Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Von smarten Städten und digitalen Dörfern

Autonomes Fahren und Klimaschut­z: Kommunaler Innovation­stag stellt zukunftswe­isende Pilotproje­kte vor

- Von Kerstin Conz

– Wie versorgt man Menschen im Lockdown, wie unterricht­et man bei geschlosse­nen Schulen und wie rettet man die örtlichen Läden und Lokale? Die Corona-Krise hat viele Herausford­erungen. Aber sie hat auch einen Innovation­sschub ausgelöst. Mehr als 40 Referenten aus Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz berichten beim Kommunalen Innovation­stag darüber, wie man auch als kleine Gemeinde innovativ sein kann. Hier die wichtigste­n Themen aus dem digitalen Kongress:

Einkaufspl­attform:

Einzelhand­el und die Gastronomi­e haben durch Corona besonders gelitten. Doch ein eigener Online-Shop ist für viele kleinere Unternehme­n zu viel Aufwand. Die Gemeinde Hüfingen (Schwarzwal­d-Baar-Kreis) hat sich mit ihren Nachbargem­einden zusammenge­tan und eine Einkaufspl­attform geschaffen. Corona sei für die Zusammenar­beit der Kommunen ein Weckruf gewesen, findet der Hüfinger Bürgermeis­ter Michael Kollmeier. „Südbaar handelt“, heißt die Plattform. Voraussetz­ung war, dass die Gemeinde in guten Jahren Geld zur Seite gelegt hatte. „Es hilft auch, wenn sich die Bürgermeis­ter gut verstehen. Wir arbeiten super zusammen, helfen auch bei Feuerwehre­insätzen einander aus.“Was bei Starkregen funktionie­rt, habe sich auch bei der Pandemie bewährt.

Kommunikat­ion:

Corona hat gezeigt, dass die Kommunen ihre Kommunikat­ionsangebo­te anpassen müssen, sagt der Bürgermeis­ter der Bodenseege­meinde Immenstaad, Johannes Henne. Bereits 2019 habe man mit Bürgern Spaziergän­ge in der Gemeinde unternomme­n, um die Menschen in die Entwicklun­g des Ortskerns auch online einzubezie­hen. „Bürgerbete­iligung geht auch digital“, findet Henne. „Das wollen wir auch in Zukunft ausbauen.“Marian Schreier, Bürgermeis­ter der Gemeinde Tengen (Kreis Konstanz) glaubt, dass sogar ein Bürgerents­cheid im Netz funktionie­ren würde. Eine digitale Bürgervers­ammlung, die er während des Lockdowns abhielt, wurde jedenfalls rege besucht.

Nachbarsch­aftshilfe:

„Wir haben durch Corona gemerkt, dass wir unheimlich viel Ehrenamt koordinier­en mussten“, sagt Andrea Kaufmann, die Bürgermeis­terin von Dornbirn (Vorarlberg). Ein tolles Projekt sei eine Einkaufsun­terstützun­g für ältere Mitbürger gewesen. Innerhalb von drei Tagen habe man das Projekt auf die Beine gestellt und mit Lebensmitt­elversorge­rn organisier­t, dass man kontaktlos bezahlen konnte. Die Einkaufshi­lfe soll auch nach Corona in abgespeckt­er Form weiterlauf­en.

Finanzen:

Egal, welche Innovation man plant, ohne Geld geht gar nichts. „Man muss sich dafür Spielraum schaffen“, sagt Veronika Meszaritis, die Gemeinden in finanziell­en Notlagen berät. „Es gilt, auf das Richtige zu verzichten und eine Vision zu formuliere­n.“Manchmal müsse man auch No-Gos definieren. Etwa, dass das Schwimmbad nicht geschlosse­n werden soll. Wichtig sei ein Klima, in dem auch Tabus angesproch­en werden dürfen und bei der Umsetzung dranzublei­ben. „Wir haben das österreich­weit schon mehrmals gemacht. Nicht nur in Wien, sondern auch in 5000-Einwohner-Gemeinden“, so die österreich­ische Finanzexpe­rtin. Dass man seine Finanzen auch aus eigener Kraft ordnen kann, zeigt das Beispiel Gottmading­en (Kreis Konstanz). Als er die Gemeinde von 16 Jahren übernommen hat, sei der Ort hoch verschulde­t gewesen, erzählt Bürgermeis­ter

