Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Gemeinsam gegen die lästigen Schnecken
Der Inbegriff des Schädlings ist für viele Gärtner sicherlich die Schnecke. Vor allem die gefürchteten nackten Arten, wie die Spanische Wegschnecke. Mir fällt kein einziger Niedlichkeitsfaktor ein, welcher Sympathien für sie wecken könnte. Interessant ist allenfalls, dass ihr zäher Schleim früher zum Schmieren von Holzrädern verwendet wurde und daher der Namensgeber war. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse offenbaren, dass es sich nicht um eine eingewanderte, sondern doch um eine einheimische Art handelt, die sich in den vergangenen Jahren einfach stark vermehrt hat. So können aus einer einzigen Schnecke im Laufe der Saison bis zu 50 000 Nachkommen entstehen!
Hobbygärtner tauschen sich gerne über die besten Mittel aus, Schnecken den Garaus zu machen. Auf der Rangliste ganz oben stehen Bierfallen und umweltverträgliche Giftkörner. Deren Nachteil jedoch ist, dass sie Schnecken aus der Nachbarschaft anlocken und auch nützliche Arten dadurch verenden. Als Sofortmaßnahme empfehle ich lieber Absammeln und Abtöten. Mit einer Schere wird das Tier direkt hinter dem Halsschild, dort wo das Herz sitzt, durchgeschnitten und im Biomüll/Kompost entsorgt. Langfristig sollten wir diese Arbeit den natürlichen Gegenspielern wie Igel, Amsel, Star und diversen Käferarten überlassen, denn diese sind besonders schnell und selektiv in ihrer Arbeit.
Am Beispiel Schnecken wird ein grundsätzliches Dilemma in unseren Gärten deutlich. Wir Menschen haben durch unser Handeln in den letzten Jahrzehnten das Gleichgewicht der Natur empfindlich gestört. Um die natürlichen Prozesse wieder zu einem harmonischen Miteinander zu bringen, braucht es ebenso viel Zeit. Das sollte uns bewusst sein, jedoch nicht entmutigen. Arbeiten wir gemeinsam daran und fangen gleich heute damit an!
Tina Balke ist Pflanzenärztin. An sie wenden sich Garten- und Zimmerpflanzenbesitzer ebenso wie Profigärtner, die Probleme mit erkrankten oder schädlingsbefallenen Pflanzen haben und wissen wollen, wie sie diese loswerden. Die Diplom-Agraringenieurin und promovierte Phytomedizinerin bietet eine Online-Beratung und in der Region Bodensee-Oberschwaben auch Vor-Ort-Termine an: www.die-pflanzenaerztin.de
Gemütlich schaukelt der Seeotter auf dem Rücken in den Wellen vor der Pazifikküste Kanadas, nur das Gesicht, der Bauch und die Pfoten ragen aus dem Wasser. Wenn Touristen vor der regenreichen Westküste von Vancouver Island solche friedlichen Szenen beobachten, wissen die wenigsten von ihnen, dass dort ein imposantes Raubtier von der Größe eines Wolfes liegt. Wie viele der großen Raubtiere auf der Erde war der Seeotter einst fast ausgerottet worden und erobert sich seither seinen Lebensraum langsam zurück. Und genau wie bei der Rückkehr von Wölfen, Bären und den bis zu 350 Kilogramm schweren Kegelrobben nach Mitteleuropa, gibt es auch beim Seeotter Konflikte mit den Interessen einiger dort lebender Menschen. In der Gesamtbilanz aber steht an der Westküste von Vancouver Island ein dickes Plus sowohl für das Ökosystem wie auch für die Wirtschaft, kalkulieren Edward Gregr von der University of British Columbia in der westkanadischen Stadt Vancouver und seine Kollegen in der Zeitschrift „Science“.
Mit ihrer Analyse liefern die Forscher ein Vorbild für andere Regionen, in denen zwischen Naturschutz auf der einen Seite und wirtschaftlichen Interessen auf der anderen Seite schon einmal Probleme auftreten können, sobald die einst vertriebenen großen Raubtiere wieder zurückkehren. Ein Beispiel nennt Henning von Nordheim, der an der Universität Rostock Meeresnaturschutz lehrt und bis Anfang 2020 im Bundesamt für Naturschutz die Abteilung Meeresnaturschutz geleitet hat: „Fressen die inzwischen wieder an den deutschen Ostseeküsten jagenden Kegelrobben auf der Suche nach ihrem Grundnahrungsmittel Fisch aus den Stellnetzen der Fischer, machen sich die Tiere bei den Betroffenen unbeliebt.“
Eine Gesamtbilanz, in der wirtschaftlicher und ökologischer Nutzen der großen Raubtiere gegen die von ihnen angerichteten Schäden aufgerechnet werden, gibt es dagegen nur selten. Schließlich sind solche Kalkulationen normalerweise sehr aufwendig, weil zum Beispiel komplizierte Wirkungsketten eine Rolle spielen. Bevor Jäger die Seeotter im 18. und 19. Jahrhundert wegen ihres extrem dichten und wertvollen Pelzes nahezu ausrotteten, spielten die Tiere an der Pazifikküste Nordamerikas von der Halbinsel Baja California in Mexiko über die Küsten der USA und Kanadas bis hinüber zur russischen Halbinsel Kamtschatka und den nördlichen Inseln Japans eine wichtige Rolle in einem natürlichen Netzwerk. Ihre Leibspeise sind Seeigel und andere Meeresfrüchte.
