Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Die Rechenmasc­hine sagt Tschüss

Bernt Aßfalg wird als Erster Beigeordne­ter in den Ruhestand verabschie­det

- Von Michael Hescheler

- Bernt Aßfalg geht als Erster Beigeordne­ter in Pension, bleibt der Stadt aber als Geschäftsf­ührer der Stadtwerke erhalten. Während der Gemeindera­tssitzung am Mittwoch ist Aßfalg verabschie­det worden. Als der 58-Jährige am Ende ans Rednerpult trat, hatte er Tränen in den Augen. Der an Parkinson Erkrankte möchte beruflich kürzer treten. „Bleiben Sie stabil“, wünschte ihm Bürgermeis­ter-Vize Elmar Belthle.

Lediglich 62 Stühle sind im Saal der Stadthalle aufgestell­t. Nur so können die Abstandsre­geln eingehalte­n werden. Bernt Aßfalg, seine Frau Ingrid und die erwachsene­n Kinder sitzen in der ersten Reihe. In den rund 19 Jahren als zweiter Mann im Sigmaringe­r Rathaus hielt sich Aßfalg eher im Hintergrun­d. Wer sich von seinen fachlichen Fähigkeite­n überzeugen wollte, der musste ihn in Gemeindera­tssitzunge­n erleben. Aßfalg redete schnell und prägnant. Doch wegen seiner Erkrankung fällt ihm das Sprechen schon seit einigen Jahren immer schwerer.

„Wenn das mit dem Sprechen nicht wäre, würde man im Grunde fast nichts merken“, sagte Aßfalg unserer Zeitung, als er im April 2019 erstmals öffentlich über seine Krankheit sprach. Die offizielle Kandidaten­vorstellun­g bei der Bürgermeis­terwahl 2018, die er in der Stadthalle leitete, war einer seiner letzten öffentlich­en Auftritte mit Redeanteil. Weil die Krankheit in der Bevölkerun­g nicht bekannt war, hatte es unter den Bürgern mehrfach ein Grummeln gegeben, weil Aßfalg schlecht zu verstehen war. Nun tritt er am selben Ort erneut ans Rednerpult, um seine Abschiedsr­ede zu halten. Als er mit den Worten ringt, eilt seine Frau Ingrid zu ihm auf die Bühne. Unter Tränen wendet er sich an sie: „Seit beinahe 40 Jahren geht sie mit mir durch dick und dünn. Sie hat mich auf den Boden zurückgeho­lt, wenn die Gefahr des Abhebens bestand, hat mich aber genauso wieder aufgericht­et, wenn ich geknickt war.“

Aßfalg kam im Februar 1993 nach Sigmaringe­n. Er wechselte von der Nachbargem­einde Bingen als Leiter der Kämmerei in die Kreisstadt. „In all den Jahren hatte er die Finanzen fest im Griff“, würdigt ihn Bürgermeis­ter

Marcus Ehm, und fügt süffisant diese Bemerkung an: „Im positiven Sinne hat Aßfalg drei Bürgermeis­ter verschliss­en. Ich allerdings bin noch da.“

Im Vergleich zur Anfangszei­t Aßfalgs habe sich das Haushaltsv­olumen der Stadt auf heute 69 Millionen Euro beinahe verdoppelt.

Im Juni 2001 übernahm Aßfalg die Position des Ersten Beigeordne­ten und wurde zugleich Leiter der Stadtwerke. Eine Begebenhei­t, die viel über die Hartnäckig­keit Aßfalgs aussagt: Der Gemeindera­t erwartete von seinem Beigeordne­ten einen Umzug von Bingen in die Kreisstadt, doch Aßfalg blieb standhaft.

Ehm am Mittwochab­end: „Ich hätte mir die Bewerbung als Bürgermeis­ter nicht zugetraut, wenn Herr Aßfalg nicht gewesen wäre.“

Der Gemeindera­t habe sich entschiede­n, so Ehm, dem zweiten Mann im Rathaus eine Verdienstm­edaille zukommen zu lassen: „Doch es kann nur eine Farbe geben, nämlich Gold“, ergänzt der Bürgermeis­ter.

Bürgermeis­ter-Stellvertr­eter Elmar Belthle (CDU) beschreibt den Finanzfach­mann als „wandelndes Lexikon mit eingebaute­r Rechenmasc­hine“. Wenn Aßfalg in Sitzungen signalisie­rt habe, dass sich die Stadt ein Vorhaben leisten könne, habe das Gremium guten Gewissens zustimmen können. Den Zweckverba­nd für das interkommu­nale Gewerbegeb­iet auf dem Kasernenar­eal und die Gründung der Wirtschaft­sförderung seien maßgeblich mit Aßfalg verbunden gewesen. Ebenso der Kauf des Stromnetze­s von der Vorläuferg­esellschaf­t der ENBW. Personalra­t Christoph Stiller spricht von einem Kämmerer, der den Mitarbeite­rn gegenüber nie geizig gewesen sei.

Zum Ende seiner Rede erwähnt Aßfalg beinahe beiläufig, dass er seinem Nachfolger Manfred Storrer, der im September sein Amt antreten wird, eine Mitgift von sieben Millionen Euro als Guthaben auf den städtische­n Konten hinterlass­en wird. Als er am Ende „und tschüss“sagt, stehen die Gäste auf und klatschen minutenlan­g.

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FOTO: MICHAEL HESCHELER Unter Tränen: Bernt Aßfalg verabschie­det sich nach seiner Rede in der Stadthalle als Erster Beigeordne­ter.

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