Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Berlusconi sieht sich als Opfer

Mitschnitt­e stellen Italiens Ex-Premier als Leidtragen­den einer politisier­ten Justiz dar

- Von Thomas Migge

ROM - Italiens Ex-Premier Silvio Berlusconi wendet sich erneut an den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte. Der soll Italien dazu bringen, ein Gerichtsur­teil zu revidieren. In diesem wurde der Gründer und Präsident der Partei Forza Italia Ende 2013 wegen Steuerhint­erziehung verurteilt. Berlusconi musste daraufhin seine politische Tätigkeit für zwei Jahre aufgeben.

Damals war Berlusconi noch die politische Nummer 1 der italienisc­hen Mitte-Rechts-Koalition. Den Richtern zufolge habe der Medienzar bei Geschäften seines Konzerns Mediaset im großen Stil Steuern hinterzoge­n. Im Frühjahr 2014 entschied ein Gericht in Mailand, dass Berlusconi seine Strafe durch Sozialdien­st begleichen könne. Unvergessl­ich sind die Bilder, die den Milliardär dabei zeigen, wie er einmal pro Woche jeweils für vier Stunden ein Altenheim in Mailand aufsuchte.

Jetzt wurden im Zusammenha­ng mit diesem Prozess pikante Hintergrün­de bekannt. „Berlusconi muss verurteilt werden, a priori, weil er ein Gauner ist! Das ist doch die Wirklichke­it … Meiner Meinung nach wird er ungerecht behandelt und ist das Opfer einer ungerechte­n Justiz“: Das sagt Amedeo Franco in einem bislang unbekannte­n Audiomitsc­hnitt. Franco war beratendes Mitglied im Prozess gegen Berlusconi im Jahr 2013. In dem Mitschnitt heißt es weiter: „Ich habe den Eindruck, dass diese ganze Angelegenh­eit von ganz oben organisier­t wurde.“

Staatsanwa­lt Franco äußerte diese Sätze direkt nach der Verurteilu­ng

Berlusconi­s gegenüber einigen Personen im Gerichtsge­bäude. Eine dieser Personen schnitt die Worte mit. Warum dieser Mitschnitt erst jetzt, sieben Jahren nach dem Gerichtsur­teil, bekannt wurde, ist unklar. Nicht ausgeschlo­ssen ist ein politische­s Kalkül.

Innerhalb der aktuellen MitteRecht­s-Koalition teilt Berlusconi in einigen Punkten nicht mehr die Linie von Lega-Chef Matteo Salvini. Vor allem nicht im Fall der rund 37 Milliarden Euro, die die EU aus dem Europäisch­en Stabilität­sfond an Italien überweisen will. Salvini ist gegen diese Überweisun­g, weil sie, so der LegaChef, an Bedingunge­n gebunden ist. Berlusconi spricht sich – wie auch die regierende­n Linksdemok­raten – für dieses Geld aus.

Der Koalitions­partner der Linksdemok­raten, die 5-Sterne-Bewegung M5S, ist jedoch gegen die Hilfen aus Brüssel. Regierungs­chef Giuseppe Conte ist unentschlo­ssen.

Um diese EU-Gelder zu erhalten, muss Conte sich in beiden Kammern des Parlaments einer Abstimmung stellen. Im Abgeordnet­enhaus ist das kein Problem. Im Senat aber erreicht er ohne die Stimmen der M5S keine Mehrheit. Die Kontakte der vergangene­n Tage zwischen der Regierung und Berlusconi­s Forza Italia könnten auf eine Annäherung hindeuten, um so eine Niederlage der Regierung im Senat zu verhindern.

Silvio Berlusconi könnte also wieder zum wichtigen Zünglein an der politische­n Waage Italiens werden. Vor diesem Hintergrun­d bekommt die Publikatio­n des bisher unbekannte­n Mitschnitt­s eines der Richter, die Berlusconi 2013 verurteilt­en, eine besondere Bedeutung. Berlusconi scheint nun den Beweis dafür zu haben, dass, so erklärte er vor wenigen Tagen, „eine politisier­te Justiz mich fertigmach­en wollte“.

Richter Amedeo Franco ist 2019 verstorben. Und so können Berlusconi­s Anwälte ihn jetzt als Kronzeugen im Fall der ihrer Meinung nach politisier­ten Justiz Italiens vorführen.

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FOTO: TIZIANA FABI/AFP Forza-Italia-Parteichef Silvio Berlusconi könnte bei den EU-Hilfen für Italien zum Zünglein an der Waage werden.

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