Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Berlusconi sieht sich als Opfer
Mitschnitte stellen Italiens Ex-Premier als Leidtragenden einer politisierten Justiz dar
ROM - Italiens Ex-Premier Silvio Berlusconi wendet sich erneut an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der soll Italien dazu bringen, ein Gerichtsurteil zu revidieren. In diesem wurde der Gründer und Präsident der Partei Forza Italia Ende 2013 wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Berlusconi musste daraufhin seine politische Tätigkeit für zwei Jahre aufgeben.
Damals war Berlusconi noch die politische Nummer 1 der italienischen Mitte-Rechts-Koalition. Den Richtern zufolge habe der Medienzar bei Geschäften seines Konzerns Mediaset im großen Stil Steuern hinterzogen. Im Frühjahr 2014 entschied ein Gericht in Mailand, dass Berlusconi seine Strafe durch Sozialdienst begleichen könne. Unvergesslich sind die Bilder, die den Milliardär dabei zeigen, wie er einmal pro Woche jeweils für vier Stunden ein Altenheim in Mailand aufsuchte.
Jetzt wurden im Zusammenhang mit diesem Prozess pikante Hintergründe bekannt. „Berlusconi muss verurteilt werden, a priori, weil er ein Gauner ist! Das ist doch die Wirklichkeit … Meiner Meinung nach wird er ungerecht behandelt und ist das Opfer einer ungerechten Justiz“: Das sagt Amedeo Franco in einem bislang unbekannten Audiomitschnitt. Franco war beratendes Mitglied im Prozess gegen Berlusconi im Jahr 2013. In dem Mitschnitt heißt es weiter: „Ich habe den Eindruck, dass diese ganze Angelegenheit von ganz oben organisiert wurde.“
Staatsanwalt Franco äußerte diese Sätze direkt nach der Verurteilung
Berlusconis gegenüber einigen Personen im Gerichtsgebäude. Eine dieser Personen schnitt die Worte mit. Warum dieser Mitschnitt erst jetzt, sieben Jahren nach dem Gerichtsurteil, bekannt wurde, ist unklar. Nicht ausgeschlossen ist ein politisches Kalkül.
Innerhalb der aktuellen MitteRechts-Koalition teilt Berlusconi in einigen Punkten nicht mehr die Linie von Lega-Chef Matteo Salvini. Vor allem nicht im Fall der rund 37 Milliarden Euro, die die EU aus dem Europäischen Stabilitätsfond an Italien überweisen will. Salvini ist gegen diese Überweisung, weil sie, so der LegaChef, an Bedingungen gebunden ist. Berlusconi spricht sich – wie auch die regierenden Linksdemokraten – für dieses Geld aus.
Der Koalitionspartner der Linksdemokraten, die 5-Sterne-Bewegung M5S, ist jedoch gegen die Hilfen aus Brüssel. Regierungschef Giuseppe Conte ist unentschlossen.
Um diese EU-Gelder zu erhalten, muss Conte sich in beiden Kammern des Parlaments einer Abstimmung stellen. Im Abgeordnetenhaus ist das kein Problem. Im Senat aber erreicht er ohne die Stimmen der M5S keine Mehrheit. Die Kontakte der vergangenen Tage zwischen der Regierung und Berlusconis Forza Italia könnten auf eine Annäherung hindeuten, um so eine Niederlage der Regierung im Senat zu verhindern.
Silvio Berlusconi könnte also wieder zum wichtigen Zünglein an der politischen Waage Italiens werden. Vor diesem Hintergrund bekommt die Publikation des bisher unbekannten Mitschnitts eines der Richter, die Berlusconi 2013 verurteilten, eine besondere Bedeutung. Berlusconi scheint nun den Beweis dafür zu haben, dass, so erklärte er vor wenigen Tagen, „eine politisierte Justiz mich fertigmachen wollte“.
Richter Amedeo Franco ist 2019 verstorben. Und so können Berlusconis Anwälte ihn jetzt als Kronzeugen im Fall der ihrer Meinung nach politisierten Justiz Italiens vorführen.