Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Mit Eseln auf Rettungsmission
Auf dem Truppenübungsplatz Münsingen dienen sie als Landschaftspfleger – Hilfe für bedrohten Steinschmätzer
- Sie wackeln mit den Ohren. Sie horchen auf, dann fressen sie gemütlich das Gras weiter. Auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Münsingen (Landkreis Reutlingen) ist derzeit eine 20-köpfige Eselherde im Einsatz – nicht ohne Grund. Mit den Landschaftspflegern auf vier Hufen wird ein spezielles Ziel verfolgt.
Truppenübungsplätze sind besonders struktur- und artenreich. Sie weisen oftmals eine herausragende Tier- und Pflanzenwelt auf. Werden diese Flächen dann aber aus der Nutzung genommen, muss ein passendes Pflegekonzept für die dort vorkommenden geschützten Arten gefunden werden. Zivile Ersatzmaßnahmen kommen auf den kampfmittelbelasteten Flächen nicht weiter – da können die Esel helfen. Mit Blick auf den ehemaligen Truppenübungsplatz Münsingen ist ein letzter Rettungsversuch für den Steinschmätzer – eine Vogelart – gestartet. Im Rahmen einer Kooperation zwischen Regierungspräsidium Tübingen, der Biosphärengebietsverwaltung Schwäbische Alb, dem Landratsamt Reutlingen sowie dem Bundesforstbetrieb Heuberg soll für diese Vogelart wieder ein attraktiver Lebensraum angeboten werden.
Bis in das Jahr 2005 haben Gefechtsfahrzeuge auf dem heutigen ehemaligen Truppenübungsplatz Münsingen einen Lebensraum geschaffen und erhalten, der unter anderem durch einen hohen Anteil vegetationsfreier Fläche das letzte Steinschmätzer-Vorkommen BadenWürttembergs erhalten hat. Durch die Aufgabe der militärischen Nutzung ist der Lebensraum für dieses Vorkommen stetig weiter zurückgegangen und gilt seit einigen Jahren als erloschen. Alle Versuche, den Rohbodenanteil – also offene Bodenstellen – wieder zu vergrößern und dadurch einige der im Frühjahr durchziehenden Steinschmätzer zu einer neuen Ansiedlung zu bewegen, sind bisher gescheitert – an zu hohen Kosten und auch an der Kampfmittelbelastung.
Seit einigen Jahren liefen die Überlegungen, was getan werden kann. Lydia Nittel, Leiterin im Bereich Naturschutz bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, erklärt, dass ein Gutachterbüro eruierte, wo eine Ansiedlung des Steinschmätzers möglich wäre. Im Jahr 2013 gab es die letzte Brut auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz. Der Vogel steht auf der Roten Liste in Deutschland.
Der Steinschmätzer braucht offene Bodenstellen mit wenig Vegetation. Doch wie können diese geschaffen werden? Eine maschinelle Möglichkeit sei aufgrund der Gefahr wegen der Kampfmittelbelastung ausgeschlossen. Da kommen die Esel ins Spiel. Die Esel haben sich als beständige Landschaftspfleger erwiesen, deren Fraß- und Trittgewohnheiten offene Bodenstellen erhalten und somit den für den Steinschmätzer notwendigen Rohboden schaffen. Schafe und Ziegen können das nicht. Die Esel kommen auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz nun ergänzend zum Einsatz.
Die Kooperation wurde gestartet. Der Eselauftrieb hin zum Gewann Holder Hülbe fand Mitte Mai statt. 20 Tiere haben dort unter Begutachtung von Rüdiger Jooß von der Geschäftsstelle Biosphärengebiet Schwäbische Alb beim Regierungspräsidium Tübingen sowie Esther Aminde vom Landratsamt Reutlingen ihre Heimat auf Zeit gefunden – nämlich jährlich von Mai bis Oktober. Die Biosphärengebietsverwaltung Schwäbische Alb stellt die gemietete Eselherde aus der Nähe von Laupheim, deren Einsatz auf gut 20
Hektar Weideland für nun fünf Jahre vorgesehen ist. Schäfer Christian Stotz kümmert sich um die Esel.
„Es ist jetzt ein Test“, sagt Rüdiger Jooß und schaut sich um. Die Esel sind auf der ganzen Fläche verteilt. „Wir wollen noch auf 40 Esel erhöhen“, ergänzt er. Das Ziel im Blick, Auswirkungen in der stetigen Untersuchung im Rahmen eines entsprechenden Monitorings: Während der nun anstehenden Zeit würden beispielsweise die Insektenvorkommen dort untersucht. Heuschrecken, Käfer, Schmetterlinge: Die Tiere stellen ein Nahrungsspektrum dar. Offene Bodenstellen würden wärmer, das wiederum sei gut für Insekten. „Wir tun also der Flora und Fauna etwas Gutes, der gesamten Nahrungskette“, zeigt Jooß auf. Lydia Nittel nickt zustimmend und sagt: „Der kleine Heidegrashüpfer oder auch der Gebirgsgrashüpfer: Sollte es mit dem
Steinschmätzer nicht klappen, dann haben wir dennoch für andere Tiere etwas getan.“
Der Steinschmätzer bevorzuge die weitläufige Landschaft. Deswegen ist in der Nähe der Eselweide auch kaum Wald oder Gehölz zu sehen. Im Jahr 1940 gab es bundesweit 1000 Steinschmätzer. In den 70erund 80er-Jahren waren es dann nur noch 20 Brutpaare in Baden-Württemberg. Als erste Maßnahmen wurden unter anderem Steinriegel gesetzt, um ein Angebot für die Brut zu verbessern. Auf die Esel wird eine große Hoffnung gesetzt.
Die Esel fressen munter weiter. Durch einen Zaun werden sie auf der Fläche gehalten. Drei mobile Weidehütten wurden aufgestellt. Esel brauchen eine Unterstellmöglichkeit – also Schutz vor Starkregen oder auch extremer Hitze. Das Angebot wird genutzt. So manch ein Esel lugt aus einer der Weidehütten heraus.
Als Schäfer Christian Stotz eintrifft, gibt es dann kein Halten mehr. Die Esel galoppieren los, begrüßen Stotz, der täglich bei der Eselweide nach dem Rechten sieht. „Ich mache täglich eine Zaunkontrolle und schaue, dass es keine Abrisse gibt. Ich zähle die Esel durch. Bei 20 Tieren geht das noch“, sagt der Schäfer. Wie es künftig mit 40 Eseln aussehe, müsse er schauen. Täglich wird das Wasser für die Esel frisch aufgefüllt. „Außerdem schaue ich, ob alles in Ordnung ist. Bisher waren alle Tiere gesund. Allen geht es gut.“Genau so solle es sein.
Die Eselweide ist für Besucher, die im ehemaligen Truppenübungsplatz wandern oder auch Rad fahren, nicht zugänglich. Aufgepasst: Das ist nicht ohne Grund so. Es geht dabei um die hohen Naturschutzbelange sowie um die Kampfmittelbelastung. Entsprechende Schilder signalisieren, wo das Stehen und Gehen erlaubt und für welche Strecken dies verboten ist. Die Gefahr für Personen, die sich unerlaubt in gesperrten Bereichen des ehemaligen Truppenübungsplatzes aufhalten, ist groß. Dennoch gibt es Überlegungen, das besondere Rettungsversuch-Konzept für den Steinschmätzer und damit die Eselherde künftig auch erlebbar zu machen.
Ein Video von den Eseln in Münsingen sehen Sie auf