Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Ehrenamt im Visier
Sollen Hilfspolizisten Uniform und Waffe tragen? Der Konflikt um den Freiwilligen Polizeidienst in Baden-Württemberg entzweit die Koalition – Ein Betroffener berichtet von seinem Streifendienst
Der Unterschied zwischen Angst und einem mulmigen Gefühl ist Armin Renner wichtig, wenn er von jener Situation berichtet, die er eines Nachts im Streifendienst erlebt hat. Über Funk kommt damals die Meldung: Einbruch in einem Tübinger Einkaufszentrum. Und: „Täter am Werk.“Sprich, die Kriminellen sind noch zugange. Bei den Polizisten wächst die Anspannung, die Augen weiten sich, der Adrenalinspiegel steigt. Vor Ort zieht Renner seine Waffe aus dem Holster, eine Walther P5 mit acht Patronen im Magazin, so sichert er sich und seinen Kollegen ab beim vorsichtigen Gang durch das dunkle Gebäude. Nach einer Weile treffen sie auf die Gauner, rufen, ihre Waffen im Anschlag, sofort: „Halt! Polizei!“Die Adressaten, verblüfft und auf frischer Tat ertappt, ergeben sich widerstandslos. Der nächtliche Spuk ist schnell vorbei. „Ein mulmiges Gefühl hatte ich damals schon“, sagt Renner.
Ein Unbehagen beschleicht auch andere bei Situationen wie jener in dem Tübinger Einkaufszentrum. Denn ein hauptamtlicher Polizist ist Armin Renner nicht, der Karosserieund Lackierermeister schlüpft lediglich an Wochenenden in die Uniform, im Ehrenamt, wie viele andere auch. So war es lange gewollt in Baden-Württemberg, das 1963 den freiwilligen Polizeidienst einführte, damit Bürger andere Bürger schützen, sich engagieren für das Gemeinwesen. Das sollte sich erst ändern mit der Regierungsübernahme durch die Grünen, die bis heute auf dem Standpunkt stehen: Keine Uniform und keine Waffen für Ehrenamtliche. Der Polizeiberuf sei zu anspruchsvoll und zu gefährlich geworden. Deshalb sank die Zahl der Freiwilligen von einst 2500 auf noch rund 600, die mittlerweile auch nur im Verkehr eingesetzt werden. Die CDU, inzwischen anstelle der SPD in der Landesregierung, fordert jedoch vehement eine Wiederbelebung des Freiwilligen Polizeidienstes. In Uniform und mit Waffe, wie Manuel Hagel, CDU-Innenexperte und Landtagsabgeordneter für den Alb-Donau-Kreis, auf Anfrage betont: „Wir wollen den Freiwilligen Polizeidienst stärken. Wir werden daher beim Thema Neuregelung nicht lockerlassen“, so Hagel, das sei so im Koalitionsvertrag vereinbart. „Dazu gehört im Polizeidienst auch die Bewaffnung. Unsere freiwilligen Polizisten müssen handlungsfähig sein.“
Diese Worte hätten auch von Armin Renner sein können, der sein Ehrenamt schon eine ganze Weile ruhen lässt. „Den Verkehr regeln, das ist nichts für mich“, sagt der 54-Jährige, der vor rund 20 Jahren zum Freiwilligen Polizeidienst kam. Nach einem Vorgespräch durfte er damals einen zweiwöchigen Lehrgang besuchen. Verteidigungstechniken, Aufgabenspektrum, Rechtskunde, „und Schießtraining war ganz wichtig“. Quasi Polizeiausbildung im Schnelldurchgang.
Danach verbrachte Renner einen Großteil seiner Wochenenden auf Streife, in Früh-, Spät- und Nachtschicht, Seite an Seite mit den Hauptamtlichen, von jenen lediglich durch Streifen statt Sternen auf den Schulterblättern zu unterscheiden. Konfrontiert wurde er im Einsatz vielfach mit Drogendelikten, lernte mutmaßliche Kleindealer zu beobachten, wie sie sich verhalten und bewegen, ob sie nervös oder geschäftig wirken. „Mit den Jahren lernte ich zu erkennen, ob jemand Drogen dabei hat oder nicht.“
Regelmäßig absolvierte er Einsatztrainings, wie man in einer Wohnung vorgeht, sich absichert und taktisch verhält, wer mit wem in Funkkontakt tritt. „Mir wurde alles beigebracht, das war Polizeiarbeit vom Feinsten.“In der Praxis half Renner bei der Bearbeitung von Einbrüchen oder Diebstählen, erlebte bisweilen brenzlige Situationen, etwa nachts in Tübingen, wenn die Streife auf eine Gruppe Betrunkener stieß. „Da kann man nie wissen, was geschieht.“Auch Unschönes gehörte zu seiner Polizeiarbeit, etwa wenn die Streife auf eine Leiche stieß, die schon mehrere Tage in einer Wohnung lag, oder man zu einem schweren Unfall gerufen wurde. Für die Kollegen sei es dabei nie ein Thema gewesen, ob er ein Freiwilliger oder ein Hauptamtlicher gewesen sei. Froh über die personelle Entlastung waren sie, die Zusammenarbeit, so Renner, sei auf Augenhöhe erfolgt, aber immer in dem Bewusstsein: „Wir als Freiwillige unterstützen die Polizisten, wir ersetzen sie aber nicht.“
Für Hans-Jürgen Kirstein, Landesvorsitzender Gewerkschaft der Polizei (GdP), ist diese Grenzsetzung viel zu vage. „Dem Bürger wird vorgegaukelt, er hat einen qualifizierten Polizisten in Uniform vor sich – das geht gar nicht.“Ganz sicher, so Kirstein zur „Schwäbischen Zeitung“, gebe es HobbyPolizisten, wie er sie nennt, die es gut machen. „Doch man kann die Leute nicht nach einer Schnellausbildung mit der Waffe auf die Menschheit loslassen.“
Sind die Freiwilligen tatsächlich eine Gefahr für die Menschheit, womöglich für die Kollegen und am Ende auch für sich selbst? Die Statistik gibt, was bei diesem konfliktreichen Thema überrascht, nichts her. Beim Schusswaffengebrauch würden Polizeifreiwillige nicht gesondert erfasst, heißt es lapidar vom Innenministerium. GdP-Chef Kirstein kann sich an einen Vorfall in Lörrach erinnern, als vor Jahren ein Polizeibeamter angeschossen wurde, ein Freiwilliger sei zwar ungeschoren davongekommen, aber eben mit auf Streife gewesen. „Nicht auszudenken, wenn dem Ehrenamtlichen etwas passiert wäre“, so Kirstein.
