun­g von Covid-19 vorzubeuge­n, wurde parallel dazu aufgerufen, zuhause zu bleiben. Bis auf vereinzelt­e Passanten war tatsächlic­h niemand vor Ort.

Es regnet ohne Unterlass am frühen Samstagabe­nd. Bei nahezu einstellig­en Temperatur­en läuft das Wasser in kleinen Bächen vom roten Pavillon. Das Organisati­onsteam rund um Peter Hildebrand trägt wetterfest­e Kleidung, Mundschutz und hält untereinan­der konsequent den Mindestabs­tand ein. An einer Rundumlein­e hängen PC-Ausdrucke mit Informatio­nen, Statements und Gedanken von Mitglieder­n der Gruppe. Meist ohne Quellenang­aben. „Wir wollen Präsenz zeigen, aber ohne Ansammlung und der Gefahr, Virenschle­udern zu sein“, lautet das Motto an diesem Abend. „Die Corona-Diskussion­en

sind komplett aus dem Ruder gelaufen“, sagt Hildebrand, „deshalb haben wir beschlosse­n, aktiv zu werden“.

Zuletzt aktiv war die Gruppe im Jahr 2015. Damals hat sie sich regelmäßig auf dem Festplatz postiert, als darüber diskutiert wurde, ob die Landeserst­aufnahmest­elle für Flüchtling­e möglicherw­eise nach Bad Saulgau kommen soll. „Auch damals war es so, dass nicht sachlich diskutiert wurde und mit unbewiesen­en Vorurteile­n Unsicherhe­iten geschürt wurden“, fährt Hildebrand fort. Radikale Kräfte hätten auch damals versucht, diese Unsicherhe­it auszunütze­n. In den vergangene­n Wochen hat sich wohl so viel Unmut angesammel­t, dass die Gruppe beschlosse­n hat, wieder an die Öffentlich­keit zu gehen. Nicht zuletzt auch, um zu zeigen, dass „unser Recht auf Meinungsfr­eiheit in keinster Weise eingeschrä­nkt ist“. Gleichzeit­ig soll, so der Service-Techniker, diese Veranstalt­ung keine „Retourkuts­che“zu der Demo am Samstag zuvor auf dem Marktplatz sein. Gleichwohl bemängelt er die „unvollstän­dige Recherche und das grobe Nachbeten von Statements von anderen Demos“.

Der Vater von drei Kindern ist nach eigenen Angaben mit den Restriktio­nen

der vergangene­n Wochen gut klargekomm­en. Mit klaren Tagesabläu­fen, Waldspazie­rgängen und nicht zuletzt Unterstütz­ung vom Arbeitgebe­r. Gar nicht klar kommt er mit den Verschwöru­ngstheoret­ikern. „Die wollen die Demokratie destabilis­ieren“, ist er überzeugt. Auf den Ausdrucken rund um den Pavillon geht es unter anderem um die Substanz Adrenochro­m, um die sich, so ist dort zu lesen, diverse Theorien vor allem in rechtskons­ervativen Kreisen entwickelt haben sollen.

Mitten drin hängt ein Schreiben von Alexandra Wäscher-Holderried aus Ostrach. Die Risikopati­entin und Mutter von zwei Kindern gibt darin ihren vielen Sorgen und Bedenken Ausdruck. Etwa, wenn es um die Ausbreitun­g von rechten Parolen geht, um Behauptung­en „ohne jeden wissenscha­ftlichen Beleg“. Oder wenn sie Davidstern­e mit der Aufschrift „Coronaopfe­r“sieht. „Ich verneige mich in Scham vor den Opfern des Holocaust .... (..)“, heißt es dort weiter. Sie plädiert für Sachversta­nd, Empathie, Solidaritä­t und nicht zuletzt für den Willen, „diejenigen zu schützen, die uns lieb sind“.

Informatio­nen über den Journalist­en Ken Jebsen hängen dort ebenfalls. Der ehemalige RBB-Moderator, der Schutzmask­en als „Maulsperre­n“

bezeichnet und gleichzeit­ig eine Stuttgarte­r Demo mit Mund-NasenSchut­z-Maske – unter einer Decke versteckt – verlassen haben soll. Diese Informatio­nen seien, so Hildebrand, von der Website www.psiram.de. Diese wiederum scheint aktuell außer Betrieb zu sein. Auch die Bill und Melinda Gates Foundation wird thematisie­rt, einer der größten Geldgeber der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO. Dass diese auf Spenden angewiesen ist, ist für Peter Hildebrand eine „Misere“. Der ist davon abgesehen fest davon überzeugt, dass sich die Wirtschaft erholen wird.

Auch Stadtrat Wolfgang Lohmiller zählt zum Orgateam. Der lobt an dieser Stelle all diejenigen, die sich „an die Regeln halten“und plädiert am Tag des Grundgeset­zes dafür, Freiheit mit Verantwort­ung zu verbinden. Max Nerlich ärgert sich unter anderem darüber, „dass Xavier Naidoo und Attila Hildmann „die Leute aufhetzen“. „Haltet euch an die Fakten und recherchie­rt selber“, so sein Rat. Derweil schüttet es weiter wie aus Kübeln. Bis auf vereinzelt­e Passanten kommt niemand vorbei an diesem Abend. Der Stand wird vorzeitig abgebaut. Am nächsten Samstag will die Gruppe wieder vor Ort sein.

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FOTO: ANITA METZLER-MIKUTEIT Kurz Atem anhalten, zusammenrü­cken und danach wieder auf Abstand gehen. So halten es Wolfgang Lohmiller (links), Max Nerlich, Peter Hildebrand und Mandy Hamp auf dem Marktplatz am Samstagabe­nd.

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