Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Die Angst vor der zweiten Welle
Neuinfektionen in der Schweiz steigen wieder rasch – Erst jetzt kommt die Maskenpflicht
- Die Zahl der Neuinfektionen in der Schweiz steigt seit Tagen wieder stark an. Steht dem Land nun eine zweite Welle bevor? Auf die jüngsten Zahlen reagiert die Regierung in Bern mit einer Maskenpflicht und Einreisebeschränkungen. Clubs spielen bei der Verbreitung wohl eine große Rolle.
Mehr als drei Monate lang herrschte in der Schweiz gemäß dem Epidemiengesetz die „außerordentliche Lage“. Läden, Restaurants, Bars und Diskotheken waren geschlossen, genau wie Schulen und Universitäten. Erst am 19. Juni hob der Bundesrat die Maßnahmen wieder auf.
Nun steigen seit zwei Wochen die Zahlen der täglichen Neuinfektionen wieder. In den vergangenen 24 Stunden haben sich 134 Personen mit dem Coronavirus infiziert, meldet das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in Bern am Freitag. Zum dritten Mal hintereinander war die Zahl der Neuinfektionen dreistellig. Gegenüber der Vorwoche verzeichnete das Land in den vergangenen sieben Tagen eine Steigerung um 138 Prozent. Die Reproduktionszahl R, die anzeigt, an wie viele Personen Infizierte das Virus im Durchschnitt weitergeben, lag laut Berechnungen kurz nach Beginn des Lockdowns bis Mitte Mai unter eins. Derzeit liege der Wert bei 1,66, so Daniel Dauwalder, Sprecher des Bundesamts für Gesundheit.
Als erste Reaktion erließ der Bundesrat eine Maskenpflicht für den öffentlichen Verkehr. Diese gilt seit dem 6. Juli. Bislang galt nur die Empfehlung, dort, wo keine Abstände eingehalten werden können, einen Mund- und Nasenschutz zu tragen. Allerdings sind bislang keine Bußgelder bei Nichteinhaltung vorgesehen.
Kritik an der Maskenpflicht wies Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (SP) zurück: „Wenn man einsteigt, zieht man die Maske an. Wenn man aussteigt, zieht man sie aus. Kein Drama“, sagte sie auf einer Pressekonferenz. Bislang galt in der Schweiz eine Maskenpflicht nur bei Demonstrationen.
Reisende aus „Risikogebieten“müssen künftig zehn Tage lang in Quarantäne. Dazu zählen Schweden und wohl Serbien und andere Balkanstaaten.
Fertig ist die Liste noch nicht. Wegen den dann nötigen Kontrollen an den Landesgrenzen käme es wahrscheinlich zu neuerlichen Beschränkungen bei der Einreise. Weitere Maßnahmen obliegen nun den einzelnen Kantonen, sagte Patrick Mathys, Leiter Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit beim BAG, auf einer Pressekonferenz. In den Kantonen Jura und Waadt gilt ab kommender Woche auch beim Einkaufen eine Maskenpflicht.
Die derzeitige Situation zeige, wie schnell sich das Virus immer noch verbreiten könne, sagte Sommaruga. Ob sich die freiheitsliebenden Eidgenossen an strikte Corona-Regeln halten werden, darf bezweifelt werden. Zuletzt hatte die Regierung in Bern fast alle Beschränkungen aufgehoben. Seit dem 23. Juni dürfen beispielsweise wieder maximal 1000 Zuschauer zu den Spielen im
Schweizer Profi-Fußball. Bars und Diskotheken haben im Nachbarland seit Anfang Juni wieder geöffnet.
Die Folgen könnten fatal sein. Ein „Superspreader“steckte in einem Zürcher Club kürzlich fünf Personen an, die – wie er – dann noch durch andere Lokale zogen. Hunderte Clubbesucher mussten in Quarantäne. In den darauf folgenden Tagen infizierten sich mehrere Menschen in Clubs und Bars mit dem Virus. In Zürich hatten viele Gäste falsche Kontaktangaben gemacht. Die Zürcher SVPRegierungsrätin Natalie Rickli hat daher Konsequenzen angekündigt. Besucher müssen ab sofort beim Eingang ihren Ausweis zeigen. Erfasst werden Name und Postleitzahl sowie Handynummer und Mail-Adresse. Die Handynummer werde durch einen Kontrollanruf überprüft.
„Wir brauchen die richtige Balance. Wir dürfen nicht überreagieren. Wir dürfen aber auch nicht zu lange warten“, twitterte Sommaruga. Das Bundesamt für Gesundheit verfolge die Entwicklung aufmerksam, von einer zweiten Welle könne aber nicht gesprochen werden, so Dauwalder.
Ob diese doch noch über die Schweiz rollt, verfolgt Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) sehr aufmerksam. Das betont Strobls Sprecher auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. „Selbstverständlich haben wir die Lage in den benachbarten Ländern fest im Blick“, sagt er. „Wir nehmen die aktuellen Zahlen, die aus der Schweiz zu hören sind, mit Sorge zur Kenntnis und verfolgen die Entwicklung. Falls sich die Lage dort im Vergleich zu Baden-Württemberg zuspitzen sollte, müssen selbstverständlich die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden.“Von Grenzschließungen, die sowieso der Bund beschließen müsste, sei aber noch keine Rede.