Als die Seeotter fast ausgerottet waren, explodierten die Bestände ihrer Beutetiere, die ihrerseits an den ausgedehnten Tangwäldern mit Braunalgen knabbern. Bald waren von diesen Unterwasser-Urwäldern nur noch kärgliche Reste übrig. Damit war aber auch die Heimat vieler
Fische verschwunden – mit fatalen Folgen. So legen die Pazifischen Heringe ihre Eier an die Braunalgen und verloren mit dem Verschwinden der Seeotter ihre Kinderstube. Diese Heringe wiederum landen häufig im Maul von größeren Tieren wie Lachsen und Orcas. Bisher wissen die Forscher allerdings noch nicht, wie stark zum Beispiel die Lachse abnahmen, von denen sich wiederum viele Indianer an der Küste ernähren und mit deren Fang etliche Grizzlybären sich ihren Fettvorrat für die langen Winter im Norden Nordamerikas anfressen. Andere Auswirkungen aber können die Wissenschaftler durchaus beziffern, weil die Seeotter inzwischen wieder in viele Regionen ihrer alten Heimat zurückgekehrt sind und auch wieder an der Pazifikküste von Vancouver Island leben. Dort dezimieren sie wie einst Seeigel und andere Meeresfrüchte. Und konkurrieren so mit den Fischern, die seit dem Verschwinden der Seeotter reichlich Meeresfrüchte aus dem Wasser holen. Deren Verluste dürften sich auf umgerechnet knapp fünf Millionen Euro im Jahr summieren, rechnen Edward Gregr und seine Kollegen aus. Gleichzeitig aber wachsen die Tangwälder wieder zur alten Pracht, die Heringe gewinnen ihre Kinderstube zurück und auch andere Fische kehren in ihre einst verlorene Heimat zurück. Der Fang dieser Tiere dürfte jedes Jahr gut sechs Millionen Euro in die Kassen der Fischer auf der Insel spülen. Was die einen verlieren, gewinnen also die anderen.
Aber damit endet die Rechnung der Forscher noch lange nicht. Seit die Seeotter die Seeigel dezimieren und die Tangwälder wieder üppig sprießen, produzieren die Gewässer vor den Küsten von Vancouver Island 37 Prozent mehr Biomasse als vorher. Dadurch bleiben auch mehr Organismen übrig, die nach ihrem Tod unter den Sedimenten am Meeresgrund begraben werden. Die Tangwälder vor der Insel entziehen der Atmosphäre so jedes Jahr eine Kohlendioxidmenge, die im Emissionshandel der Europäischen Union einen Wert von ungefähr 1,5 Millionen Euro hätte. Die größten Einnahmen aber dürfte der Tourismus den Menschen an der Küste bescheren.
Mehr als 27 Millionen Euro könnten Menschen einheimischen kleinen Unternehmen in die Kassen spülen, die schon heute Touren zu den Seeottern anbieten, die auf dem Rücken liegend in den Wellen schaukeln. Auch wenn Einzelne wie die Meeresfrüchte-Fischer unter der Rückkehr der Seeotter leiden, bleibt insgesamt also ein dickes Plus in der Wirtschaftsbilanz, in die der nicht bezifferbare Wert für die Natur noch gar nicht eingerechnet ist.
Ähnlich sieht es auch bei der Rückkehr der Kegelrobben an die deutschen Ostseeküsten aus. Dort waren die Tiere am Anfang des 20. Jahrhunderts ausgerottet worden, überlebten aber in den nördlichen Bereichen des Binnenmeeres. Als die Tiere um die Jahrtausendwende nach Deutschland zurückkehrten, war das ein Riesenerfolg für den internationalen Naturschutz. Heute leben an den Küsten von MecklenburgVorpommern dauerhaft wieder 60 bis 80 Kegelrobben, auf deren Speisezettel fast ausschließlich Fisch steht. „Wenn in den Stellnetzen der hiesigen Ostseefischer dann Heringe hängen, wirkt das auf die Robben wie ein kostenfreier Selbstbedienungsladen auf uns Menschen“, erklärt Henning von Nordheim.
Trotz dieses verlockenden Angebots bedienen sich die Tiere eher zurückhaltend. Bei einer Umfrage im Jahr 2019 bezifferten 36 Berufsfischer ihren gesamten Schaden auf insgesamt rund zehntausend Euro für Fische und weitere 3000 Euro für
Schäden an Netzen und Geräten. Solche Verluste wiederum will das Land Mecklenburg-Vorpommern mit Geldern aus dem Europäischen Meeresund Fischerei-Fonds ausgleichen.
Auf der Habenseite dagegen fährt die „Weiße Flotte“in der Saison inzwischen zweimal in der Woche auf einer Bootstour rund um die meist unter Wasser liegende Kiesbank „Großer Stubber“im Greifswalder Bodden der Insel Rügen herum. „Rund viertausend Gäste nutzen jedes Jahr diese Gelegenheit und bringen dem Unternehmen so Einnahmen von vermutlich 60 000 bis 80 000 Euro“, fasst Henning von Nordheim zusammen. Ähnlich wie in Kanada ist die Bilanz also heute schon positiv.
Sollten die Kegelrobben wie sie es an anderen Küsten tun, auch auf Rügen bald abgelegene Strände als Ruheplätze wählen, könnte sich diese Bilanz weiter verbessern. Da die Tiere normalerweise immer die gleichen Stellen nutzen, könnten in einiger Entfernung Beobachtungsplätze eingerichtet werden. Ohne die Robben zu stören, könnten Besucher sie von dort bewundern. Und auch die Fischer werden unterstützt. So hat das Bundesamt für Naturschutz in einem Forschungsprojekt bereits Fangkäfige gekauft, die kegelrobbensicher konstruiert sind. Die Rückkehr des größten Raubtieres Mitteleuropas in deutsche Gewässer zahlt sich also ähnlich wie in Kanada auch in Mecklenburg-Vorpommern für die Wirtschaft aus.