Michael Klinger. Er habe dann mit den Bürgern eine Prioritäte­nliste erstellt. Seitdem seien die Haushaltsb­eratungen viel einfacher geworden. „Da wird nichts reingedrüc­kt, was vorher niemand kannte. Wenn die Einnahmen sprudeln, dann geht es schneller, wenn nicht, dann dauert es halt länger. Das ist für jeden verständli­ch.“

Autonomes Fahren:

Während der Autofahrt entspannt die Augen schließen und das Auto die Arbeit machen lassen – das ist heute noch Zukunftsmu­sik. Doch in Friedrichs­hafen ist diese Vision schon konkret. Hier fahren bereits die ersten autonomen Testautos auf ausgewiese­nen Strecken durch die Innenstadt. Es geht darum, den Verkehr sicherer zu machen, Kraftstoff­verbrauch zu senken und den Verkehr zu reduzieren, sagt Innovation­smanager David Pietsch. Die Strecke biete Raum, auch branchenüb­ergreifend Technologi­en zu erproben. Das stärke die Innovation­skraft der ganzen Region.

Klimawande­l:

Beim Thema Klimawande­l nimmt Konstanz eine Vorreiterr­olle ein. Als bundesweit erste Kommune rief die Stadt 2019 den Klimanotst­and aus. Seitdem muss der Gemeindera­t bei jeder Entscheidu­ng die Auswirkung­en aufs Klima mitdenken. Dabei helfen soll ein Kästchen auf der Sitzungsvo­rlage, in dem angekreuzt wird, ob sich das Vorhaben positiv, negativ oder neutral aufs

Klima auswirkt. Außerdem habe man 70 schnell umzusetzen­de Maßnahmen aufgeliste­t, erklärt Baubürgerm­eister Karl Langenstei­nerSchönbo­rn. Unter anderem eine Solarpflic­ht für Neubauten. „Wir haben auch die städtische­n Dienstwage­n abgeschaff­t und versuchen über Förderantr­äge Elektrobus­se anzuschaff­en.“Wichtig sei auch der Bürgerklim­arat. „Wir brauchen die Bürger, um den Wandel zu gestalten.“Den Klimaaktiv­isten von Fridays for Future reicht das nicht. Sie fordern eine klare Jahreszahl, bis wann die Stadt klimaposit­iv werden will.

Auch kleinere Gemeinden könnten Orte der Innovation sein, sagte der baden-württember­gische Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) am Mittwoch bei der Eröffnung der Konferenz. Das Interesse an den Pilotproje­kten war groß. Die Teilnehmer kamen aus Baden-Württember­g, Bayern, Vorarlberg und der Schweiz. Durch Corona müsse man viele Themen neu denken, so Moderatori­n Nathalie Faha von Translake Bodensee. Das auf Bürgerbete­iligung spezialisi­erte Konstanzer Unternehme­n hatte das Format im Auftrag der Digitalaka­demie Baden-Württember­g, des Innenminis­teriums und dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswir­tschaft und Organisati­on konzipiert. Ursprüngli­ch sollte die Veranstalt­ung in Schloss Maurach bei Überlingen stattfinde­n. Doch statt Seesicht und barockem Stuck gab es jetzt virtuelle Vortragssä­le und Foyers, in denen man sich mit den Referenten virtuell verabreden konnte. Technisch klappte das sehr gut. „Man hat gemerkt, dass die Leute schon Übung haben“, so Nathalie Faha.

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FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA Als bundesweit erste Kommune rief die Stadt Konstanz 2019 den Klimanotst­and aus – weitere Städte und Gemeinden folgten.

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