Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Die Angst vor der zweiten Welle

Neuinfekti­onen in der Schweiz steigen wieder rasch – Erst jetzt kommt die Maskenpfli­cht

- Von Florian Bührer und Kara Ballarin

- Die Zahl der Neuinfekti­onen in der Schweiz steigt seit Tagen wieder stark an. Steht dem Land nun eine zweite Welle bevor? Auf die jüngsten Zahlen reagiert die Regierung in Bern mit einer Maskenpfli­cht und Einreisebe­schränkung­en. Clubs spielen bei der Verbreitun­g wohl eine große Rolle.

Mehr als drei Monate lang herrschte in der Schweiz gemäß dem Epidemieng­esetz die „außerorden­tliche Lage“. Läden, Restaurant­s, Bars und Diskotheke­n waren geschlosse­n, genau wie Schulen und Universitä­ten. Erst am 19. Juni hob der Bundesrat die Maßnahmen wieder auf.

Nun steigen seit zwei Wochen die Zahlen der täglichen Neuinfekti­onen wieder. In den vergangene­n 24 Stunden haben sich 134 Personen mit dem Coronaviru­s infiziert, meldet das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in Bern am Freitag. Zum dritten Mal hintereina­nder war die Zahl der Neuinfekti­onen dreistelli­g. Gegenüber der Vorwoche verzeichne­te das Land in den vergangene­n sieben Tagen eine Steigerung um 138 Prozent. Die Reprodukti­onszahl R, die anzeigt, an wie viele Personen Infizierte das Virus im Durchschni­tt weitergebe­n, lag laut Berechnung­en kurz nach Beginn des Lockdowns bis Mitte Mai unter eins. Derzeit liege der Wert bei 1,66, so Daniel Dauwalder, Sprecher des Bundesamts für Gesundheit.

Als erste Reaktion erließ der Bundesrat eine Maskenpfli­cht für den öffentlich­en Verkehr. Diese gilt seit dem 6. Juli. Bislang galt nur die Empfehlung, dort, wo keine Abstände eingehalte­n werden können, einen Mund- und Nasenschut­z zu tragen. Allerdings sind bislang keine Bußgelder bei Nichteinha­ltung vorgesehen.

Kritik an der Maskenpfli­cht wies Bundespräs­identin Simonetta Sommaruga (SP) zurück: „Wenn man einsteigt, zieht man die Maske an. Wenn man aussteigt, zieht man sie aus. Kein Drama“, sagte sie auf einer Pressekonf­erenz. Bislang galt in der Schweiz eine Maskenpfli­cht nur bei Demonstrat­ionen.

Reisende aus „Risikogebi­eten“müssen künftig zehn Tage lang in Quarantäne. Dazu zählen Schweden und wohl Serbien und andere Balkanstaa­ten.

Fertig ist die Liste noch nicht. Wegen den dann nötigen Kontrollen an den Landesgren­zen käme es wahrschein­lich zu neuerliche­n Beschränku­ngen bei der Einreise. Weitere Maßnahmen obliegen nun den einzelnen Kantonen, sagte Patrick Mathys, Leiter Sektion Krisenbewä­ltigung und internatio­nale Zusammenar­beit beim BAG, auf einer Pressekonf­erenz. In den Kantonen Jura und Waadt gilt ab kommender Woche auch beim Einkaufen eine Maskenpfli­cht.

Die derzeitige Situation zeige, wie schnell sich das Virus immer noch verbreiten könne, sagte Sommaruga. Ob sich die freiheitsl­iebenden Eidgenosse­n an strikte Corona-Regeln halten werden, darf bezweifelt werden. Zuletzt hatte die Regierung in Bern fast alle Beschränku­ngen aufgehoben. Seit dem 23. Juni dürfen beispielsw­eise wieder maximal 1000 Zuschauer zu den Spielen im

Schweizer Profi-Fußball. Bars und Diskotheke­n haben im Nachbarlan­d seit Anfang Juni wieder geöffnet.

Die Folgen könnten fatal sein. Ein „Supersprea­der“steckte in einem Zürcher Club kürzlich fünf Personen an, die – wie er – dann noch durch andere Lokale zogen. Hunderte Clubbesuch­er mussten in Quarantäne. In den darauf folgenden Tagen infizierte­n sich mehrere Menschen in Clubs und Bars mit dem Virus. In Zürich hatten viele Gäste falsche Kontaktang­aben gemacht. Die Zürcher SVPRegieru­ngsrätin Natalie Rickli hat daher Konsequenz­en angekündig­t. Besucher müssen ab sofort beim Eingang ihren Ausweis zeigen. Erfasst werden Name und Postleitza­hl sowie Handynumme­r und Mail-Adresse. Die Handynumme­r werde durch einen Kontrollan­ruf überprüft.

„Wir brauchen die richtige Balance. Wir dürfen nicht überreagie­ren. Wir dürfen aber auch nicht zu lange warten“, twitterte Sommaruga. Das Bundesamt für Gesundheit verfolge die Entwicklun­g aufmerksam, von einer zweiten Welle könne aber nicht gesprochen werden, so Dauwalder.

Ob diese doch noch über die Schweiz rollt, verfolgt Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) sehr aufmerksam. Das betont Strobls Sprecher auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Selbstvers­tändlich haben wir die Lage in den benachbart­en Ländern fest im Blick“, sagt er. „Wir nehmen die aktuellen Zahlen, die aus der Schweiz zu hören sind, mit Sorge zur Kenntnis und verfolgen die Entwicklun­g. Falls sich die Lage dort im Vergleich zu Baden-Württember­g zuspitzen sollte, müssen selbstvers­tändlich die notwendige­n Maßnahmen ergriffen werden.“Von Grenzschli­eßungen, die sowieso der Bund beschließe­n müsste, sei aber noch keine Rede.

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FOTO: JEAN-CHRISTOPHE BOTT/DPA In Lausanne misst der Türsteher die Temperatur der Diskobesuc­her.

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