Eine solche Situation will sich auch Uwe Stürmer, Polizeipräsident von Ravensburg, nicht vorstellen, der die Ehrenamtlichen im Grundsatz lobt: „Wir haben in Ravensburg zurückliegend mit dem Freiwilligen Polizeidienst insbesondere bei Messen, Prozessionen, sonstigen friedlichen Veranstaltungen sowie in der Verkehrsüberwachung und Präventionsarbeit jedenfalls gute Erfahrungen gemacht“, sagt der Polizeipräsident. Nicht zuletzt könnten Helfer mit Migrationshintergrund wertvolle Übersetzer und Vermittler sein – und Zugänge zu anderen Kulturkreisen erleichtern. „Klar ist aber auch, dass Polizeifreiwillige keinesfalls voll ausgebildete Polizistinnen und Polizisten ersetzen können“, betont Stürmer. „Vor allem nicht bei gefahrengeneigten Tätigkeiten.“
So gehen die Einschätzungen beim Freiwilligen Polizeidienst weit auseinander. Auch wenn die Grünen, wie es aus der Fraktion heißt, kaum noch eine Chance auf eine Einigung mit der CDU sehen bis zu den nächsten Landtagswahlen im März 2021, wird die Politik früher oder später definieren müssen, was die Ehrenamtlichen leisten sollen und was nicht. Wann eine „gefahrengeneigte Tätigkeit“anfängt, wann sie aufhört. Dazu gehört natürlich die Frage, ob die Waffe zwingend sein muss. Was übrigens auch für die städtischen Ordnungsdienste in Baden-Württemberg gilt, die bisher in Eigenregie über Handlungsspielraum und Ausrüstung entscheiden. In manchen Gemeinden schreiben die Mitarbeiter vorwiegend Strafzettel, in anderen – wie etwa in Ulm – tragen sie Schlagstock und Pfefferspray, in Stuttgart sind die Angestellten der sogenannten Ortspolizeibehörde sogar mit Schusswaffen
„Wir wollen den Freiwilligen Polizeidienst stärken. Wir werden daher beim Thema Neuregelung nicht lockerlassen.“
ausgerüstet. CDU-Innenexperte Manuel Hagel kündigt an, die Kommunalen Ordnungsdienste in den Blick zu nehmen. „Auch hier streben wir ein einheitliches Ausbildungslevel an. Was nicht sein kann, ist eine Entwaffnung des Freiwilligen Polizeidienstes und gleichzeitig, wie in Stuttgart, ein bewaffneter Kommunaler Ordnungsdienst. Dies passt nicht zusammen.“
Armin Renner kann Dissens und Aufregung nicht verstehen, auch wenn er einräumt, dass es während der freiwilligen Polizeiarbeit zu gefährlichen Situationen kommen kann. „Doch warum soll ich schlechter mit einer Waffe umgehen als ein hauptamtlicher Polizist?“Er habe nicht nur gelernt, eine Waffe zu handhaben, sondern auch einen zentralen Grundsatz zu beherzigen: „Die Eigensicherheit geht immer vor. Ich will ja gesund nach Hause kommen.“Die Anleitung durch die Profis wäre dabei wichtig, entscheidend sei aber etwas anderes: „Empathie und Lebenserfahrungen. Und die sind völlig unabhängig davon, ob ich eine Polizeiausbildung absolviert habe oder nicht.“
Davon abgesehen wäre dem 54-Jährigen schon gedient, wenn die öffentliche Wahrnehmung seiner Arbeit eine andere wäre. „Da heißt es schnell, wir sind ,Rambos’ und Hilfssheriffs, die mit Waffen rumfuchteln.“In der Tat berichten auch andere Freiwillige von einer abschätzigen Haltung ihnen gegenüber, von Bemerkungen wie „Möchtegernbulle“, „Wichtigtuer“, „Biste so arm, dass du das Geld so nötig hast?“„Das verletzt mich“, sagt Renner, der für zuletzt sieben Euro pro Stunde, also nicht mal den Mindestlohn, auf Streife ging. „Dafür habe ich meinen Kopf hingehalten, in meiner Freizeit, bei Tag und Nacht, in der Kälte und bei Regen.“Beschwert hat er sich darüber nie, im Gegenteil. „Schließlich habe ich diese Nebentätigkeit gewählt, weil sie aus meiner Sicht Sinn macht“, für ihn persönlich und nicht zuletzt für das Gemeinwesen. Renner fordert somit lediglich das ein, womit gewöhnlich jedes Ehrenamt entlohnt wird: Wertschätzung.
Manuel Hagel, CDU